Papa, die bessere Mama

03. Oktober 2018

 Vor zehn Jahren wurde mein Leben auf den Kopf gestellt: Meine Eltern haben sich getrennt und mein Vater wurde über Nacht zum Alleinerzieher.


von Sarah Wagner

„Und, wie geht´s dir mit deiner neuen Rolle als Hausfrau?“. Ich dachte, ich hätte mich verhört. Ich saß mit einer üblen Grippe im Wartezimmer einer Arztpraxis, bestimmt lag es an den Ohrenschmerzen. „Was meinst du mit Hausfrau?“, fragte ich den Mann neben mir. Er wohnte im selben Dorf wie ich, nur ein paar Häuser weiter. „Na, jetzt wo deine Mama weg ist…“, nuschelte er. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.

Familie, Brücke, Alleinerzieher

Meine Mutter hatte uns wirklich verlassen - mich, meinen kleinen Bruder und meinen Vater. Aber deswegen wollte ich nicht heulen. Ich war einfach die Vorurteile leid, mit denen wir ständig zu kämpfen hatten. Sie bestimmten jede Konversation und ich hatte oft das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen, allen zu versichern, dass es mir und meinem Bruder gut geht und wir nicht verwahrlosen, nur weil wir ohne Mutter leben. Heute ärgere ich mich darüber, erzähle gerne und stolz, dass ich bei einem alleinerziehenden Vater aufgewachsen bin. Mein Papa hat aus uns – trotz einiger Schwierigkeiten – tolle Menschen gemacht und ich könnte nicht dankbarer sein.

Die Angst im Nacken

Wenn ich sage, dass meine Mutter uns verlassen hat, ist das meine Version der Geschichte. Eigentlich haben meine Eltern sich getrennt – nach 20 Jahren Beziehung – nur habe ich seitdem ein sehr schlechtes Verhältnis zu meiner Mama. Derzeit haben wir gar keinen Kontakt mehr. Das war vor zehn Jahren und ich war damals schon 15, mein Bruder erst neun, meine Schwester elf. Wir durften uns aussuchen, bei welchem Elternteil wir bleiben wollten und meine Schwester entschied sich notgedrungen für meine Mutter. Sie wollte sie nicht alleine lassen.

Alleinerziehende Väter sind immer in der Minderheit und nicht gesellschaftlich präsent oder repräsentiert. Wenn in Filmen alleinerziehende Väter gezeigt werden, dann nur, weil die Mutter verstorben ist. Dass auch Mütter ihre Familie verlassen, wird öffentlich tabuisiert. Viele Leute behaupten gerne, Kinder würden zu ihrer Mutter gehören. Papa meint, deswegen stehen alleinerziehende Väter noch mehr unter Beobachtung als alleinerziehende Mütter: „Ich hatte immer die Angst im Nacken, dass man mir euch wegnimmt, weil irgendjemand meint, ich würde das nicht schaffen.“  Mein Vater weiß, dass seine Angst vor dem Jugendamt irrational war, trotzdem bestimmte sie unseren Alltag: Wir mussten immer übertrieben ordentlich angezogen sein und unser Haus war immer blitzblank – fast steril – sonst könnten LehrerInnen oder NachbarInnen denken, wir würden verwahrlosen.

Organisationstalent

Mein Papa ist seinem Vollzeitjob im Maschinenbau nachgegangen, hat den Haushalt geschmissen und meinen Bruder und mir jede freie Minute geschenkt: „Mit dem Wissen von heute würde ich alles noch besser organisieren, um mir mehr Zeit für euch zu nehmen.“ Ich weiß wirklich nicht, was er damit meint, wir haben immer viel gemeinsam unternommen. Ich kann die Fußballspiele, die mein Papa von uns verpasst hat, an einer Hand abzählen. Er hat mich fast täglich zum Reitstall gefahren und mit meinem Bruder Latein gelernt. Papa hatte sogar eine wöchentliche Reinigungskraft engagiert: „Das Geld war es mir Wert. Die Zeit, die ich zum Putzen gebraucht hätte, konnte ich dann mit euch verbringen.“ Meine Mutter hatte uns in einer finanziellen Katastrophe zurückgelassen, was die Situation erschwerte. Seine Urlaubstage nutzte Papa für einen Zweitjob, obwohl er gut verdient. Unsere Lage war wirklich schlimm. Aber jetzt, einige Jahre später, nimmt mein Vater sich die Zeit, die er als Alleinerzieher mit zwei Kindern nie hatte: Er fährt leidenschaftlich Rennrad, geht oft auf Konzerte, macht einen Paragliding-Kurs und frischt sein Englisch in der VHS auf.  

