"Wenn du ein Bozkurt bist, bist du ein Mann." - Die Grauen Wölfe in Wien

01. Februar 2022

Im Juni 2020 zogen die Ausschreitungen in Favoriten, bei denen türkische Nationalisten eine kurdische Demo angegriffen hatten, mediale Aufmerksamkeit auf sich.  Was ist seitdem passiert? Warum ist der generationen-alte türkisch-kurdische Konflikt bei Wiener Jugendlichen noch immer ein Thema? Welche Rolle spielen die nationalistischen Grauen Wölfe in Österreich? Warum ist Gewalt ein stetiger Begleiter? Ein Erklärungsversuch.

Von Aleksandra Tulej, Fotos: Zoe Opratko

 

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

„Im Zehnten geht’s grad voll ab: Türken gegen Kurden.“ Es ist der 25. Juni 2020. Cengiz*, damals 15 Jahre alt, hängt gerade mit seinen gleichaltrigen Freunden in einem Wiener Park ab, sie wissen nicht genau, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen – als sie diese Nachricht von einem Freund erhalten. Prompt beschließen sie, sich anzuschauen, was in Favoriten angeblich los ist, setzen sich in die Straßenbahn und fahren hin. „Ich sag’s ehrlich: Uns war langweilig. Wir wollten einfach Action“, zuckt der Jugendliche mit den Schultern. Ehe Cengiz und seine Freunde sich versehen konnten, standen sie mittendrin im Geschehen. „Dort hat einfach alles gebrannt. Flaschen sind geflogen, die Leute haben Böller auf Balkone geworfen, jeder hat geschrien, die Polizei war mit Hunden und Tränengas dort und es war ein riesiges Chaos einfach. Und wir haben halt mitgemacht“, gibt der heute 17-Jährige zu. Die Rede ist von den Szenen, die sich im Juni 2020 in Wien Favoriten abgespielt haben. Es kam zu Angriffen aus dem türkisch-nationalistischen Milieu auf eine linke kurdische Frauendemonstration. Vor allem jugendliche Anhänger der rechtsextremen Grauen Wölfe (türk. „Bozkurt“) taten sich dabei hervor. Die Stimmung war aufgeheizt und irgendwann eskalierte die Lage. Die Polizei war mit einem Großaufgebot, mit einem Hubschrauber und mit Hunden im Einsatz. Es wurden Feuerwerkskörper, Steine und Flaschen geworfen. Drei Tage lang herrschte Ausnahmezustand. 

Cengiz*, Attila* und Cem*
Cengiz*, Attila* und Cem*

 

„Dort hat einfach alles gebrannt. Flaschen sind geflogen, die Leute haben Böller auf Balkone geworfen. Und wir haben halt mitgemacht“

Cengiz war alle drei Tage lang dort. Warum? Es hatte sich das Gerücht verbreitet, dass zwei Kurden angeblich einer türkischen Frau das Kopftuch heruntergezogen haben sollen. Dies wurde übrigens nie offiziell bestätigt. Das war für Cengiz aber Grund genug „mitzumachen“. Was er dort gemacht hat? „Na, wir haben ‚Allah Uakbar, Takbir! (arab. für. "Gott ist groß)‘ geschrien und den Wolfsgruß gezeigt. Wie das halt die anderen auch gemacht haben.“ Und er rechtfertigt sich gleich im selben Atemzug: „Ich dachte damals, dieser Wolfsgruß ist einfach so ein Zeichen, mit dem man zeigen kann, dass man stolzer Türke ist. Wie bei den Serben, die diese „3“ (Serbischer Drei-Finger-Gruß, ursprünglich Symbol des orthodoxen Glaubens, wird von den Nachbarvölkern Serbiens als nationalistische Geste angesehen) zeigen.“ Der Wolfsgruß, ein Handzeichen der Grauen Wölfe, ist in Österreich seit 2019 verboten.

