Niemand ist stolz auf Mama

04. November 2013

Junge Mamas arbeiten, studieren, führen den Haushalt und erziehen ihre Kinder. Respekt dafür gibt es keinen – dafür beleidigende Sprüche an Bushaltestellen und böse Blicke im Park. biber-Redakteurin Fedora Chudoba, 22, und Mutter eines zweijährigen Sohnes, fragt sich: Darf man jung kein Kind mehr haben?

Von Fedora Chudoba und Amelie Chapalain (Fotos)

Mein Kleiner und ich sind unterwegs zur Kinderärztin und warten an der U-Bahn-Station auf den Lift. Wir sind spät dran, also quetsche ich mich noch hinein. Dabei stoße ich mit den Kinderwagenreifen unabsichtlich die Beine einer Frau. Sie dreht sich zu mir um und fragt, was ich mir erlaube, ihr über die Füße zu fahren. Bevor ich mich entschuldigen kann, geht mich ihr daneben stehender Freund an und schreit: „Haben‘s da ins Hirn g‘schissen?“ Ich bin sprachlos. Bevor ich die Situation überhaupt begreifen kann, mischt sich eine Pensionistin ins Geschehen und zischt böse: „Diese scheiß jungen Leute von heute!“ Das trifft mich. Ich zittere vor Wut und Angst.

 

Jung-Mama vs. Bio-Mutter

Nicht nur ich muss mich immer wieder von fremden Leuten beleidigen lassen, weil ich ein Kind habe und vor nicht allzu langer Zeit selbst eines war. Auch Julia, 28, die mit 24 erstmals Mama wurde, musste sich schon vieles anhören. Vor ein paar Monaten wurde sie an einer Bushaltestelle angeraunzt: „Die braucht nie mehr arbeiten gehen, bei zwei Kindern in dem Alter, da kann sie ja vom Kinderbetreuungsgeld und den staatlichen Beihilfen leben.“ Solche Sprüche muss sich eine 35-jährige Anwältin, die gerade ihr erstes Kind bekommen hat, nicht anhören.

Heutzutage ist es gar nicht populär, als junge Frau Mutter zu werden. 2012 wurden laut Statistik Austria 78.952 Kinder geboren. Nur 17,1 Prozent der Mütter waren unter 25. Dagegen waren 52,4 Prozent über 30. „Mein Eindruck war, nachdem ich Mutter geworden bin, entweder gibt es diese über drüber Bio-Mamas, die dann 30 oder 40 sind, oder diese, die vor den „Teenager werden Mütter“-Kameras gebären. Keine normalen Leute wie mich“, meint Jungmutter Eva, 21.

Ach ja, „über drüber Bio-Mama“ müsste man sein. Sie sind die Vorzeigemütter unserer Gesellschaft. Die Frauen, die sich zuerst emanzipieren, eine Ausbildung und Karriere machen, um danach mit perfektem Partner und Haus im Grünen Kinder zu zeugen und in Karenz zu gehen. Diese Frauen wissen bereits alles über Erziehung, Ernährung und welche Stärken ihres Kindes gefördert werden sollen. Im Gegensatz dazu sind wir die Mütter der „Hoppala“-Kinder. Frauen ohne fertige Ausbildung, ohne festen Partner oder Eigentumswohnung. Wir haben weder alle essenziellen Erziehungsratgeber gelesen, noch waren wir beim Schwangerschaftsyoga-Kurs. Wir können nicht die volle Karenzzeit zu Hause bleiben, weil wir uns durch Studium oder Job finanzieren müssen. Und anscheinend macht uns das zu schlechten Müttern, auf die man herabsehen darf.

