QUO VADIS AUSTRIA

19. August 2015

„Die Feigheit fragt ‚Ist es sicher?‘ Der Opportunismus fragt ‚Ist es diplomatisch?‘ Die Eitelkeit kommt dazu und fragt ‚Ist es populär?‘ Doch das Gewissen fragt nur ‚Ist es richtig?‘ Und es kommt eine Zeit in der man eine Position einnehmen muss, die weder sicher, noch diplomatisch, noch populär ist, die man jedoch einnehmen muss, weil einem das Gewissen sagt, dass sie richtig ist.“ (Martin Luther King Jr.)

Von Heinz Patzelt

Es gibt in Österreich eine zunehmende Anzahl von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die mit ihren Gemeinden im Sinne dieses berühmten Satzes handeln, die aktiv anbieten, Flüchtlinge aufzunehmen oder bei Zuteilung „ja“ sagen. Sie setzen Initiativen, reden mit ihren Einwohnern, richten Empfangskomitees ein, organisieren Deutschkurse, machen einfach einen tollen Job. Sie tun dies nicht, weil sie dazu verpflichtet wären, weil ihre Landeshauptleute sie dazu gedrängt haben oder weil sie beste Unterstützung vom Bundesstaat bekämen, sie tun das obwohl häufig genau das Gegenteil der Fall ist. An einige der vielen anderen Menschen, die diesen grundlegenden Satz nicht kennen oder nicht verstehen wollen, hätte ich nach Veröffentlichung unseres Amnesty-Berichtes zu „Traiskirchen und das österreichische Flüchtlingssystem“*) doch noch ein paar offene Fragen:

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrter Herr Vizekanzler!
Regieren Sie dieses Land noch? Oder sind Ihre Pressestellen gerade auf Urlaub? Oder finden sie einfach nur, dass Sie die von Amnesty International beschriebene Situation in Traiskirchen nix angeht? Oder meinen Sie so wie die Frau Innenministerin, dass das nur ein administratives Thema ist, dass am besten von zuständigen Beamten kommentiert wird?

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Steßl, sehr geehrter Herr Staatssekretär Mahrer!
Ich weiß, dass Sie beide menschenrechtlich recht gut informiert und engagiert sind – könnten Sie bitte Ihren beiden Chefs ein bisserl auf die Sprünge helfen?

Sehr geehrter Herr Finanzminister!
Wäre es vielleicht möglich, dem Innenministerium ein zusätzliches Krisenbudget von ca 100 – in Worten ein hundert - Euro einzuräumen? Damit könnten dann zwei Wartenummern- Ausgabemaschinen aus einem aerarischen Lagerraum in Stand gesetzt und vor der Registratur und der Essensausgabe im Lager montiert werden und die Menschen müssten sich nicht mehr entscheiden, ob sie morgen lieber etwas zu essen bekommen oder ihren verletzten Fuß behandeln lassen. 10 m² matte Klebefolie für die Fenster der Frauenduschen könnten damit vielleicht auch noch angekauft werden . . .

Sehr geehrte Frau Innenministerin!
Könnten Sie Ihre guten Beziehungen zu Ihrem slowakischen Amtskollegen bitte dafür nützen, ihm zu erklären wie man selbst Asylverfahren durchführt anstatt mit ihm brandgefährliche Auslagerungsdeals von Schutzsuchenden in eine Gemeinde zu machen, in der die Konflikte mit den eigenen Minderheiten gerade brodeln? Machen sie doch diesen Deal mit dem absolut aufnahmeunwilligen Großbritannien, das wär mal was, da würden sogar wir bei AI laut applaudieren!

Sehr geehrter Herr Landeshauptmann Pröll!
Ich versteh schon, dass Wahlergebnisse viel wichtiger sind als ein paar Flüchtlinge die noch ein paar Wochen länger im Dreck am Boden schlafen – aber vielleicht könnten Sie die – wegen merkwürdiger Schlampereien notwendige – Nachwahl in Baden vorverlegen, damit dort das ehemalige Landespflegeheim mit seinen 250 Betten und die leerstehenden Liegenschaften in der Martinek Kaserne endlich zur Quotenerfüllung von NÖ beitragen können?

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Häupl!
Wien übererfüllt seine Aufnahmequote ja dankenswerter Weise tatsächlich – vielleicht könnten Sie mit Ihrem Freund und Kollegen in NÖ ein bisserl rechnen üben – wär super! Aber warum heißt es überall, dass freiwillig angebotene Privatquartiere in Wien derzeit nicht gewünscht sind – sind Quoten wirklich wichtiger als Hilfsbereitschaft?

