Van der Bellen: Nicht in Anti-Islam-Stimmung verfallen

22. Januar 2016

Alexander van der Bellen
Foto: Christoph Liebentritt

Bundespräsidentschaftskandidat Alexander van der Bellen spricht mit biber über die Obergrenze für Flüchtlinge, die sexuellen Übergriffe auf Frauen in Köln und die Abschiebung krimineller Asylwerber.

von Onur Kas (Text), Johanna Stögmüller und Christoph Liebentritt (Fotos)

biber: Die Obergrenze für Flüchtlinge wurde beschlossen. Was halten Sie von dieser Entscheidung der Regierung?

Van der Bellen: Grundsätzlich besteht die Gefahr, dass eine Fixierung einer Obergrenze im Widerspruch zum nationalen und europäischen Recht steht. Nämlich etwa zur europäischen Grundrechtscharta. Erst vor kurzem hat der Präsident des Europäischen Gerichtshofs darauf hingewiesen, dass eine Flüchtlingsobergrenze mit dem EU-Gesetz nicht vereinbar ist.

Der Richtwert beträgt 37.500 Flüchtlinge. Was soll mit den danach ankommenden Flüchtlingen geschehen?

Sie führen ein Interview mit einem Bundespräsidentschaftskandidaten. In diesem Sinn hat der Bundespräsident keine exekutive Macht, um hier zu intervenieren. Aber er kann darauf drängen, dass die Grund- und Menschenrechte eingehalten werden. Natürlich besteht die Gefahr, dass durch diesen Beschluss ein Dominoeffekt ausgelöst wird und die Flüchtlinge in Slowenien verbleiben müssen, nach Mazedonien abgeschoben und schließlich nach Griechenland zurückgedrängt werden. Wir wissen ja, wie die Situation in Griechenland ist.

Sie haben sich dafür ausgesprochen in der Flüchtlingsfrage mit der Türkei zu kooperieren. Inwiefern ist dies möglich, wenn das Land gegen ihre kurdische Minderheit Krieg führt?

Es wäre schön, wenn Erdogan eine andere Politik machen würde. Nichts desto weniger muss die EU mit den Ländern kooperieren, wo Millionen von Flüchtlinge vorläufig untergekommen sind. Also mit der Türkei, Jordanien und dem Libanon, und vor Ort mit Geld helfen. Soweit ich das vernommen habe, hat die Türkei den Arbeitsmarkt für syrische Flüchtlinge geöffnet, was ein richtiger Schritt ist. Das soll aber nicht von der Tatsache ablenken, dass Erdogans vorgehen gegen die Kurden inakzeptabel ist.

Alexander van der Bellen
Foto: Christoph Liebentritt

In Köln kam es am Silvesterabend zu mehreren sexuellen Übergriffen gegen Frauen. Haben Sie gehofft, dass unter den Tätern keine Asylwerber waren?

Wer immer das war, dieses Verhalten ist nicht hinnehmbar. Ich habe in der "Presse" ein Interview mit Aiman Mazyek, den Vorsitzenden des Zentralrats für Muslime in Deutschland, gelesen. Er hat die berechtigte Frage gestellt, warum man gleich in eine Anti-Islam-Stimmung verfällt. Die Tatsache, dass die Täter höchst wahrscheinlich alkoholisiert waren, obwohl doch Alkohol im Islam verboten ist, wird hier kaum reflektiert. Die Religion scheint bei den Taten keine Rolle gespielt zu haben. Dies wird von den Medien gerne ausgeblendet.

Sie sagen, dass die Taten nichts mit der Religion oder mit der Kultur der Täter zu tun haben?

Ach das kann schon sein. Aber jedenfalls hat es weniger mit den Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten zu tun, wenn es stimmt, dass die Täter zum größten Teil aus dem Maghreb (Nordafrika) stammen. Aber selbst das ist nicht eindeutig bewiesen. Das kann man nicht bloß am Aussehen beurteilen. Kann ich etwa Ihnen sagen, dass sie aus dem Maghreb, aus der Türkei, aus den arabischen Ländern oder aus Spanien kommen, nur weil sie ein eher dunklerer Typ sind? Das ist für mich unmöglich zuzuordnen.

Ist es richtig, straffällige Asylwerber abzuschieben?

Das ist bestehende Gesetzeslage. Vorausgesetzt, die Straftat ist schwer genug. Eine Abschiebung sollte jedoch mit dem Vorbehalt erfolgen, wenn es sich bei dem Herkunftsland des Täters um kein Kriegsgebiet handelt. Das ist ohnehin verboten.