 

Windel-Horror, wenn die Freunde Party machen

Besonders Chantal, 21, liebevolle Mutter und Frisörin, hat zu spüren bekommen, was man für eine junge Mutterschaft alles aufgeben muss. Ihre Freunde lösten sich plötzlich von ihr, als sie schwanger wurde. Viele konnten nicht einsehen, dass sie nicht spontan mit ihnen fortgehen konnte, als sie bereits hochschwanger war. Niemand wollte sich an ihren neuen Rhythmus anpassen. Heute sieht sie ihre Freunde nur noch selten, auf der Straße oder im Supermarkt. Wenn sie grüßt, drehen sich manche um und gehen weg, oder grüßen nicht zurück. Ohne Erklärung, von jetzt auf gleich.

Wir alle haben das erlebt: Mutter zu werden schränkt ein. Wir können nicht jeden Freitag Party machen. Wir können es uns nicht leisten, mit einem Kater aufzuwachen und den Rest des Tages auf der Couch zu verbringen. Wir müssen Frühstück machen und das Kind versorgen. Während Freunde an der Uni ihren Erasmus planen, bleiben wir zu Hause und wechseln Windeln. Auch die Betreuungssituation ist eine andere als bei älteren Müttern. Deren Mütter oder Verwandte sind bereits in Pension und können auf das Kind aufpassen. Unsere Mütter müssen arbeiten und unsere Freunde haben seit ihrer Kindheit keinen Spielplatz betreten.

Das bekommt Alessa, 23, oft zu spüren. Sie ist oft mit ihrer Tochter Janina alleine zu Hause. Als sie mit 21 ihr Kind bekam, ging ihr Verlobter weiter arbeiten, während sie zu Hause blieb. Oft abgeben konnte sie die Kleine nicht, weil auch ihre Mutter noch arbeitstätig war, ihre Oma zu alt und weitere Freunde oder Verwandte nicht nah genug waren. Als Janina sechs Monate alt war, ging Alessa wieder arbeiten. Zuerst geringfügig, jetzt sucht sie eine Teilzeitstelle. Sie wollen bald in eine größere Wohnung ziehen, Platz für drei Personen und einen Hund schaffen. Ob die Jobsuche einfach sei, frage ich sie. „Jein“, antwortet Alessa. Manchmal kommen seltsame Fragen bei Vorstellungsgesprächen: „Was heißt, der Betreuungsplatz ist gesichert? Was passiert, wenn das Kind mal krank wird?“

Julia erinnert sich auch an ähnliche Schwierigkeiten nach ihrem Umzug aus der Schweiz nach Wien: „In der Schweiz ist es normal, Kinder bald nach ihrer Geburt 40 Stunden in die Krippe zu geben und wieder arbeiten zu gehen. In Österreich merkt man noch stark diese zwei Klassen, besonders als Frau. Hier war meine Arbeit plötzlich weniger wert, weil ich keinen Magister, dafür aber ein Kind habe.“ Julia ist heute selbstständige District Managerin bei „Show Me The World“, wo sie Englischkurse für Kinder erstellt und vermietet.

 

„Du solltest deinen Ex wieder heiraten!“

Etwas anderes an Julias Situation lässt mich plötzlich an meine denken – die Männerlosigkeit. Schon oft wurde mir gesagt, ich solle doch meinen Ex heiraten und damit verhindern, dass mein Sohn nur von mir großgezogen wird. Davon kann auch Julia ein trauriges Lied singen. Sie sei nicht in der Lage, ihren Kindern dieselben Chancen zu bieten, wie Mütter mit Partner. Bei der Schwangerschaft ihres zweiten Sohnes kam der Vorwurf: „Wieso hast du nicht abgetrieben?“

Mit derselben Frage wurde auch ich am Anfang meiner Schwangerschaft konfrontiert. Bis heute verstehe ich nicht wieso. Warum sollte ich versuchen meinem damaligen Freund ein Kind unterzujubeln? Ich wollte nicht so früh schwanger werden, aber als ich die Nachricht erfuhr, wusste ich, ich werde es auf die Welt bringen. Das ist mein Kind, mein kleines, wundervolles Leben, das mit rasend schnellem Herzen in mir schlug. Meinem Freund wurde das zu viel. Er ging noch vor der Geburt. Als ich andere junge Mütter auf ihr Beziehungsleben anspreche, will keine darüber sprechen. Aus Erfahrung weiß ich, Männer bekommen Angst, ihre Jugend und Freiheit zu verlieren, können mit der Verantwortung nicht umgehen und sehen in der Flucht den einzigen Ausweg. So tat es der Vater meines Sohnes, so tun es viele junge Väter. Zurück bleiben wir – junge Mütter, die es niemandem recht machen können.

