Türkisch ist genauso wertvoll wie Deutsch

30. März 2021

Der Logopäde Ali Dönmez über den Druck, der auf türkisch-deutschsprachigen Eltern lastet. Und wie ihre Kinder darunter leiden.


Ich bin mal wieder wütend. Wütend, weil ich wieder ein Kind begutachtet habe, das kein Deutsch sprechen mag, weil es Deutsch mit Druck verbindet. Im Kindergarten wird es ermahnt, wenn es Türkisch spricht. Die Mutter versucht zu Hause Deutsch zu fördern, worauf das Kind "Mama, wir sind nicht im Kindergarten" antwortet. Das Kind weint, wenn es in den Kindergarten muss. Wenn es dort ist, will es schnell wieder abgeholt werden. Die Eltern waren überrascht, dass es bei mir so viel auf Türkisch redet, lacht und sich mitteilen möchte. Im Kindergarten gibt es eine Mitarbeiterin, die Türkisch spricht, aber bloß einen Vormittag pro Woche da ist. Da geht das Kind gern hin.


Ich habe regelmäßig Kinder in Begutachtung, die eine Abneigung gegenüber der deutschen Sprache entwickelt haben, weil sie Deutsch mit Zwang verbinden. Deutsch ist nicht etwas, das Spaß macht, sondern aufgezwungen wird. Kinder brauchen positive Sprechgelegenheiten und Raum für all ihre Sprachen (ja, auch für Sprachen wie Türkisch oder Arabisch), um sich entfalten zu können. Übrigens muss es nicht mal sein, dass es sich um eine rassistische Pädagogin handelt. Nicht selten spüren auch Pädagoginnen Druck. Das Kind wird nächstes Jahr ein Vorschulkind. Der MIKA-D Test steht dann bevor. Fünfährige  werden in Abwesenheit ihrer Eltern getestet, wodurch entschieden wird, ob sie als „ordentlich“ oder „außerordentlich“ eingeschult werden. Der Test bringt enormen Druck mit sich, weil er weitreichende Konsequenzen für die Schullaufbahn der Kinder haben kann. All der Druck des Bildungssystems und der Gesellschaft, den Eltern und Pädagog*innen verspüren, landet dann auf den Schultern der Kinder, weil außer Deutsch sowieso keine andere Sprache zählt - Außer Englisch. Und Französisch. Und Spanisch. Und Italienisch.

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Egal, ob rassistisch oder nicht: das Ergebnis bleibt gleich. Und das Problem ist strukturell. In Österreich müssen Eltern dafür sorgen, dass Kinder mit Schuleintritt so gut Deutsch können, dass sie dem Unterricht folgen können. Im Sinne der Bildungsgerechtigkeit ist das eine Katastrophe. Es sollte nicht von Glück abhängen, ob Kinder Eltern haben die sie fördern können, oder nicht. Und wehe, jemand kommt mir mit: "Aber Eltern in die Verantwortung nehmen"!


Mehrsprachigkeit steckt in Österreich noch in den Kinderschuhen

Wenn dieser jahrzehntealte Slogan ernst gemeint wäre, dann gäbe es zig Lehrgänge und bundesweite, flächendeckende Maßnahmen, um Eltern zwecks mehrsprachiger Sprachförderung zu bilden und zu unterstützen. Das ist schwierig umzusetzen, da Kindergärten Ländersache sind und nicht als die Bildungsinstitution wertgeschätzt werden, die sie verdienen würden. Österreich schafft es auch nicht flächendeckend und strukturell Pädagog*innen zu Expert*innen im Gebiet der Mehrsprachigkeit zu machen. Dieses Eltern-Argument ist nichts anderes als ein Stillstandsargument! Und am Ende müssen Kinder und Familien mit den Konsequenzen leben.

Wer diese Zeilen als Angriff auf die wertvolle Arbeit auf Pädagog*innen versteht, der sollte sie nochmal lesen, oder er*sie hat #metwo (unter dem Hashtag haben Menschen Rassismuserfahrungen im Bildungssystem geteilt) nicht mitbekommen. Pädagog*innen schreiben mir, dass sie dankbar sind, dass ich Rassismus oder auch den Druck sichtbar mache, der alle Beteiligten belastet. Was braucht es also? Wir brauchen eine vertiefende sowie diversitätssensible Aus- und Weiterbildung für Pädagog*innen zum Thema „Mehrsprachigkeit“. Habt ihr schon mal vom Sprachschlüssel der Arbeiterkammer gehört? Das wäre mal eine Idee für eine nachhaltige Deutschförderung. Außerdem brauchen wir bessere Elternarbeit. Eltern brauchen genauso Wissensvermittlung, wie sie ihre Kinder mehrsprachig fördern können. Es gäbe einige Ideen, die viel Positives bewirken würden. Sie müssten nur umgesetzt werden.

 

Ali Dönmez, 34, ist Logopäde, DaF/DaZ-Lehrer und Initiator der Petition „Lasst Kinder gemeinsam lernen“ 

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