Richterin Gnadenlos: "Ich bin die böse Frau, die eltern bestraft."

01. Oktober 2009

Eltern, die ihre Kinder tageweise nicht in die Schule schicken, belegt sie mit hohen Geldstrafen. Bei Gewaltexzessen von Jugendlichen kennt sie keine falsch verstandene Toleranz.  In Deutschland hat das der Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig den Ruf  als „Richterin Gnadenlos“ eingebracht – manche nennen sie lieber „Richterin Courage“.

Von Ruth Pauli

Schon als kleines Mädchen, wollte Kirsten Heisig Richterin werden. Sie verfolgte begeistert die Gerichtssendung „Ehen vor Gericht“ und liebte den Moment als sich der Richter zwischen die Streitenden stellte und den Fall entschied. Die in Krefeld geborene 48-Jährige übersiedelte 1981 nach Berlin. Nach ihrem Jurastudium 1992, war sie zunächst für Strafsachen, ein Jahr später für Jugendstraftaten verantwortlich. Seit 2008 ist sie für den Berliner Problembezirk Neukölln zuständig. Das „Neuköllner Model“, welches die konsequente und schnelle Bestrafung der Jugendlichen vorsieht, war von Anfang an umstritten. Kritiker werfen ihr eine Ethnisierung des Kriminalproblems vor.

Sie arbeiten seit 1990 als Jugendrichterin in Berlin und sind derzeit für Neukölln-Nord zuständig, das eine besondere Migrationsproblematik hat.
In Teilen Berlins, wo sich die migrantischen Communities ausgeweitet haben, hat sich eine Kriminalität entwickelt, derer wir mit rein justiziellen Mitteln nicht mehr Herr werden. Dazu gehört ganz vorrangig Neukölln Nord: 300.00 Einwohner, davon 35.000 türkischstämmig und 10.000 staatenlose Palästinenser. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 23 Prozent, unter Migranten aber bei 60 Prozent. Das ist schon sozialer Sprengstoff per se.

 

 

 

Und vor diesem Hintergrund hat sich eine neue Form der Jugendkriminalität entwickelt.
Sie ist von großer Gewalttätigkeit geprägt. Es wird nicht einfach nur etwas weggenommen,  sondern der Sinn der Straftat besteht auch darin, Gewalt auszuüben. Jetzt beginnt dann erst das Hässliche an der Tat. Das Opfer wird zusammengeschlagen, manchmal werden ihm mit Eisenstangen die Zähne ausgeschlagen, das wird gefilmt. Oft sagen die Opfer mir, das sei das Schlimmste gewesen - am Boden zu liegen und als ungläubiger Schweinefleischfresser bezeichnet zu werden.

Und was ist Ihre Erklärung?

Ein gewisser Rückzug von Migrantenfamilien von der Mehrheitsgesellschaft findet statt. Es ist eine Art Ghettoisierung. Alle haben, was sie brauchen: Es gibt den arabischen Metzger, den türkischen Bäcker, Rechtsanwalt und Arzt. Ich verspüre  einenbeidseitigen Rückzug, eine Abgrenzung – wir sind wir und ihr seid ihr.

Geht das mit einer Islamisierung Hand in Hand?
Das könnte man denken. Die verbale Abgrenzung ist auf jeden Fall da. Zwischen  Arabern und Deutschen, Arabern und Türken. Man sagt: Der Araber steht über dem Türken und über dem Deutschen erst recht. Aber dass meine Jugendlichen mir erzählen, ich geh in eine Moschee und deshalb weiß ich, wir sind besser als ihr, dieses Phänomen gibt es nicht.

Eine Entwicklung wie in Neukölln Nord passiert nicht über Nacht: So viel kann man doch gar nicht übersehen?
Man hat es geschehen lassen. Als die Schulen 75 oder 80 Prozent Migrantenkinder hatten, wurde das noch nicht thematisiert. Als wir bei 90 Prozent waren, stand dann in den Zeitungen. Und was machen wir jetzt? Da wurden dann so geniale Sachen vorgeschlagen wie Bussing -

...also das Austauschen von Kindern aus verschiedenen Vierteln mit dem Schulbus.
Das ist nicht wirklich realistisch. Jetzt will man versuchen, die Schulen zu mischen, indem man bei den Gymnasien eine Quote einführt. 30 Prozent der Gymnasiumsplätze sollen unter denen verlost werden, die etwas benachteiligt sind. Die schickt man dann ins Gymnasium, ohne dass sie räumlich oder sozial in der Nähe sind. Auch das halte ich für fragwürdig.

