Warum keiner mehr fix zam ist

30. Oktober 2015

Lange Beziehungen sind out. Selbstverwirklichung, Karriere und Spaß stehen an erster Stelle. Man will sich heutzutage nicht zu früh binden. FOMO, The Fear Of Missing Out, ist dabei ein ständiger Begleiter. 

Von Aleksandra Tulej

fix zam
Foto: Marko Mestrovic

Wieso sollte ich mir die ganze Beziehungstortur geben? Sex gibt’s auch so. Außerdem werden Frauen nach einer Zeit langweilig und anstrengend, dann ist Zeit für die Nächste.“ Łukasz ist 25, steht kurz vor seinem Abschluss auf der TU, und seine große Liebe heißt Tinder. „Heute ist es viel einfacher, jemanden einfach so aufzureißen. Wer braucht dann noch den Aufwand, den eine Beziehung mit sich bringt?“

Die Generation unserer Eltern hat viel Zeit darin investiert, ihre Partner richtig kennenzulernen. Bei der Generation Y ist das nicht mehr so. „Wir“ sind die Mittzwanziger, bei denen alles möglich ist: Wir wollen uns selbst verwirklichen, unseren Traum leben, Erfahrungen sammeln, Karriere machen
 und meistens kommt noch dazu, dass wir frei und ungebunden sein möchten. Wir sind die Generation, die für die gesellschaftlichen Revolutionen der letzten beiden Jahrhunderte zu spät dran ist. Die Generation, der der Weg schon geebnet wurde. Die Generation, die Kompromisse nicht gewohnt ist. Wir leben in einem Konkurrenzkampf mit uns selbst und anderen. Es geht immer noch besser, toller, erfolgreicher. Und dieser Wahn projiziert sich stark auf das Liebesleben. Ich weiß das, denn ich gehöre auch dazu.

Viele von uns ticken wie Lukasz. One-Night- Stands, Booty-Calls und Mingle-Freundschaften sind die Alternativen zur fixen Beziehung. Sind wir heutzutage unfähig, Beziehungen zu führen? Oder sind wir einfach lieber single? Ich habe mich in meinem Bekanntenkreis umgehört.

„Bindungen haben früher Sicherheit bedeutet. Heute bedeuten sie Einschränkung. Außerdem fragen wir uns in unserer egoistischen Position, ob es sich überhaupt „auszahlt“, eine Beziehung zu haben“, sagt die 23-Jährige Lucia nachdenklich. Sie hat ihren Mr. Right noch nicht gefunden. Aber sie sucht die große Liebe. Die Romantik stirbt eben zuletzt – auch in unserer Generation.

Die Generation unserer Eltern war mit 25 verheiratet, hatte eine eigene Wohnung oder sogar ein Haus und zwei Kinder. Heutzutage wohnt man mit 25 in einer WG, arbeitet schleppend auf seinen Uni-Abschluss hin und hat, wenn es hoch kommt, eine zweijährige Beziehung am Laufen. Es geht hier nicht darum, welches Szenario gut und welches böse ist. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Die Frage, die sich aufwirft, ist vielmehr: Wieso? Wieso sind so viele Menschen unserer Generation so beziehungsunfähig?

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Foto: Marko Mestrovic

FOMO

„Es ist so, dass man als Single viel mehr ausgeht, und immer wieder neue Mädels kennenlernt. In einer Beziehung hätte ich Angst, das zu verpassen“, sagt der 27-jährige Alex. Er hatte schon drei lange Beziehungen, kennt daher das Für-und- Wider. Alex hat Angst, sich nicht genug auszuleben. Es gibt auf Englisch einen Begriff dafür: FOMO – The Fear Of Missing Out.

