Verbotene Heimat

14. September 2018

Obwohl afghanische Geflohene von den Konsequenzen wissen, reisen sie zurück in ihr alte Heimat: Sie gefährden damit nicht nur ihr Leben, sondern auch ihren positiven Asybescheid.

Von Aadilah Amin und Alexandra Stanić, Fotos: Christoph Liebentritt

Foto: Christoph Liebentritt
Foto: Christoph Liebentritt

Afghanische Flüchtlinge in Österreich bekommen einen Konventionspass. Darin steht: " Dieser Reisepass gilt für alle Staaten der Welt ausgenommen Afghanistan"

Natürlich war ich mir bewusst, was ich aufs Spiel setze“, beginnt Jawid* seine Erzählung. „Aber mir blieb nichts anderes übrig.“ Jawid ist ein junger Mann in kariertem Hemd und Jeanshose, er wirkt aufgekratzt und unsicher. Vor 13 Jahren ist er nach Österreich geflohen, allein, ohne seine Familie. Jawid hat in Wien die Matura absolviert und arbeitet derzeit Vollzeit im pädagogischen Bereich. Er möchte möglichst wenig über sich preisgeben, zu groß die Angst, dass man herausfindet, wer er ist. In Afghanistan würde man Jawids Auftreten als westlich bezeichnen. Als er sich auf die Reise zu seiner Mutter vorbereitet, achtet er deswegen besonders auf sein Erscheinungsbild, er möchte unter keinen Umständen auffallen. „Ich hab mir die Haare nicht gestylt wie gewöhnlich, legere Kleidung getragen und meinen Ohrring abgelegt“, erklärt der 26-Jährige. „Wenn die Taliban herausfinden, dass ich Afghanistan verlassen habe und einen westlichen Lebensstil führe, wurden sie mich entweder sofort umbringen oder mich kidnappen und Lösegeld verlangen.“ Jawids größte Sorge ist, dass ihm Österreich seinen Asylbescheid aberkennt und er zurück nach Afghanistan muss. Der 26-Jährige führt hier ein glückliches Leben. Für ihn bedeutet Österreich Heimat – und doch riskiert er all das, in dem er nach Afghanistan reist. „Meine Mutter ist an einer Herz-Rhythmus-Störung erkrankt“, erklärt er. „Sie schafft es nicht alleine zum Arzt und mein Vater nimmt die Krankheit nicht ernst, deswegen bin ich hin, um ihr zur Seite zu stehen.“ 

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Reist eine Person, die in Österreich Asyl erhalten hat, in das Land, aus dem er oder sie geflohen ist, ist das ein klarer Grund für die Aberkennung des Status

                 Afghanistan sicher? Guter Witz! 

Reist eine Person, die in Österreich Asyl erhalten hat, in das Land, aus dem er oder sie geflohen ist, ist das ein klarer Grund für die Abererkennung des Status, gibt das Bundesministerium für Inneres auf Anfrage bekannt. Das Außenministerium warnt vor Reisen nach Afghanistan: „Im ganzen Land besteht das Risiko von gewalttätigen Auseinandersetzungen, Raketeneinschlagen, Minen, Terroranschlagen und kriminellen Übergriffen einschließlich Entführungen, Vergewaltigungen und bewaffneter Raubüberfällen.“ 

Die Schuldgefühle

Jawids Familie lebt in einem kleinen Dorf in der Provinz Ghazni. Als er Anfang August in der ostafghanischen Hauptstadt der Provinz, die auch den Namen Ghazni tragt, ankommt, besetzen diese die Taliban. „Sie haben Einkaufszentren angezündet, Hauser geplündert, die Straßen waren voller Blut“, beschreibt der junge Mann die Situation. Während er spricht, ist er aufgebracht. Die Lebensgefahr nimmt Jawid in Kauf, um seiner Mutter nach dreizehn Jahren bei schwerer Krankheit nahe sein zu können. „Ich hätte es mir nie verziehen, wäre ich nicht hingereist“, sagt er. Neben der innigen Beziehung zu seiner Mutter, die er auch von Wien aus aufrechterhalten konnte, steht Jawid unter viel Druck. „Meine Mutter hat mich immer wieder gefragt, wann ich endlich komme“, erklärt er. „Ich hatte so lange ein schlechtes Gewissen, dass ich sie nicht besucht habe.“Deswegen ist die Freude beim Wiedersehen groß. Als Jawid nach insgesamt 24 Stunden Reisezeit ankommt, veranstaltet die Familie, trotz ihrer armen Verhältnisse, ein großes Abendessen - fast das ganze Dorf ist anwesend. Für die Einwohner ist es etwas sehr Besonderes, dass Jawid nach dreizehn Jahren wieder da ist. 