Mehr über die Geschichte der Grauen Wölfe lest ihr hier: Der Politologe und Türkei-Experte Cengiz Günay über die Geschichte der "Grauen Wölfe" und die Nähe zu den Erdogan-Anhängern

"Wenn ich früher auf der Straße Probleme hatte, musste ich nur sagen "ich bin von Bozkurt"
"Wenn ich früher auf der Straße Probleme hatte, musste ich nur sagen "ich bin von Bozkurt"

Wer sind die Grauen Wölfe? Und was wollen die Kurden?

Der Konflikt zwischen nationalistischen Türken und Kurden lässt sich nicht einfach darstellen – vor allem, weil die Gruppierungen auch oft ineinander verschwimmen. Erdogan und nationalistische Strömungen in der Osttürkei sind bei einigen Kurden durchaus erfolgreich. Eine klare Abgrenzung zwischen Türken und Kurden ist auch schwierig – viele der in der Türkei lebenden Menschen sind kurdischstämmig, bezeichnen sich aber als Türken. Und trotzdem zieht sich der Konfliktzwischen den beiden Gruppierungen schon seit geraumer Zeit: Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die Türkei tragen seit den 1980er-Jahren einen offenen, auch militärischen Konflikt aus, in dem es in mehreren Ländern immer wieder zu Gewalttaten kommt. Auf der internationalen politischen Ebene ist das Ziel der Kurden ein eigener Staat und Autonomie in den jeweiligen Gebieten in der Türkei, im Irak, im Iran und in Syrien.  Im Gegensatz zu den Grauen Wölfen wird die PKK in Österreich als Terrororganisation eingestuft. Die Grauen Wölfe sind eine türkisch-nationalistische Bewegung, die ethnischen Nationalismus propagiert. Sie verfolgen das Ziel eines großtürkischen Reichs und ihr Weltbild baut stark auf Autoritatismus und Rassismus auf. Ihr Symbol ist der „Graue Wolf“. Der so genannte Wolfsgruß, bei dem der Daumen und Finger des rechten ausgestreckten Arms den Kopf eines Wolfs formen, gilt dabei als Erkennungszeichen.

„Wenn jemand früher auf der Straße Stress wollte, musste ich nur sagen:‚Ich bin von Bozkurt.‘ Dann hatten die gleich Respekt und haben mich in Ruhe gelassen“

„Wenn jemand früher auf der Straße Stress wollte, musste ich nur sagen: Ich bin von Bozkurt.“

Die Bedeutung und Ideologie der Grauen Wölfe war Cengiz damals nicht so wirklich klar. „Ich war früher auch ein Bozkurt-Anhänger. Ich dachte einfach, das bedeutet, dass ich stolz auf mein Land bin“, so Cengiz. Sein Freund Attila* stimmt ihm zu. Attila ist 16 Jahre alt und kurdischer Türke, wie er selbst sagt. Seine Vorfahren stammen aus Yozgat in der Türkei –aber von einem kurdischen Stamm. Auch er wollte sich im Juni 2020 schon auf den Weg in den Zehnten machen, als er von der Situation gehört hatte. Sein älterer Bruder hatte allerdings Wind davon bekommen und hielt ihn ab: „Ich wollte unbedingt hin, aber mein älterer Bruder hat mich angeschrien und mich fast kaputt geschlagen. Er hat mich einfach nicht rausgelassen.“ Heute ist er ihm dafür dankbar. Damals sah er das noch anders: „Wenn jemand früher auf der Straße Stress wollte, musste ich nur sagen: ‚Ich bin von Bozkurt.‘ Dann hatten die gleich Respekt und haben mich in Ruhe gelassen“, zuckt der 16-Jährige mit den Schultern. „Als kleines Kind wurde mir schon von meinem Umfeld eingeredet: Wenn du Bozkurt unterstützt, dann bist du ein Mann. Dann bist du stark. Dann bist du ein stolzer Türke. Aber heute weiß ich, dass das einfach Nazis sind.“ Cengiz stimmt ihm zu. Ob Attila türkische Nationalisten in seinem Umfeld kennt? Ja. Aber er traut sich nicht, ihnen zu widersprechen, wenn sie rassistische oder nationalistische Aussagen tätigen. „Das wäre respektlos. In unserer Kultur ist es schwierig, Älteren zu widersprechen“, sagt er ehrlich. "Aber dieser Kurden-gegen-Türken-Streit ist echt unnötig. Kein Wunder, dass die Österreicher dann glauben, dass wir, also die Ausländer, hier nur Unruhe bringen, wenn so was wie damals in Favoriten passiert.“ Cengiz und Attila beteuern: „In unserem Freundeskreis gibt es keine Unterscheidung zwischen Türken und Kurden – viele von uns sind ja türkische Kurden.“ „Das ist ja eh alles gemischt“, lacht Cengiz. Den Generationen andauernden internationalen Konflikt werden sie nicht lösen. Aber was sie tun können, ist Gleichaltrigen zu zeigen, dass übertriebener Nationalstolz nur zu Problemen führt. „Außerdem: Im Endeffekt sind wir Brüder. Und Brüder sollten nicht gegeneinander kämpfen“, resümiert Attila. Sie haben ihre Worte in Taten umgesetzt. 

