Verbotene Zonen

07. November 2011

Die Politik hat den Wiener Straßenstrich an den Stadtrand umgesiedelt. Prostituierte aus Osteuropa erzählen, warum sie dort nicht stehen wollen, das Puff keine Alternative ist – und warum U-Bahn-Sex der neue Renner sein könnte.

 

„Ich geh’ aus diesem scheiß Land weg. Mir reicht’s. Ich hab’ nie was angestellt und werde nur wie Dreck behandelt. Zum Ficken bin ich den Österreichern gut genug, aber zu sonst nix!“ Bianca, 22, arbeitete bis vor Kurzem als Straßenprostituierte in der Felberstraße. Nacht für Nacht winkte die hübsche Rumänin in ihren hohen Stiefeln und knappem Höschen in die Autos – Sommer wie Winter, in der Hoffnung auf eine schnelle Nummer in einem Stundenhotel.

 

Erlaubte Zonen

60 Jahre gab es den Straßenstrich auf der Felberstraße, seit 1. November ist das Geschichte. Nach jahrelangen Protesten leidgeplagter Anrainer hat die Stadt Wien die Straßenprostitution in Wohngebieten wie Felberstraße, Linzer Straße und Äußerer Mariahilfer Straße verboten.

Bianca verlor von einem auf den anderen Tag ihren Arbeitsplatz – wie 150 weitere Frauen auch. Sie sollen nun entweder in einer von der Stadt Wien verordneten „Erlaubniszonen“ am Stadtrand stehen (siehe rechts), oder gleich weg von der Straße ins Bordell gehen. Was die Stadtregierung für den Strich entschieden hat, geht den meisten Sexarbeiterinnen gewaltig gegen den Strich. Manche wollen auswandern, manche illegal weitermachen oder das Gesetz kreativ umgehen. Ins Puff wollen die Wenigsten.

 

Nutten-Krieg?

Obwohl ihr langsam das Geld ausgeht, denkt Bianca nicht daran, sich in eine der neuen Zonen zu stellen. „Die Vorschläge sind ein Witz! Was soll ich hinter der Messe im Prater, wo die Afrikanerinnen ihr Revier haben? Die machen alles und viel zu billig. Ohne Gummi kostet 30 Euro. Bei mir kostet es mit Gummi 60! Außerdem: Afrikanerinnen, Bulgarinnen, Rumäninnen und Ungarinnen – alle auf einem Fleck. Dann gibt’s bald wirklich keine Prostituierten mehr, weil sie sich gegenseitig umbringen.“ Bianca ist im Club 28 auf der Felberstraße geblieben. Kunden lockt sie nun durch die Scheibe des Clubs und nicht mehr durch die Fensterscheibe der Autos. Da die Polizei seit dem 1. November nicht nur die Sexarbeiterinnen sondern auch die Freier abstraft (500 Euro kostet eine „Annäherung“), geht aber ohnedies kaum jemand am Club vorbei. Im Inneren des Clubs schmiegen sich viele Frauen an wenige Männer. Die mehrheitlich jungen Männer haben jetzt die Qual der Wahl, die Frauen die Qual der leeren Brieftaschen. Bianca überlegt, auszuwandern, in die Schweiz oder nach Deutschland. Leicht fallen wird ihr das nicht. In den fast drei Jahren in Österreich hat sie sich eingelebt. Sie hat Deutsch gelernt und Freunde gefunden. Die 27-jährige Doina ist eine davon. Doina und Bianca kommen aus derselben Provinz in Rumänien. Sie teilen sich eine Wohnung. Beide haben Kind und Mann im Heimatland. Und beide sind unabhängig von einander nach Österreich gekommen, um Geld für ihre Familie zu verdienen. Ein Doppelleben: Denn die Angehörigen sollen nichts vom wahren Job der beiden wissen, obwohl sie ganz legal arbeiten: sie sind als Sexarbeiterinnen angemeldet, zahlen Sozialversicherung und haben einen Gesundheitsnachweis, den sogenannten „Deckel“.

 

Stammkunden

Doina glättet sich gerade ihre langen, tiefschwarzen Haare. „Die Männer stehen auf meine Haare. Ich will besonders gut aussehen“, sagt sie. Auch sie kann sich nicht vorstellen, ihren Arbeitsplatz zu wechseln. Hier hatte sie ihre Kunden, die extra wegen ihr in die Felberstraße kommen. „Die Stammfreier bin ich los, wenn ich gehe.“ Dazu kommt die Angst vor dem Unbekannten: „Ich habe auch Angst, dass mir etwas passiert. Wo soll ich meine Arbeit machen, wenn kein Stundenhotel in der Nähe ist? Ich steige sicher in kein Auto. Ich habe keinen Zuhälter oder so. Hier vor dem Lokal brauche ich das nicht. Wenn ich am Arsch der Welt stehe, wo mich jederzeit wer umbringen kann, brauch ich doch wen, der mich beschützt.“