 

Fehler, na und?

Dafür haben es alle anderen richtig gemacht und sie scheuen nicht davor mir zu erklären, wie Erziehung richtig geht. Von gesunden Ohrfeigen und christlichen Werten ist dabei die Rede. Zucker soll ich ihm unters Essen mischen, damit er schneller zunimmt. Verhindern soll ich, dass er zu sehr verweichlicht und ja schön brav seine männliche Ader zum Vorschein kommt. Letzten Sommer, bei meiner Oma in Kroatien, kam es zu mehreren Streitereien, weil ich ihr nicht erlaubt habe, meinen fünf Monate alten Sohn mit Eis zu füttern. Dieses Jahr gab es neuen Streit, weil ich meiner Oma nicht erlaubte, seinen Schnuller in Wein zu tunken. Eis durfte er diesmal haben. Von jedem Urlaub komme ich geschafft und verunsichert zurück.

Auch Eva verspürte oft eine große Unsicherheit. All die Ratschläge und Besserwisser ließen sie nur noch mehr zweifeln. Die junge Frau wusste nicht mehr, was richtig und was falsch war. Ältere Leute im Bus fragten sie vorwurfsvoll: „Sollte sie nicht dickere Hemdchen anhaben?“, „Ist sie nicht zu jung um zu sitzen?“ Eva war verzweifelt: „Ein Kind zu haben ist wie ein Freibrief für Besserwisser und Moralprediger.“ Sie hat aus den negativen Erfahrungen gelernt und gibt mir den wichtigsten Tipp als Jungmutter mit auf den Weg: „Wir sind keine Roboter. Deswegen dürfen wir auch schwach sein und Fehler machen.“ Evas Satz tat gut.

 

Befehle statt Hilfe

Aber geht es nicht allen Müttern so, egal welchen Alters? Nein, meint Chantal. Ihr fällt immer wieder auf, dass ältere Mütter in den Baby-Kursen respektvoller behandelt werden. Es wird ihnen weniger reingeredet als ihren jungen Geschlechtsgenossinnen. Immer wieder bekam sie Ratschläge zu hören wie: Stell das Essen für deinen Mann pünktlich auf den Tisch, ernähre dein Kind anders, schlafe nicht untertags. Es scheint, als gäbe unser junges Alter anderen die Berechtigung, uns nicht nur Empfehlungen, sondern Anweisungen zu geben.

Die Stiftung für Zukunftsfragen hat 2012 zehn Länder in Europa nach ihrer Kinderfreundlichkeit befragt. Österreich fiel dabei auf den viertletzten Platz. Besonders Wien schneidet schlecht ab. Nur jeder fünfte Befragte hält die Stadt für kinderfreundlich. Das bekommen besonders junge Mütter zu spüren, weil sie nicht nur den Vorwurf des quengelnden Kindes, sondern auch der inadäquaten Mutter auf sich ziehen. Doch Alessa nimmt das gelassen. Während wir ihrer Tochter beim Rutschen auf dem Spielplatz zusehen und Dinkel-Brezeln knabbern, meint sie: „Wenn ich dumme Sprüche gehört habe, dann nur von Leuten, deren Meinung mir egal ist. Denn ich bin überzeugt: Das allerschönste auf der ganzen Welt ist Mutter zu sein.“ Und sie hat Recht! Trotz der schiefen Blicke, dummen Sprüche und blöden Vorurteile würde keine von uns gegen ein Leben ohne Kind tauschen. Denn während ihr alle auf Party-Tour seid oder den dritten Doktortitel vor dem ersten Kind habt, haben wir einen kleinen Sonnenschein und ewige, bedingungslose Liebe. Und wir müssen nicht mit dem Gehstock zur Maturafeier unserer Kinder.

