„ÖSTERREICHER SIND ZU NETT“

04. Mai 2016

Die Journalistin Tanya Kayhan über „sexuelle Armut“ in ihrer Heimat, die „guten“ Afghanen und warum es Wertekurse vom ersten Tag an braucht. Die Vergewaltigung einer Frau durch drei junge Afghanen am Praterstern schockte Wien.

Von Simon Kravagna

Tanya Kayhan
Foto by Franz Weingartner
Während ihre Freundin Geld vom Bankomaten holt, geht eine junge Studentin aus der Türkei noch schnell auf die öffentliche Toilette. Es ist spät nachts am Praterstern. Drei junge Manner, Maisam S. (15), Mohammes S. (17) und Hossein G. (26) folgen der Studentin laut Polizeiangaben unbemerkt, vergewaltigen und verletzen sie. Die drei verdächtigen Asylwerber aus Afghanistan sind derzeit in U-Haft. Wie kann so etwas passieren?

BIBER: Tanya, du bist aus Afghanistan und kennst „eure“ Männer. Ist es nur ein Zufall, dass Afghanen derzeit häufig als Sexualstraftäter in Medienberichten vorkommen?
TANYA KAYHAN: Vor allem viele junge Männer aus den Dörfern, die jetzt nach Österreich kommen, haben durch die Herrschaft der Mujaheddin oder Taliban praktisch seit mehr als 20 Jahren keine freien und selbstbestimmten Frauen in der Öffentlichkeit gesehen. Es ist in unserer Heimat so gut wie unmöglich eine Beziehung vor der Ehe zu haben, viele Männer können sich nicht einmal eine Hochzeit leisten. Es gibt eine Art sexuelle Armut in meiner Heimat. Und hier ist plötzlich alles anders.

 

Aber eine Vergewaltigung ist ja auch in Afghanistan verboten.
Selbstverständlich: Das ist auch bei uns ein schweres Verbrechen und absolut geächtet. Auch alle Afghanen in Wien, die ich kenne, verurteilen diese furchtbare Vergewaltigung am Praterstern. Aber: Wir haben ein Problem. Vor allem wenn Flüchtlinge aus ländlichen Regionen kommen, haben viele ein völlig anderes Bild von Frauen. Für viele dieser Männer ist eine gute Frau eine islamisch bekleidete Frau, die zu Hause ist und auf ihren Mann hört. Liberale Frauen hingegen sind schlecht für viele dieser Männer, weil sie sich modern kleiden, au.er Haus arbeiten und frei sind. Dies gilt auch für liberale afghanische Frauen wie mich. Denn wir sind gebildet, frei und kämpfen für unsere Rechte.

 

Ist es dann nicht verständlich, wenn viele Österreicher keine Afghanen mehr wollen?
Wie gesagt, auch unter den Afghanen wird das absolut verurteilt. Wir bemühen uns intensiv um gute Beziehungen zu den Österreichern, wir sind sehr dankbar, dass wir hier eine neue Heimat finden und dann machen einige Verbrecher alles kaputt.


Warum kommen so viele Afghanen nach Österreich?
Bei uns ist Krieg. Das Leben ist seit Jahrzehnten unerträglich. Europa und Österreich wirken wie magische Orte: Dort ist es sicher, sauber und schön. Man wird die afghanischen Flüchtlinge nur stoppen k.nnen, wenn man den Krieg stoppt.

Ist es nicht leichter die afghanischen Flüchtlinge als den Krieg in Afghanistan zu stoppen?
Nein. Die Menschen werden immer Wege finden, um hierher zu kommen.

Wenn du Integrationsministerin wärst: Was würdest du tun?
Innerhalb der ersten paar Tage in Österreich müssten alle Flüchtlinge aus Afghanistan einen intensiven Wertekurs bekommen. Es muss ganz schnell klar gemacht werden, was hier anders ist und wie man sich zu benehmen hat. Derzeit passiert dies entweder gar nicht oder viel zu spät. Man muss auch streng sein, die Österreicher sind oft zu nett. ●


WER IST TANYA:
Tanya Kayhan ist Absolventin der biber-Akademie und arbeitet für den Wiener TV-Sender W24 und Okto TV. Zudem ist Kayhan in der Vernetzung afghanischer Vereine aktiv und kämpft für Frauenrechte in ihrer Community. Vor ihrer Flucht nach Österreich war Kayhan TV-Redakteurin und moderierte Nachrichten für den afghanischen staatlichen TV-Sender 1 TV sowie für Voice of America in
Kabul.

 

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