 

Zu der Angst vor den neuen Freiern kommt die Angst vor fehlender Hygiene: „Wo soll ich mich dann bitte duschen, aufs Häusl gehen und mich umziehen?“ Im Bordell zum Beispiel, das laut der zuständigen Stadträtin Sandra Frauenberger sicherer als die Straße ist. Die beiden lehnen dankend ab: „So hab ich schon gearbeitet. Kein Mensch bringt mich zurück in eine Bar. Ich lass’ mir mein Geld nicht mehr wegnehmen! Fast die Hälfte von dem, was ich verdient habe, haben die Betreiber behalten. Und wirklich entscheiden können, mit wem ich jetzt was mache oder nicht, hab’ ich auch nicht dürfen“, erzählt Bianca. „Außerdem hab’ ich keine Lust, mich so lang mit einem Kunden aufzuhalten. Ich bin fürs schnelle, unpersönliche Geschäft.“ Dass es Indoor sicherer sein soll, davon sind die beiden nicht überzeugt. „Man sieht nur nicht, was sich dort abspielt, weil die Tür zu ist. „Zuhälterei gibt es drinnen viel mehr als auf der Straße“, meinen die beiden. „Außerdem: Um unsere Sicherheit ist es doch nie gegangen. Weghaben wollen sie uns. Uns hat nie jemand gefragt, was wir uns wünschen oder brauchen. Ich geh’ aber sicher nicht. Und wenn ich von daheim arbeiten muss“, sagt Doina aufgebracht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Felberstraße blickt auf 60 Jahre Straßenstrich zurück.
Eine Ära ist zu Ende.

 

Sex im Hinterzimmer

„Von daheim arbeiten“ – also illegal in einer Wohnung, so betreibt auch die 24-jährige Susa ihr Geschäft. Sie hat keinen Deckel und reißt die Männer in zivil auf der Straße oder in der Disko auf. Mit zwei anderen Frauen teilt sie sich in der Nähe ihres Arbeitsplatzes eine kleine Wohnung, wo sie mit ihren Freiern hinfährt. „Mir mit Sex ein bisschen was dazuzuverdienen mache ich auch, weil ich es spannend finde. Ich bin finanziell nicht von diesem Job abhängig“, erzählt sie am Telefon. Susa glaubt, dass in Zukunft mehr Frauen wie sie arbeiten werden – als illegale Prostituierte ohne Deckel. „Der U-Bahn-Strich wird immer prominenter.

Hier ist es schwierig, jemanden als Prostituierte zu erkennen. Ich kenne schon ein paar, die das jetzt machen.“ Die Frauen warten in den U-Bahnstationen, tragen normale Kleidung, flirten die Freier dezent an, fahren ein paar Stationen mit und handeln im Wagon Preis und Ort aus. „Warum auch nicht. Wenn ich nicht offiziell bin, muss ich keine Steuern und Sozialversicherung zahlen, nicht zu den Untersuchungen gehen und mich nicht von der Polizei schikanieren lassen“, sagt Susa nüchtern.

 

Die Ungarin Szofia hätte es nicht weit auf ihren neuen Arbeitsplatz. Sie arbeitet illegal im Stuwerviertel, ein Wohngebiet im 2. Bezirk, wo die Prostitution wegen der Proteste der Anrainer schon länger verboten ist; gegenüber, hinter dem Messegelände, winkt die Legalität in der neuen Erlaubniszone. Doch auch sie lehnt dankend ab. „Ich stell’ mich nicht zu den Negerfrauen, die für 25 Euro blasen und schlucken.“ Szofia wird im Viertel bleiben, in ziviler Kleidung potenzielle Freier ansprechen, hoffen, dass es kein ziviler Polizist ist – und Strafen kassieren.

 

Zurück auf die Felberstraße: Die 22-jährige Carmen hat zu einem Strafzettel noch einen weiteren von der Polizei in die Hand gedrückt bekommen, wo der neue Gesetzesparagraph steht. Sie versteht die Passage zwar, sie ist auf Rumänisch übersetzt, den Sinn versteht sie aber nicht. Sie geht von der Straße zurück in den Club und drängt sich zwischen ihre Freundinnen auf die Couch. Sie hat keine Lust, sich um den einzigen Freier im Lokal zu streiten. „Was machen wir?“, fragt sie in die Runde. „Bestellen wir uns was zu essen und machen einen Mädchenabend“, witzelt Bianca. „Alex, bestell’ uns fünf Mal Ćevapi, mit ordentlich Zwiebel! Heut’ können wir ruhig stinken!“

 

Wenn das Rotlicht ausgeht

(Foto: R. Lang)

Sie lebten vom Straßenstrich – die 10-Euro-Stundenhotels für die schnelle Nummer.

Jetzt ist ihre Zukunft ungewiss.

