PUTZ DI‘, WENN DU EIN PROBLEM HAST

21. Oktober 2020

Emina, Ulaş und Nora putzen, genauso wie es ihre Eltern taten – und sind stolz drauf.

Text: Naz Küçüktekin, Fotos: Zoe Opratko

"Ich helfe meiner Mutter seit meinem siebten Lebensjahr beim Putzen“, erinnert sich Ulaş. Der 33-jährige Wiener Türke ist groß, breit gebaut und aufgewachsen in Ottakring beziehungsweise „OK“, wie er es nennt. Er ist der Letzte, von dem man auf den ersten Blick erwarten würde, dass er in seinem Leben schon viel geputzt hätte. Das Saubermachen, privat oder beruflich, wird hierzulande oft den Frauen zugeschrieben. „Meintest du Putzfrau?“, fragt selbst Google, wenn man nach einer Putzkraft im Internet sucht. Ulaş kann darüber nur müde lachen.

Laut dem Experten für Schattenwirtschaft Friedrich Schneider von der Johannes-Keppler-Universität in Linz (JKU) sind 90 Prozent aller Haushaltshilfen nicht offiziell beschäftigt. Er geht von bis zu 400.000 Menschen aus, die „privat“ putzen gehen, was für diese Arbeiterinnen und Arbeiter bedeutet, dass sie weder kranken- noch pensionsversichert sind. In akademischen Kreisen innerhalb des Gürtels muss man lange nach einem Haushalt suchen, der nicht auf fremde Hände angewiesen ist, wenn es um Ordnung und Sauberkeit in den eigenen vier Wänden geht.

Trotzdem hat der Job einen schlechten Stand in der Gesellschaft. „Die Putze“ steht ganz unten in der sozialen Hierarchie. „Putzen hat eine sehr lange Tradition. Früher waren es die Diener, die das gemacht haben“, erklärt der Soziologe Kenan Güngör. Das Ansehen eines Jobs hängt sehr stark mit dem dafür nötigen Bildungsgrad oder mit dem damit erreichbaren Einkommen zusammen. „Diese beiden Faktoren sind 
bei Putzpersonal oft nicht besonders hoch, spielen aber eben eine große Rolle, was die soziale Anerkennung betrifft. Das sieht man z.B. im Vergleich mit den Müllmännern. Die machen theoretisch auch sauber, verdienen aber sehr gut und haben dadurch gleich einen viel besseren gesellschaftlichen Stand“, so Güngör.

„MENSCHEN GRÜSSEN MEINE MUTTER OFT NICHT MAL.“


Boden aufwischen und Fenster reinigen gehören für Ulaş schon von klein auf zu seinem Alltag. Seine Mutter ist vor 27 Jahren nach Österreich gekommen und seither übt sie den knochenharten Beruf aus. Stolz erzählt ihr Sohn, mit wieviel Hingabe und Genauigkeit sie arbeitet. „Als sie mal krank war, haben wir uns bei uns Zuhause eine Putzkraft genommen. Was hat Mama gemacht? Natürlich nochmal hinterhergeputzt, als sie weg war“, lacht er. Ulaş ist einer der wenigen, denen seine Mutter beim Putzen wirklich vertraut. Deswegen „darf“ er auch ab und zu statt ihr ran. „Sie würde mich nie als Vertretung nehmen, wenn sie nicht wüsste, dass ich alles genauso gut mache wie sie“, erklärt er. Immer wieder betont der sanftmütige Vorzeigesohn, wieviel er durchs Putzen gelernt hat. „Als ich ausgezogen bin, war es kein Problem für mich, meine eigene Wohnung zu putzen. Und auch als ich beim Bundesheer war, hat ein Kommandant mich und einen anderen mal zum Kloputzen eingeteilt. Für mich keine große Sache. Der Kollege aber meinte, das sei doch Frauensache. Daraufhin musste er die Klos allein Putzen“, grinst Ulaş verschmitzt. 

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Ulaş' Mutter Putzt seit 27 Jahren. Er hilft mit. (Foto: Zoe Opratko)

Einige Zeit lang arbeitete der Ottakringer auch selbst in der Branche als Reinigungskraft in einer Schule. Mittlerweile ist der 33-Jährige im Tech-Support bei der Firma Siemens tätig. Seiner Mutter steht er aber noch immer zur Seite. „Es ist selbstverständlich, dass ich ihr helfe. Das macht die ganze Familie. Dann ist sie auch schneller fertig“, erklärt er. Im Laufe des Gesprächs merke ich aber immer wieder, dass
 es hier nicht nur um die Arbeit
 geht. Denn oft ist Ulaş auch das
 Sprachrohr für seine Mutter, 
steht für sie ein, wenn sie es nicht kann. „Wir hatten mal einen Auftrag für eine Wohnung im ersten Bezirk. Und der Gazda (Hausherr) hat dann gleich begonnen, mit meiner Mutter in gebrochenem Deutsch zu reden. So auf ‚machst du so, putzt du da‘. Ich stand da noch draußen. Als ich das gehört habe, bin ich rein, und habe gefragt, ob das nicht auch ein bisschen freundlicher ginge. Ich mein, der Typ war ein Professor“, zeigt Ulaş sich verwundert. Bei einem anderen Einsatz war es auch Ulaş, der für die Arbeit seiner Mutter mehr Geld verlangte, als sie eine Wohnung zusätzlich putzen sollte, man ihr aber nicht mehr bezahlen wollte. „Die Leute denken: ‚Sie ist ja eh nur eine Putzfrau.‘ Menschen grüßen meine Mutter oder generell Putzfrauen oft nicht mal. Oder sie tun so, als ob sie nicht da wären. Dabei würde ohne diese Arbeit die ganze Gesellschaft nicht funktionieren“, sagt Ulaş.