Sehr geehrter Herr LH Pühringer!
Was wäre, wenn sie Ihre Stimme und Ihre Emotionen dafür einsetzen noch ein paar Bürgermeister*innen mehr in Oberösterreich zu überzeugen, statt über die unzweifelhaft absurden administrativen Verzögerungen im BMI zu toben? Des bringt nix, sag ich Ihnen, ich kenn mich da jetzt ein bisserl aus.

Sehr geehrter Herr Landeshauptmann Nissl!
Nein, zu Ihnen fällt mir einfach gar nichts ein, was in einer sinnvollen menschenrechtlichen Debatte zu klären wäre, tut mir leid!

Und an die anderen Landeshauptleute:
Kommt es Ihnen wirklich ausreichend vor, in der täglichen Quotendiskussion meist nicht vorzukommen, weil Sie weder an erster noch letzter Stelle stehen, weil bei Ihnen gerade nicht Wahlkampf ist, Sie nicht noch höhere Funktionen anstreben, weil es einfach viel bequemer ist, sich eine Bundesregierung zu halten, die für all das was Sie nicht zusammenbringen, den Kopf hin halten  muss. Glauben Sie wirklich, dass Asyl keine völkerrechtliche Verpflichtung ist, sondern ein freiwilliger Sozialakt, den man huldvoll gewährt, wenn einem grad danach ist?

Und, by the way:
Dear Mr. Primeminister Cameron!
Könnten Sie sich bitte umgehend entscheiden, ob Großbritannien ein Teil der Europäischen Union mit all ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen sein will oder nicht - ein bisserl schwanger geht nicht, sagt man bei uns in Österreich. Und wenn Sie es dann wissen, könnten Sie bitte aufhören, jede vernünftige, faire und solidarische Lösung der Flüchtlingsverteilung in der EU zu sabotieren? – und bitte besprechen sie das auch gleich mit ihrem Kollegen Orban in Ungarn! Und vielleicht könnten Sie auch aufhören, die französische Polizei auf Menschenjagd am Eurotunnel-Portal zu schicken?

Sehr geehrter Herr Premierminister Orban!
Können Sie sich noch erinnern, wie es damals auf der anderen Seite des Eisernen Vorhanges war? Offensichtlich nicht – ich glaub, dass dann das Stellen weiterer Fragen eher sinnlos ist.

Herr Jeannée!
Bei Ihnen schaff ich einfach kein „sehr geehrter“, ich hab auch keine Frage, die Sie beantworten könnten. Aber einen Punkt hätte ich gerne klargestellt: Sie können gerne mich beflegeln und beschimpfen, wenn ihnen das Genugtuung verschafft, aber lassen Sie bitte meine Kolleginnen und unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit ihren Lügenmärchen in Ruhe. Da hört sich für mich der Spaß nämlich auf. Den Rest klären wir auf anderer Ebene. Ich verbleibe ohne große Hoffnung auf vernünftige Antworten sowie mit freundlichen Grüßen Heinz Patzelt Generalsekretär Amnesty International Österreich, der hier ganz persönlich neugierig ist

*) www.amnesty.at/de/traiskirchenbericht

 

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Kommentare

 

Tu felix Austria! - das Beste was ich zu diesem Thema seit Monaten gelesen habe.....Chapeau und weiter so..:-)
einzig was mir noch gefehlt hat....: Sehr geehrte Hilfsorganisationen, Caritas & Co...Danke, dass ihr so geduldig und obrigkeitstreu seid und draußen vor der Tür wartet und die Unmengen von privaten Spenden nur vor dem Lager in Traiskirchen verteilt und die Flüchtlinge nicht direkt im Lager selbst auch medizinisch versorgt. Denn a Ordnung muß schon sein und sei es die vom BMI und der ORS.

 

AI übt Kritik daran einen Aufnahmedeal "in eine Gemeinde zu machen, in der die Konflikte mit der eigenen Minderheit gerade brodeln".
Ok.
Echt jetzt?

Das ist eine gefährliche Argumentation...
Wenn das ein Grund sein soll keine Asylwerber aufzunehmen, dann ist es ja supergut, dass es in Österreich ja überhaupt gar nicht "brodelt"?!?! ... jaja...

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