 

Der traditionsreiche Club 28 in der Felberstraße existiert bereits seit 35 Jahren und wird vom Ex-Gürtelkönig Alfred Kreuzer alias „schöner Fredi“ geführt. 10 Euro kostet hier ein Zimmer für 20 Minuten. Die Klientel: Straßenprostituierte und ihre Freier.

Wie geht es nach dem Verbot des Straßenstrichs weiter? „Wir können noch immer um eine Genehmigung als Prostitutionslokal ansuchen und auf Barbetrieb umstellen. Nur 7 bis 8 Frauen können dann aber bleiben, mehr Platz ist nicht. Im Moment tummeln sich rund ums Lokal aber um die 25. Für die Frauen eine Katastrophe“, sagt Barmann Alex.

Jetzt überlegt der schöne Fredi, der für seine schrägen Aktionen und ATV-Auftritte bekannt ist, einen Trick: Die Frauen könnten nicht so ganz aufreizend mit T-Shirts mit Telefonnummern vor die Türe stehen. So könnte der Freier von der anderen Seite der Straße anrufen und etwas ausmachen. Die verbotene persönliche Anbahnung wäre somit umgangen.

 

Stuwerviertel

 

Herr Emmerich hat für derartige Tricksereien keine Kraft mehr. Der 70-Jährige betreibt seit 45 Jahren ein kleines Stundenhotel in der Stuwerstraße. Früher hatte er an diesem Standort eine Metzgerei. „Ich hatte schon immer mit Fleisch zu tun“, lächelt der zuvorkommende gepflegte Mann. Herrn Emmerichs winzige Zimmervermietung ist eine beliebte Anlaufstelle für Frauen, die mit ihren Freiern kurz eine Unterkunft brauchen. „Prostitution & Anbahnung verboten“ steht auf allen Türen. Schon bisher agierte der alte Mann im Graubereich und musste schon viele Strafen kassieren. Nach dem 1. November werden die Kontrollen noch verstärkt, sind sich die drei Damen einig, die im schmuddeligen Eingangsbereich auf einer Couch sitzen.

„Wenn der Emmerich und die Monika zusperren müssen, dann weiß ich gar nicht mehr, was ich tun soll. Das will ich mir gar nicht vorstellen“, sagt eine von ihnen. „Ich war immer hier und bleib’ immer hier“, sagt Herr Emmerich, der mit einem gelben Besen vor der Tür  die Blätter kehrt und mit Passanten freundliche Worte wechselt. Ich bin in diesem Viertel eine Institution.“

 

 

Text: Anna Thalhammer
Fotos: Ali Schafler / Picturedesk.com, Laurent Solda / Picturedesk.com
 

 

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Kommentare

 

wie kann man als politikerin entscheiden, was für diese frauen sicherer ist, wenn man nie selbst in einem puff war oder keine einzige dieser frauen kennt? 

die frauen im artikel haben es richig erkannt. es geht keinem um ihre sicherheit, man will sie weg haben. 

 

ich lebe auf der linzerstraße. mich stören diese frauen nicht. sie tun mir leid, weil sicher nicht jede aus lust und launge dort steht. armut treibt viele dazu an. aber wenn sie diesen job machen wollen, soll man sie nicht daran hindern. es geht schließlich um angebot und nachfrage. und wie frau frauenberger es richtig erkannt hat. solange es männer gibt, die nachfragen, wird es auch frauen geben, die es anbieten. 

 

man auf unserer homepage keinen "gefällt mir" button hat. den drücke ich jetzt imaginär!

 

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quote: „Ich stell’ mich nicht zu den Negerfrauen..." - musste das wirklich sein, das so zu zitieren? - ohne nachsatz, dass das eben der "freie" kapitalismus ist, in dem eben die einen noch schlechter dran sind als die anderen?

genau das ist die rassistische spalterei: was glaubt ihr, was "Bio"-österreichische Prostituierte für Ressentiments gegenüber "Ost"-Prostituierten haben? Genau die selben!

Das ist Kapitalismus, baby!

Und weil dieser nicht nur von Rassismus sondern auch von Sexismus profitiert, freuen sich die (männlichen) Zuhälter und Barbetreiber über das neue Gesetz; Selbständige werden zusätzlich prekarisiert, Pensionsvorsorge nicht in Sicht. Und die Kunden haben auch was davon: Preisverfall bei erhöhten Riskien. (und sich nacher zu recht mies fühlen)

Zum K*tzen, ohne mich.

Kapitalismus abbauen, dann können alle nach Lust & Laune śnaxln!

 

?

was hat das alles jetzt mit kapitalismus zu tun? dass die frauen selbstständig sind ist gut. sonst wären sie nämlich "weisungsgebunden" und müssten alles tun, was ihnen ihr arbeitgeber sagt. und prostitution gabs schon sehr lang vor dem kapitalismus in allen systemen... behaupt ich mal so

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