12 Jahre beträgt die doppelte Amtszeit des Bundespräsidenten. Demnach wären Sie bei Ihrem Ausscheiden 84 Jahre alt. Haben Sie vor, so lange in der Hofburg zu arbeiten oder würden Sie sich nach nur einer Amtszeit zur Ruhe setzen?

Jetzt bin ich noch nicht einmal in der Stichwahl. Also, zuerst muss ich Präsident werden und dann schaue ich mir mal den Alltag an. So werde ich zu meiner Entscheidung kommen.

Alltag ist ein gutes Stichwort. Sie benutzen gerne die Wiener Öffis. Werden Sie als Bundespräsident weiterhin Straßenbahn fahren?

Na, das hoffe ich doch sehr. Die Öffis sind immerhin die bequemsten Transportmittel Wiens.

Alexander van der Bellen
Foto: Johanna Stögmüller

Wenn Sie als Bundespräsident mit der U-Bahn fahren, werden Sie sicher öfter angesprochen werden.

Das passiert immer wieder. Es kommt aber ganz selten vor, dass jemand aufdringlich wird. Das war auch während meiner Zeit als Grüner-Bundesprecher so. Meist begrüßen mich die Menschen mit einem freundlichen "Grüß Gott", wie in einem Dorf. Das finde ich recht nett.

Was fragen die Leute, wenn sie Sie auf der Straße sehen?

Im Augenblick sagen sie mir häufig: „Schön, dass sie kandidieren.“ Die, die mich nicht wählen wollen, sprechen mich erst gar nicht an. Es kommt ganz selten vor, dass jemand mit einem Problem an mich herantritt. Das vor Ort und Stelle zu besprechen ist meistens kompliziert, und eine sofortige Antwort nicht möglich. Ich bitte solche Leute dann mir eine Email oder einen Brief zu schreiben, damit ich mir über das Anliegen Gedanken machen kann. Ich glaube, Heinz Fischer macht das genauso.

Apropos Heinz Fischer. Er war jetzt 12 Jahre Bundespräsident. Wie beurteilen Sie seine Amtszeit?

Ich finde, er hat seine Sache sehr gut gemacht. Im Gegensatz zu einzelnen ÖVP-Politikern denke ich nicht, dass er zu parteiloyal war, sondern er hat seine Aufgaben neutral ausgeführt Er hat zwar seine Weltanschauung und seine Überzeugungen nicht abgelegt, doch als Bundespräsident hat er stets die Interessen des Landes vertreten.

Kommen wir zum Thema Bildung. Sie sind ja ein Freund von Studiengebühren. Warum?

Ich habe als Ökonom nie ganz verstanden, warum diese Investition in Humankapital zu Hundertprozent vom Staat bezahlt werden muss, während andere Investitionen, etwa in eine Gesellen- oder Meisterprüfung, von den Betroffenen selbst getragen werden müssen. Aber nur wenn die Einführung von Studiengebühren mit einem Ausbau des Stipendiensystems verknüpft wird, sehe ich, ökonomisch gesprochen, keine Begründung für eine komplette Subvention von staatlicher Seite.

Wie hoch sollte sie in Österreich sein? In Deutschland etwa betrug die Studiengebühr in ausgewählten Bundesländern bis zu ihrer Abschaffung 500 Euro.

Über die Größenordnung möchte ich nicht spekulieren. Wir sollten aber keinesfalls in britische oder amerikanische Verhältnisse rutschen, wo man für gute Unis 5.000 bzw. 10.000 Euro zahlen muss. Das wirkt abschreckend.

Abschließend möchte ich Sie etwas persönliches Fragen. Greifen Sie noch zur Zigarette?

Ja sicher. Gerade eben auch. Vor ein paar Jahren hatte ich mal für wenige Monate aufgehört. Jeder Tag war schwierig. Den Rest an Widerstandskraft hat mir der frühere Notenbankgouverneur Klaus Liebscher geraubt, mit dem ich schon lange befreundet bin. Auf einer Veranstaltung in der Wirtschaftsuniversität hat er mich während einer Pause gefragt, ob ich mit ihm eine Rauchen gehe. Ihm ist aber eingefallen, dass ich nicht mehr rauche. Dann tätschelte er mich väterlich an der Schulter und sagte, dass ich den Blödsinn sein lassen soll. Damit meinte er das Nichtrauchen.

Was halten Sie dann von dem totalen Rauchverbot, das 2018 in Kraft tritt?

Ich werde es aushalten. Wir Raucher werden zwischendurch raus in die Gassen gehen und dabei ins Gespräch kommen. So wie seinerzeit im Plenarsaal des Nationalrates. Da gab es zwei Raucherkammern. Das war einer der wenigen Gelegenheiten, wo ich ein Smalltalk mit Strache geführt habe.

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