THÜRIBIZA

20. Februar 2020

höcke
Björn Höcke ist der Nightking der deutschen Politik - brace yourself! (Edit von Alexander Keppel)

Über das erfolgreiche Ibiza der deutschen Rechtspopulisten. Ein Gastkommentar von Alexander Keppel.

Was war da los, in Österreich, im Mai 2019? Ich saß in meinem damaligen Job als Copywriter hinterm Rechner und bereute in leichter Mulmigkeit das -50% Sushi aus der Mittagspause, als hinter immer mehr Monitoren meiner österreichischen Kollegen ein „Oida!“ oder „Bist deppert!“ aufstieg. Alle ließen für einen Moment die Arbeit Arbeit sein, liefen zusammen und schauten das Ibiza-Video in dem H.C. Strache mit Johann Gudenus im Schlabberlook und Vodka-Bull+X Rausch in einer verwanzten sowie mit versteckten Kameras ausgestatteten Finca einem sich als Oligarchentochter ausgebenden Lockvogel auf den Leim gegangen sind und so eine politische Lawine auslösten, welche die türkis-schwarze Regierung mit sich fortriss. Der post-ideologische Slimfit-Kanzler, welcher sich mit diesen fragwürdigen Gestalten auf eine Koalition eingelassen hatte, ließ indes, wie mit Lotuseffekt gebeizt, alle Patzer an sich abperlen und sitzt heute wieder frisch gestriegelt im Regierungssattel. In Deutschland freut man sich mehrheitlich darüber und wünscht sich immer offener statt der müden Matriarchin Merkel auch so einen slicken Sebastian.

Das deutsche Ibiza liegt im Thüringer Wald.

Und nun? Nun hat Deutschland endlich auch sein Ibiza, und damit meine ich nicht Ballermann-Mallorca, sondern Thüringen. Thüringen? Thüringen! Das kleine, idyllische Bundesland liegt heute in der geographischen Mitte der BRD und war einst der Süden der DDR. Bisher eher bekannt für seine Wälder, die Dichter Goethe und Schiller, das Bauhaus und die Rostbratwurst, ist es nun auch das Epizentrum eines politischen Bebens, welches das Land so noch nicht gesehen hat.

Was ist passiert? Das Parlament des rot-rot-grün geführten Bundeslandes hatte Anfang Februar einen neuen Ministerpräsidenten gewählt. Der beliebte Kandidat der Linkspartei Bodo Ramelow stellte sich, unterstützt von SPD und Grünen, siegesgewiss zur Wahl. Die FDP (deutsche Neos in alt) stellten den bis dahin eher unbekannten Abgeordneten Thomas Kemmerich als Gegenkandidaten auf, der auch mit den Stimmen der CDU rechnen konnte. Die AFD (deutsche FPÖ in neu) hatte auch einen Kandidaten ins Rennen geschickt – einen Kandidaten, den die eigene Partei dann aber nicht wählte. Stattdessen votierten die Rechtspopulisten überraschend für Thomas Kemmerich, den liberalen Kandidaten und hackten damit das demokratische System wie Neo einst die Matrix. Der AFD-Strohmannkandidat saß währenddessen auf der Zuschauertribüne und schlug sich vor Freude auf die Knie.

Stefan Möller, Sprecher der AFD-Thüringen, dazu im Interview bei den Tagesthemen (deutsche ZIB2): „Wir haben versucht, Herrn Kemmerich als Gegenkandidaten aufs Podium zu locken. Das hat er auch gemacht und dann haben wir ihn planmäßig gewählt.“

Die Folgen: Thüringens Linkspartei Chefin knallte Kemmerich nach der Wahl den Blumenstrauß vor die Füße, Kemmerich muss nach nur drei Tagen als Ministerpräsident zurücktreten. Der FDP-Chef Christian Lindner stellte in Berlin die Vertrauensfrage, der Ostbeauftragte der CDU wird auf Weisung Merkels entlassen, weil er Kemmerich zur Wahl gratuliert hatte, die CDU-Chefin und von Angela Merkel als ihre Nachfolgerin installierte Annegret Kramp-Karrenbauer tritt zwei Tage später als CDU-Chefin und Kanzlerkandidatin zurück, Thüringens Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke!) schlägt Thüringens Ex-Ministerpräsidentin Lieberknecht (CDU!) als Übergangspräsidentin vor. Maximales Chaos also und manche munkeln, dies sei erst der Anfang.

Demokraten sägen am Ast auf dem sie sitzen.

Eins steht so fest wie Alman-Achims Wintergarten: Die AFD hat mit dieser Aktion eine Bombe gezündet, die das Land nachhaltig erschütterte und die anderen politischen Akteure haben nach Kräften zur Sprengwirkung beigetragen: Statt dieses unseriöse Manöver der AFD mit parlamentarischer Gelassenheit abzustrafen und der Aktion so den Wind aus den Segeln zu nehmen, rollten politische Köpfe, flogen Farbbomben auf Parteibüros, müssen Frau und Kinder des Dreitages-Ministerpräsidenten Kemmerich unter Polizeischutz gestellt werden. (…)

Denn bei aller Empörung und Hyperventilation darf man zwei Dinge nicht vergessen:

1. Der Ausgang der Wahl im Thüringer Parlament kam auf demokratischem Wege zu Stande. Für einen Wahlausgang kann man kämpfen, hoffen und beten – diktieren kann man ihn (noch) nicht (wieder).

2. Wenn demokratische Wahlvorgänge so lange wiederholt werden, bis das Ergebnis passt, ist es der Anfang vom Ende der Demokratie und damit das schönste Geschenk für ihre Feinde. Man stelle sich vor, die AFD wählt bei der nächsten Wahl aus Spaß einfach mal den Kandidaten der Linkspartei …

Während ich das schreibe und sich Migranten in Deutschland berechtigte Sorgen über ihre Zukunft in diesem Lande machen, zerlegen sich die programmatisch eh nur noch marginal unterscheidbaren deutschen Parteien gegenseitig wie die Lannisters und Starks in Game Of Thrones. Derweil lacht sich der neue Nightking der deutschen Politik, AFD-Landeschef von Thüringen Björn Höcke, ob seines gelungenen Coups ins braune Fäustchen. Denn der selbstgestrickte Mythos dieser Partei – derzeit die einzige Alternative für Deutschland zu sein – wird so leider bestätigt.

Brace yourself Germany ...

 

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