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Helikopter-Papa

Was ist nun der Unterschied zwischen alleinerziehenden Vätern und Müttern? „Mütter werden – meiner Meinung nach – öfter bemitleidet, während die Leute bei Vätern immer darauf warten, dass sie scheitern“, sagt Papa. „Aber das ist sexistisch: Warum sollte ein Vater nicht genauso gut in Kindererziehung und Haushaltsführung sein?“. Schon vor der Trennung gab es in unserer Familie keine traditionelle Rollenverteilung, daher blieb der Haushalt – wie mein lieber Nachbar dachte –nicht an mir hängen, nur weil ich eine Frau war. Ganz im Gegenteil: Mein Vater hat uns in dieser Hinsicht rundum verwöhnt. Als ich zum Studieren ausgezogen bin, konnte ich weder eine Waschmaschine, noch ein Bügeleisen bedienen, kochen vermeide ich bis heute. Papa hat das alles für uns übernommen. Er hat mir sogar bis zur Matura morgens die Jause fertig gemacht. Mein Bruder musste das jetzt alles lernen, weil Papa befürchtete, dass er später „auch so verloren mit dem Haushalt“ sein würde, wie ich es war.

Wir waren also weit entfernt vom Verwahrlosen. Papa ist eher ein Helikopter-Vater. „Ich versuche wirklich, es abzuschalten, aber ich mache mir einfach immer Sorgen um euch“, gibt er regelmäßig zu. Er unterstützt mich uneingeschränkt, aber richtig glücklich war er nicht damit, dass ich zum Beispiel für Praktika nach Dubai oder London gegangen bin. Wenn mein Bruder am Wochenende ausgeht, macht er kein Auge zu, bis er ihn nachts heimkommen hört. Als ich mal einen kleinen Fahrradunfall hatte, schickte er mir per Post sofort einen neuen Helm. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Eltern vor der Trennung so überbesorgt waren. Und ich nehme das meinem Vater auch nicht übel, das ist eigentlich nur die logische Konsequenz, wenn man die alleinige Verantwortung für zwei Kinder übernimmt.

Happy Family?

Papa hatte meinem Bruder und mir nie das Gefühl gegeben, dass wir mit irgendeinem Problem nicht zu ihm kommen konnten, dass irgendetwas peinlich wäre - ob schlechte Noten, Liebeskummer oder Zukunftsängste: Mein Papa war immer meine Vertrauensperson – und ist sie noch heute. Kommunikation war in unserer kleinen Familie sehr wichtig, das gemeinsame Abendessen Pflichtprogramm. Mein Papa hält mit mir und meiner Schwester sehr engen Kontakt, er ruft uns jeden zweiten oder dritten Tag an: „Ich wollte nur mal horchen, wie‘s dir geht“, meldet er sich immer. Manchmal quatschen wir eine Minute, manchmal eine Stunde. Ich genieße es sehr, dass mein Vater trotz der Entfernung noch Teil meines Alltags ist. Auch mich und meine Schwester hat die Trennung ironischerweise sehr eng zusammengeschweißt. Ich vermisse sie und meinen Bruder. Manchmal so sehr, dass es weh tut.

Mein Vater und ich haben natürlich auch gestritten, allerdings selten über den üblichen Teenager-Kram, sondern über meine Mutter. Mein Vater hat alles getan, um einem Rosenkrieg zu verhindern. Ich wollte eigentlich nichts mehr von meiner Mutter wissen, aber Papa hat mich beinahe gezwungen, sie einmal pro Woche anzurufen, das endete fast immer in Geschrei und Tränen. Heute habe ich vor seinem Verhalten damals den größten Respekt: Ihm war nichts wichtiger, als dass wir eine gute Beziehung zu unserer Mutter aufrechterhielten. Zu einer Person, die ihn so sehr verletzt und enttäuscht hat. Ich kann mir kaum vorstellen, wie viel Kraft es gekostet haben muss, sich diese Wut vor uns nicht anmerken zu lassen. Er sagt oft, wie stolz er auf uns ist: „Ich wollte euch zu selbstbestimmten, selbstbewussten und selbstständigen Menschen zu erziehen.“ Ich glaube, das hat mein Papa geschafft.  Und wir sagen ihm wahrscheinlich nicht oft genug, wie unendlich dankbar wir für alles sind, was er für uns getan und wie er sich für uns aufgeopfert hat. Danke, Papa.

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