Lässt sich die Situation in Neukölln Nord noch ändern?

Das weiß ich nicht, aber man sollte in anderen Bezirken vermeiden, dass sich eine ähnliche Entwicklung vollzieht. Dafür braucht man ein attraktives Schulangebot – interessant für migrantische und nicht-migrantische Familien. Denn wenn wir die Ethnien nicht mischen – am besten schon im Kindergarten – sehe ich schwarz.

Das stimmt wohl auch für das Frauenbild.
Wenn eine Lehrerin nicht akzeptiert wird, weil sie nicht verhüllt ist, dann ist das eine Aussage. Die Verhüllungquote ist in Berlin  gestiegen, besonders in den . Die Kopftuchfrage fällt natürlich in die Religionsfreiheit. Aber wenn die Kinder damit aufwachsen und dann in der Grundschule der blonden Erzieherin in Minirock sagen: „Du hast mir gar nichts zu sagen, du trägst kein Kopftuch“, dann ist für ein friedliches Miteinander schon viel Boden verloren.  

Sie gehen als Richterin einen neuen Weg: Sie setzen die Schulpflicht durch.
Als Jugendrichterin komme ich an die Eltern erst heran, wenn die Straftaten begangen worden sind. Dann sehe ich den sozialen Hintergrund, ob die Eltern arbeiten, wieviel Kinder vorhanden sind etc. Das ist zu spät. Wenn einer mit 15 massive Gewaltdelikte begeht und nicht zur Schule geht, was soll ich da machen? Da ist die Schulpflicht schon durch. Man muss auf die Familien schauen, bevor die Schulversäumnis sich verfestigt hat. Und da habe ich festgestellt, dass das Schulgesetz Bußgelder vorsieht bis zu 2500 € oder zwei bis sechs Wochen Erzwingungshaft, wenn die Eltern die Kinder nicht in die Schule schicken.

Das Verhängen von Bußgeldern hat Ihnen einen Hardliner-Ruf eingebracht.
Die Möglichkeit der Bußgelder ist geltendes Recht, aber wird nur zögerlich angewendet. Weil man sagt: Die haben als Arbeitslosengeldbezieher ohnehin kein Geld. Wenn man über eine rote Ampel fährt, muss man auch zahlen. Und da ist die Schulpflicht allemal wichtiger. Und es ist ein Ansatzpunkt, wo man die Familien nicht erst kennen lernt, wenn einer mit 15 bei mir vor Gericht steht, sondern schon wenn die Schule  anzeigt, der geht mit 8 nicht in die Schule und die Familie macht vier Wochen länger Türkeiurlaub. Wer gegen die Pflicht verstößt, muss mit Nachteilen rechnen. Das ist in anderen Rechtsbereichen auch so, warum nicht in diesem fundamentalen Bereich?

Verstehen das die ungebildeten Eltern?
Da muss man eben die Eltern darauf aufmerksam machen, dass sie in einer Gesellschaft leben, wo Bildung wichtig ist.  Wenn man mit ihnen spricht, dann ist es nicht besonders kompliziert, das zu vemitteln. Ich gehe zu den migrantischen Verbänden und sage: Ich bin die böse Frau, die die Eltern bestraft, aber ich möchte mit ihnen reden, wie man das vermeiden kann. geht es um die Zukunft ihrer Kinder, damit die nächste Generation als Lehrer, Erzieher, Polizeibeamte und Jugendamtsmitarbeiter beschäftigt werden können. Ich bin noch nie von den Migrantenvereinen zurückgewiesen worden. Im Gegenteil. Gerade der türkische Mittelstand sagt mir häufig: „Setzt eure Gesetze durch.“ Zigtausend vollkommen unauffällige Migranten wollen nicht mit den Problemfällen in einen Topf geworfen werden.

Das machen Sie freiwiliig?
Ja, in meiner Freizeit. Anders geht’s nicht. Das ist jetzt mein Hobby. Ich will mir nicht sagen lassen: Du schwingst die Keule und machst nichts, was dem ursächlich entgegenwirkt. Doch wenn wir trotz der Duchsetzung der Schulpflicht Hinweise haben, dass das Kind weiter nicht in die Schule geschickt wird und dass kriminelle Strukturen in der Familie bestehen, dann bin ich ganz persönlich der Meinung, dass Bußgeld nicht genug ist. Da muss man das Kind aus der Familie nehmen.


Fotocredits: Schroth_ullstein/picturedesk.com

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