 

Dipl. Hebamme Uschi Reim-Hofer von der Beratungsstelle „YoungMum“ erklärt, warum unsere Gesellschaft so feindselig auf junge Mütter reagiert.

 

biber: Warum richtet sich der Hass gerade auf junge Mütter?

R-H: Es ist in unserer derzeitigen gesellschaftlichen Struktur nicht vorgesehen, dass junge Frauen so jung Mütter werden. Je älter sie sind, umso Höher wird die Toleranz.

Andere Kulturen gehen mit der frühen Mutterschaft vergleichsweise selbstverständlicher um,, da frühe Mutterschaft zur kulturellen Geschichte dazu gehört.

 

Was sind die häufigsten Anfeindungsgründe?

Man traut ihnen aufgrund ihrer mangelnden Reife keine Verantwortung für ihr Kind zu. Es wird diesen Mädchen alles mögliche Beleidigende und Diskriminierende unterstellt. Dass das Alter alleine kein Entscheidungsgrund für eine Mutterschaft sein kann, liegt auf der Hand. Dass sie es viel schwerer haben sich in ihre Rolle hineinzufinden, ist auch klar. Es wird ihnen aber erheblich erschwert, wenn sie von außen heruntergezogen werden und nicht die Unterstützung bekommen, die sie bräuchten.

 

Was kann eine junge Mutter machen, an welche Stellen kann sie sich wenden?

Junge Mütter haben meistens Angst, sich einem Vertrauten mitzuteilen, deshalb bieten wir ihnen die Möglichkeit, sich an uns zu wenden, um Hilfe und Beratung zu bekommen.

 

Info im Web:

YoungMum -  www.khgh.at

FEM-Semmelweisklinik -  www.fem.at

Städtische Eltern-Kind-Zentren - www.wien.gv.at/menschen/magelf/baby/ekizent.html

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Kommentare

 

Mein "Teenager werden Mütter"-Vorurteil ist gebrochen :)

 

Danke für den Artikel, ich bin auch eine junge Mama und habe mich in vielen Dingen wiedererkannt. Besonders den Gegensatz zwischen den "24h-über-drüber-Dinkelkeks-Mamas" und den Müttern der "Hoppala-Kinder", die neben Kinderwagenschieben noch 10.000 Sachen in ihrem Leben machen, kann ich aus Erfahrung bestätigen ^^  

 

All jenen, die sehr früh oder ungeplant Eltern werden, möchte ich sagen, dass ich meine Entscheidung nie bereut habe und nicht den Eindruck habe, dass ich aufgrund des Kindes jemals auf etwas verzichten musste. Sogar auf ein 2-monatiges Stipendium in die Türkei habe ich meinen Sohn "einfach" mitgenommen und dort eine Betreuung organisiert. Natürlich kostet ein Kind Zeit, Kraft und Geld und vor allem Nerven, aber gleichzeitig spornt es einen zu Höchstleistungen an und freie Zeit, sobald es sie gibt, so angenehm wie möglich zu gestalten. Ich bin mir sicher, dass Zeit, die man aufgrund eines kleinen Kindes nicht an, ohne Kind genauso aber eben für komplett stumpfsinnige Sachen draufgeht. 

 

Ich weiß für mich, dass ich nicht so eine typische "Mom" bin, dennoch leben sowohl mein 3-jähriger Bub als auch ich sehr gut damit. Auf den Respekt anderer Leute bin ich daher nicht angewiesen, ein vom Boden aufgeklaubtes Herbstblatt, ein feuchtes Bussi oder einen meterlangen Anlauf für eine Umarmumg beim Abholen entschädigen für alles :)

 

 

 

 

 

 

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