Wir sind die Fortgeh-Generation. Die Stimmung ist top, man ist entspannt, alles ist lustig,
alle sind angeheitert, neue Freundschaften werden geschlossen. Oder Freundschaften für eine Nacht eben. Oder mehr. Und bei „mehr“ stellt sich die Frage, wann und ob es überhaupt ernst wird. Oder ob es nicht sinnvoller ist, seine „Gspusis“ alle paar Wochen auszutauschen, sich emotional nicht zu sehr zu binden, damit man nicht verletzt wird. Apps wie Tinder erleichtern das enorm. „Du kannst alle Phasen einer Beziehung viel schneller durchgehen. Das ist viel unkomplizierter“, sagt Lukasz, der Tinder-Fan. Und ungefährlicher. Denn tiefe Gefühle können sich nicht so schnell aufbauen und wenn einer nicht mehr mag, tut das nicht weh. Man wird austauschbar.

Tinder, die Wisch-und-Weiter-App, macht Spaß, ist oberflächlich und praktisch. „Ich hatte bis jetzt zwei Tinder-Dates, die dann zu One-Night-Stands mit Mädels wurden, weil beide auf Durchreise waren. Also war es klar, dass es da keine Zukunft gibt,“ erklärt Alex. Für eine Beziehung hätte er auch keine Zeit. Er arbeitet 60 Stunden die Woche, „zwischendurch“ macht er noch sein Vollzeit- Masterprogramm. „Das sind genug Verpflichtungen. Da passt eine Freundin einfach nicht ins Bild.“

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Foto: Marko Mestrovic

WEIL WIR‘S KÖNNEN?

Doch wieso lebt unsere Generation in der Hinsicht so anders, als die Generationen vor uns? Na, weil wir’s können. Und früher konnte man eben nicht. Vor hundert Jahren hat man im Alter von 18 oder 19 Jahren den ersten Mann geheiratet, den man geküsst hat, weil es sich so gehört hat. Auch wenn er von den Eltern ausgesucht wurde.

Im Vergleich dazu gibt es heutzutage kaum eine Person, die nur einen Menschen in ihrem Leben geküsst hat. Und wieder kann man nicht sagen, was hier das gute und welches das böse Szenario ist. Nur, dass wir eben heutzutage die Wahl haben, welches wir leben wollen. Weil wir frei sind. Wir haben die Möglichkeit, unsere Entscheidungen alleine zu treffen. Es gab immer schon Ehen, die total unglücklich waren, Ehen und Beziehungen, die man hätte beenden müssen, es aber nicht getan hat, weil Scheidungen verpönt waren und: „Was würden die Nachbarn sagen?“ Aber früher hat man auch mehr daran gearbeitet, etwas wieder hinzubiegen, anstatt es einfach auszutauschen und wegzuschmeißen.

Unser Streben nach besser, besser, besser macht uns irgendwann noch wahnsinnig. Jeder Mensch hat Fehler. Den perfekten Partner gibt es einfach nicht. „Heute kümmern sich viele stärker um ihr Bild nach außen und da gehört ein perfekter Freund oder Freundin genauso dazu wie die neue Handtasche oder ein Sportwagen“, meint Łukasz.

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Foto: Marko Mestrovic

ZU VIEL AUSWAHL!

Haben wir einfach zu viel Auswahl? Wahrscheinlich. Dazu kommt noch das, dass die meisten erst mal fett Karriere machen wollen, bevor sie daran denken eine Familie zu gründen, so wie Alex.

Er kann sich noch nicht vorstellen, zu heiraten, frühestens in zehn Jahren. Davor müssen noch viele Dinge passieren, erklärt er. „Ich muss eine Frau finden, die mich aushält. Ich möchte die Welt sehen. Ich möchte beruflich stabil da stehen, damit ich meinen Kindern etwas bieten kann. Es ist für mich extrem wichtig, möglichst viele Praktika in meinem Lebenslauf zu haben, mehrere Semester im Ausland zu studieren, auf Networking-Events Kontakte für die Zukunft zu knüpfen. Das sind alles Argumente, die in einer Beziehung eher hinderlich sind“, sagt er.