„Das gilt eigentlich für jeden Job. Aber Menschen erkennen das erst, wenn eine Knappheit herrscht. Man hat das in der Corona-Zeit gut bei Pflegern gesehen. Ein ähnlich harter Job, der erst Anerkennung bekam, als es einen Mangel gab“, erklärt Güngör die fehlende Wertschätzung.

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Foto: Zoe Opratko

„ICH HABE DAS VON IHR.“

„Wenn ich beginne zu sprechen, sind viele mal überrascht, dass ich Deutsch kann“, erzählt Nora. Sie ist 22, im Burgenland als Tochter einer Kroatin und eines Österreichers aufgewachsen und passt gar nicht in das Bild einer typischen Putzfrau. Jung, stylisch gekleidet und selbstsicher sitzt sie mir gegenüber. „Das Klischee ist schon die ältere ausländische Frau,
 die kein Deutsch kann. Und dann komme ich“, lächelt Nora. „Die Leute müssen nicht mal was sagen. Ich sehe sofort an ihren Gesichtern, dass sie nicht jemanden wie mich erwarten.“

Manchmal könne das ganz lustig werden, und in manchen Fällen unangenehm. „Letzens zum Beispiel hatte ich einen Auftrag, wo es keinen Wischmopp und Putzkübel vor Ort gab. Also musste ich welche besorgen und als ich dann mit den Sachen über die Straße ging, lachte mich eine Gruppe von Jungs aus. Hätte ich es nicht eilig gehabt, hätte ich schon gefragt, was das soll“, erzählt Nora. Die Burgenländerin ist eine Ausnahme im Putz-Business: Eine junge Frau, die sich freiwillig ausgesucht hat, Vollzeit als Reinigungskraft zu arbeiten und davon gut leben kann. 15 Euro verlangt sie in der Stunde, ist versichert und versteuert ihr Einkommen. Damit geht es Nora besser als vielen anderen. Laut einem Bericht der Arbeiterkammer wird jeder zehnten Putzkraft ihr Lohn nicht korrekt abgerechnet. Ihnen geht es zudem gesundheitlich überdurchschnittlich schlecht und mehr als zwei Drittel können sich nicht vorstellen, den Job bis zur Pension durchzuhalten.

Bei Nora ist dies nicht der Fall. „Mit circa 15 habe ich fürs Taschengeld bei Freunden und Verwandten begonnen. Mit der Zeit wurde es dann immer mehr. Irgendwann musste ich zwischen meinem Studium als Freizeitpädagogin und dem Putzen entscheiden. Jetzt bin ich seit drei Jahren als Reinigungskraft selbstständig“, so Nora. In der Familie gab es keine Kontroverse um ihre Berufswahl. „Die haben das eh schon kommen gesehen und fanden es gut, dass ich einen Job mache, der mir Spaß macht.“ Zudem war sie nicht die erste in der Familie, die als Putzkraft zu arbeiten begonnen hat. „Meine Mutter ist während des Bosnienkriegs herkommen und hat anfangs auch geputzt. Meine Ur-Oma hat das sogar ihr ganzes Leben lang gemacht. Ich glaube, von der habe ich das auch.“ Putzen über Generationen hinweg.

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Viele sind überrascht, dass Nora Deutsch kann. (Foto: Zoe Opratko)

Ihre Berufswahl verstehen trotzdem die Wenigsten. „Ich muss schon immer erklären, wie und warum ich das mache. Grad bei Männern kommt das auch oft komisch. Aber in der Regel verstehen es die meisten dann. Deshalb finde ich es wichtig, darüber zu reden. Es ist ein toller Job, der mehr Aufklärung braucht. Wir sind mehr als nur Menschen mit einem Besen in der Hand.“