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Familie ist alles

Ähnliche Grunde wie Jawid hatten auch Zara* und Rashid*, als sie letztes Jahr nach Afghanistan gereist sind. „Mein Vater ist sehr krank und meine Frau hat ihre Familie seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen“, erklärt Rashid, der Elektrotechnik in Kabul studiert hat. Auf die Frage, ob sich das Ehepaar bewusst ist, dass sie gegen ein Gesetz verstoßen, antwortet der 48-Jährige: „Ja, aber wer würde das Risiko nicht eingehen, seinen kranken Vater vielleicht das letzte Mal zu sehen, bevor er stirbt?“ Seine Frau nickt zustimmend.„Ich liebe unsere Familie. Dass meine Kinder ihre Großeltern kaum kennen, bricht mir das Herz“, sagt sie. Rashid ist der Meinung, Österreich sollte geflohenen Afghanen zumindest die Möglichkeit geben, einen Antrag zu stellen, um in ihr Heimatland reisen zu dürfen. Derzeit können  nur AfghanInnen mit österreichischer Staatsbürgerschaft nach Afghanistan reisen. „Aber die zu bekommen, ist ein langwieriger und schwerer Prozess“, weiß Rashid. Familie hat in Afghanistan oberste Priorität, Clan- und Stammesgruppen spielen in der Gesellschaft eine große Rolle. Kinder sind eine Art Vorsorge, Familienmitglieder bauen aufeinander, sind abhängig voneinander. „Wie soll ich ein Gesetz ernstnehmen, dass einem Sohn verbietet, seine Eltern zu sehen?“, fragt Rashid. „Für Zeit mit meinem Vater nehme ich auch in Kauf, meinen Asylstatus zu verlieren.“ Um ein Haar wäre das auch passiert. Bei der Heimreise nach Österreich wurde das Ehepaar mit ihren drei Kindern auf einem europäischen Flughafen aufgehalten. Auch Zara und Rashid sind vorsichtig mit den Informationen, die sie weitergeben. So viel erzählen sie aber: „Als die Polizisten uns gestoppt haben, kannten sie unseren Namen. Sie haben uns in einen Untersuchungsraum gebracht und uns stundenlang verhört.“ Weil die Beamten keinen Beweis finden konnten, dass die Familie in Afghanistan war, durften sie schlussendlich den Flug nach Wien antreten. In der afghanischen Community in Wien hört man immer wieder von Menschen, die bei der Einreise nach Österreich erwischt wurden. Das Innenministerium führe dazu keine Statistik, wie uns auf Anfrage mitgeteilt wurde. Die Angst ist groß, trotzdem nehmen viele die Gefahr auf sich. Auch der 23-Jährige Ali* ist einer von ihnen. Er ist 2014 nach Österreich geflohen und hat letztes Jahr seinen positiven Asylbescheid erhalten. Einen Monat später ist er nach Afghanistan gereist, um seine Familie wiederzusehen. „Als meine Mutter erfahren hat, dass ich einen positiven Asylstatus habe, ist sie in den Tränen ausgebrochen“, erinnert sich der 23-Jährige und schüttelt den Kopf. „Sie dachte, sie wird mich nie wieder sehen.“ Auch seiner Verlobten fällt die Situation zunehmend schwer. Ali ist ein aufgeweckter Mann, der ein ansteckendes Lachen hat. Aber es nimmt ihn sichtlich mit, dass die Lage in Afghanistan auch nach so vielen Jahren gefährlich ist und, dass er seiner Familie nicht nahe sein kann. Eine illegale Flucht, wie es Ali getan hat, kommt für sie nicht in Frage. „Sie haben keine Möglichkeit zu fliehen, sie sind weder fit genug noch haben sie genug Geld für Schlepper“, erklärt er. „Ich habe es nicht mehr ausgehalten, meine Familie so zu vermissen. Ich mache mir täglich riesige Sorgen um sie“, erklärt der junge Mann, der derzeit ein Abendkolleg besucht. „Man bekommt von allen Seiten mit, wie unsicher das Land ist. Ich hätte es mir nie im Leben verziehen, wenn meiner Familie etwas passiert wäre und ich konnte sie nicht ein letztes Mal in die Arme schließen.“