Auch die 23-jährige Ivana teilt seine Meinung. Sie bezeichnet sich selbst als Workaholic, ändert aufgrund ihrer zahlreichen Jobs und Praktika seit Jahren ständig ihren Wohnort. „Mein Leben ist sehr dynamisch. Ich brauche und mag Veränderungen. Ich wohne nie länger als ein halbes Jahr an einem Ort, das erschwert Beziehungen dann natürlich schon immens. Und Fernbeziehungen via Skype sind dann auch nicht so das Wahre“, gesteht sie.

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Foto: Marko Mestrovic

BLAUE WHATSAPP-HAKERL

Soziale Netzwerke dienen aber nicht mehr nur dazu, mit Menschen in Kontakt zu bleiben, sondern auch, um sie zu kontrollieren. Dadurch geht nicht selten etwas Fixes in die Brüche. So wie die lang- jährige Beziehung der 21-jährigen Kinga. „Dieses ständige Aufregen, weil man auf eine laut Whatsapp erhaltene Nachricht nicht sofort antwortet. Ganz ehrlich, man kann ja nicht einmal mehr kurz in Ruhe aufs Klo gehen.“

Diese Kontrolle kann in den Wahnsinn treiben. Kinga und ihr Ex-Freund haben sich, als sie noch zusammen waren, darauf geeinigt, Whatsapp und Facebook zu löschen. Beide dachten, dann würde sich etwas ändern. „Aber das hat dann zu Lügen und noch weniger Vertrauen geführt, und schließlich zum Schlussmachen“, sagt Kinga. Ganz ohne Social Media geht es dann wohl auch nicht. Egal ob in einer Beziehung, oder als Single.

„Es ist schon so, dass durch Facebook und Whatsapp unsere Bekannten und somit auch potentielle Partner immer nur einen Klick entfernt sind. Deshalb ist es mir auch etwas unwichtiger geworden, die Initiative zu ergreifen, wenn ich ein Mädchen kennen lerne. Ich kann ihr ja später auch noch schreiben“, erklärt Alex.

Durch die moderne Technologie ist alles viel transparenter geworden. Man kann in null Komma nichts viel über eine Person herausfinden, die man nicht richtig kennt, was dazu führt, dass vorschnell Urteile getroffen werden. Auf Tinder einen Abend lang mit fünf Typen schreiben, und dann am Schluss entscheiden, welcher der „Beste“ ist, und nur ihm dann die Nummer geben? Auf einer Party mit jemandem schmusen, ihn dann auf Facebook ausfindig machen und stalken? Heutzutage ist das normal.

Und dann sehen wir, dass er vor drei Wochen mit einem Mädchen auf einem Bild markiert wurde. Ist das etwa seine Freundin? Seine Ex? Wieso
hat sie dann gestern noch sein neues Profilbild geliked? Und zu allem Überfluss hat er auch noch unsere Whatsapp-Nachricht erhalten und gelesen, die Hakerl sind blau. Schon vor ganzen zwanzig Minuten. Aber immer noch keine Antwort. Wahrscheinlich ist er gerade bei ihr.

„Während man sich dann abwechselnd Mord- und Hochzeitsszenarien ausmalt, kommt es uns aber nicht in den Sinn, den armen Typen vielleicht einmal besser kennenzulernen, als ihn vorschnell mit zusammengereimten Fakten zu verurteilen. Und dann ist das Mädchen eh nur die Schwester.“ Das kennt man doch.

LÄUFT BEI UNS.

Ein Szenario, das zeigt, dass wir vielleicht doch nicht so cool sind, wie wir gerne wären. Und so frei sind wir dann auch wieder nicht, weil die Gedanken ja doch im Kopf bleiben.

„Vielleicht ist die Anzahl unserer One Night Stands gestiegen, die Anzahl an Menschen, denen man wirklich näher gekommen ist, hat sich in meinen Augen nicht verändert“, meint Łukasz.

Es ist vielleicht also doch noch nicht an der Zeit, unsere Generation in Beziehungssachen als unfähig abzustempeln.

Vielleicht hat sich im Vergleich zu früher doch nicht so viel geändert. Aber das kann man doch nicht zugeben, Sonnenbrille auf und „läuft bei uns“. Wir müssen uns ja noch selbst verwirklichen. 

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