„ICH KÖNNTE NIE 
EINEN ANDEREN JOB 
MACHEN.“


Nora macht ihren Job aus Leidenschaft, das merkt man im
Gespräch mit der quirligen Eisenstädterin sehr schnell. „Die Fensterleisten zu putzen macht einen
 wirklich großen Unterschied, da 
schaut der ganze Raum gleich
 besser aus“, erzählt sie mir. Jeder
 Fleck, wie klein und wo auch 
immer er ist, muss entfernt werden. „Und mit Essig und Wasser
lassen sich Fenster am besten putzen“, ist sich Nora sicher. Sie sieht in ihrem Beruf eine erfüllende Tätigkeit, die sie auch noch fit halte und sinnstiftend sei. „Ich könnte einfach nie einen Job machen, wo ich nur sitze. Ich muss mich bewegen. Außerdem sieht man beim Putzen am Ende des Tages genau, was man gemacht hat“, betont Nora, die 30-40 Stunden wöchentlich putzt, um grinsend hinzuzufügen: „Schlecht verdient man auch nicht.“

Durch die Corona-Krise bekam ihre Firma sogar noch mehr Aufträge. „Während des Lockdowns merkten viele, wie wichtig ihnen doch ein sauberes Zuhause ist. Auch kam hinzu, dass viele Putzfrauen aus Ländern wie der Slowakei oder Polen nicht mehr einreisen konnten“, macht mich Nora auf den Personalengpass aufmerksam. Sie bräuchte eigentlich jemanden, der bei ihr mithilft. Aber es sei schwer – trotz ihrer persönlichen Begeisterung fürs Putzen – jemanden aus der österreichischen Bevölkerung zu finden. „Die Menschen vertrauen uns doch sehr Privates an. Deshalb bin ich sehr vorsichtig, wen ich einstelle. Aber irgendwann ist es schon mein Ziel, mehrere Mitarbeiter zu haben“, so Nora.

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Nora: "Ich könnte nie einen anderen Job machen!" (Foto: Zoe Opratko)

„ICH BIN NUR EINE PUTZFRAU, MEHR KANN ICH NICHT.“


Für Emina war das Putzen Mittel zum Zweck. Die 24-jährige Bosniakin finanzierte sich dadurch ihr Studium. Als geringfügig Angestellte war sie für die Reinigung eines Kindergartens zuständig. Eine Stelle, die zuvor ihre Mutter innehatte. Als Emina öffentlich genau darüber twittert, tritt sie regelrecht eine Welle der Solidarität los: „Ich rede eigentlich nie öffentlich darüber, aber ich arbeite derzeit als Reinigungskraft und jedes Mal, wenn ich es jemanden erzähle, kommt zuerst ein gesenkter Blick und ein ‚ah ok‘. Und
 ich habe das Gefühl, ich muss mich dafür schämen?“ Mit diesen Zeilen beginnt die Publizistikstudentin ihre öffentliche Kritik daran, dass der Putzberuf nach wie vor so geringgeschätzt wird. Die wenigen Sätze liefern einen Eindruck über das Leben und den sozialen Status der vorwiegend weiblichen Putzkräfte. Sie erzählen von der harten Arbeit, die die Saubermacher*innen verrichten, von den Vorurteilen und Herabwürdigungen, mit denen sie zu kämpfen haben und davon, was eine Arbeit, die von der Gesellschaft nicht gewürdigt wird, mit einem Menschen macht. „So ein Job schwächt wirklich das Selbstbewusstsein. Man glaubt dann sehr schnell, was die anderen drüber sagen und ist dann selbst irgendwann der Meinung: ‚Ich bin nur eine Putzfrau, mehr kann ich nicht‘“, sagt Emina mit einem Kopfschütteln.

„Die Peer-Group, also mit welchem Umfeld man sich vergleicht, ist hier entscheidend“, kommentiert Güngör. In Eminas Fall waren das ihre Studienkolleg*innen, von denen die meisten in ganz anderen Jobs arbeiteten. „Besonders schlimm treffen es Menschen, die vorher gesellschaftlich höhergestellt waren, also zum Beispiel Akademiker, und die dann putzen müssen. Diesen ‘Abstieg‘ sehe ich oft bei Menschen, die aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Österreich gekommen sind“, fügt Güngör noch hinzu.

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Foto: Zoe Opratko

„Ja, ist so“, stimmt Ulaş ein, als ich ihm Eminas Tweets zu lesen gebe. Und von Nora kommt nach jedem runterscrollen ein: „Das trifft es komplett.“ Emina beschreibt in ihren Tweets das Leben, das gerade viele Migrantenkinder gut kennen und berührt damit einen wunden Punkt. Ulaş, Nora und Emina kennen alle die Momente, wenn die Mutter erschöpft nach Hause kommt. Die eigene Mutter, der man eigentlich einen nicht so anstrengenden Job wünschen würde, aber man weiß genau, sie traut sich nicht mehr zu oder macht es nur für „uns“, für ihre Kinder, die erfolgreich ihren Weg beschritten haben und keine Schamgefühle empfinden, wenn sie selber den Besen oder Staubsauger in die Hand nehmen. 

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Emina wehrt sich gegen verschämte Blicke, wenn sie jemandem von ihrem Nebenjob erzählt. (Foto: Zoe Opratko)

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