                                 Zurück in der Hölle. Das Leben afghanischer Heimkehrer.  

Mit 50 Euro über die Grenze

Ali fühlt sich, wie viele junge Afghanen, verantwortlich für seine Eltern. „Ich glaube, viele Österreicher können nicht nachvollziehen, wie wichtig uns Familie ist. Es fühlt sich so an als würde ich sie völlig ihrem schweren Schicksal überlassen“, so Ali. „Mein Gewissen plagt mich so sehr, dass ich bereit bin, mein Leben und alles, was ich hier aufgebaut habe, zu verlieren.“ Um das Schlimmste zu vermeiden, trifft Ali alle ihm möglichen Sicherheitsvorkehrungen.„Ich habe kaum jemandem erzählt, dass ich nach Afghanistan reise und mein Handy zurückgelassen, damit niemand Wind davon bekommt“, erklärt der Student. Die Schlepper, die er engagiert, arbeiten mit Zollbeamten zusammen. „Ich habe wenier als 50 Euro bezahlt, um es ohne legale Papiere über die Grenze zu schaffen“, so Ali. „Ich musste nicht einmal meinen Pass herzeigen, sie haben uns einfach durchgewunken.“

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Um möglichst wenig westlich auszusehen, lassen viele afghanische Flüchtlinge Wertgegenstände wie Handys oder Ohrringe daheim. 

Jawid, Zara, Rashid und Ali nehmen nicht nur das Risiko in Kauf, ihren Asylbescheid zu verlieren. Die Lage in Afghanistan ist gefährlich, dessen wird sich Jawid wird auf dem Weg zurück nach Wien bewusst: Drei Mal wurde er von Taliban angehalten. „Es wäre aus mit mir gewesen, hatten sie gewusst, dass ich in Österreich lebe“, erklärt der 26-Jährige. Jawid hat sich für diesen Fall eine Lüge überlegt. „Ich habe ihnen gesagt, dass ich auf dem Weg zu Verwandten bin, die im Iran leben“, so Jawid. „Als sie meine Koffer durchsucht haben, haben sie dort keinerlei Beweise gefunden, dass ich aus Wien komme.“Als er das dritte Mal aufgehalten wird, ist er sich sicher, dass sie ihm auf die Schliche gekommen sind. „Einer der Männer hat mich lange und intensiv gemustert, ich hab nur darauf gewartet, dass er seine Waffe zückt und mich erschießt“, sagt Jawid und blickt zu Boden. „In diesem Moment habe erst so richtig realisiert, dass ich nicht nur meinen Asylstatus sondern auch mein Leben aufs Spiel setze.“

 

*Namen von der Redaktion geändert

**Alle Fotos wurden nachgestellt 

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Kommentare

 

als 90 Prozent der "Flüchtlinge" welche über das Mittelmeer nach Italien kommen sind nicht aus Bürgerkriegsländern und somit auch nicht schutzbedürftig nach den Genfer Flüchtlings-Konventionen. Da diese angeblichen "Flüchtlinge" meist auch keine Papiere mitführen, ist es nunmal unmöglich diese wieder in ihre Heimatländer zurückzuführen. Und hier liegt das Problem. Die EU scheitert nicht an der
Verteilung von "echten Flüchtlingen", sondern bekommt alle anderen nicht verteilt.
Es ist durchaus verständlich, dass Länder, welche genügend Probleme mit Jugendarbeitslosigkeit, Perpektivlosigkeit etc. im eigenen Land haben, nicht gewillt sind noch mehr Perspektivlose ins Land zu holen.

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