 

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

*Name von der Redaktion geändert

 

„Lasst Brüder nicht gegeneinander kämpfen“ 

ÜBER DAS PROJEKT

Nach den Ausschreitungen in Favoriten im Juni 2020 berichteten die Medien, PolitikerInnen eröffneten einen Diskurs, ExpertInnen kamen zu Wort – aber eine beteiligte Gruppe hat überall gefehlt: Die direkt Betroffenen, also die Jugendlichen, die auf beiden Seiten bei dem Eklat dabei waren und mit dem kurdisch-türkischen Konflikt aufgewachsen sind – TäterInnen, Opfer und Anwesende. Dabei wäre es enorm wichtig, genau ihre Sichtweise und ihre Erzählungen in den Diskurs mit einzubringen – vor allem, um in Zukunft eskalierenden Konflikten besser entgegenwirken zu können. Das tut die Initiative „Lasst Brüder nicht gegeneinander kämpfen“.

 Das Jugendzentrum .JUVIVO.21 und die ‚Beratungsstelle Extremismus‘ haben gemeinsam mit betroffenen Jugendlichen dazu ein Video-Projekt auf Social Media gestartet. Die Videos sind gemeinsam mit den Jugendlichen erarbeitet worden und spiegeln ihre Gefühlslage, Ziele und Gedanken dazu wider: Warum waren sie da? Warum kam es zu Gewalt? Wie wurden diese Dinge reflektiert? 

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

 

Das erzählt Pamina Gutschelhofer, Jugendarbeiterin bei JUVIVO 21 und Projektinitiatorin 

 

BIBER: Pamina, du warst selbst bei den Ausschreitungen in Favoriten 2020 als Sozialarbeiterin vor Ort. Kannst du einschätzen, inwiefern die Jugendlichen, mit denen ihr zusammenarbeitet, aus irgendwelchen ideologischen Gründen dort waren – oder kamen sie eher aus undurchdachtem Gruppenzwang?

Pamina Gutschelhofer: Ich glaube nicht, dass die meisten Jugendlichen absolut ahnungslos auf die Demo gegangen sind. Natürlich waren einige da, die wenig Einblick in diese politischen Themen haben oder nur Action wollten. Es waren ja auch nicht nur türkische und kurdische Kids da. Auch Jugendliche die ideologisches Hintergrundwissen haben, gehen wegen Action und Gruppenzwang zu solchen Demonstrationen.

Ich glaube, das viele wussten, was sie tun. Meiner Erfahrung nach ist die Geschichte von Türk:innen und Kurd:innen in Österreich unbekannt. Hier wird das historische Wissen dazu nicht in der Schule unterrichtet und von den Eltern und in Fernsehsendungen wird dies immer mit einer gewissen Parteilichkeit erzählt.

Warum zieht diese Form von Schauplatz großteils junge Männer an und nicht Frauen?


Es waren natürlich auch Frauen da, gerade weil die Ausgangssituation auf einer kurdischen Frauendemo entstand. Auf der Seite der Grauen Wölfe waren auch einige Mädchen, die haben sich jedoch eher im Hintergrund gehalten. Aufgrund meiner Interviews kann ich also nur vermuten, dass sich das möglicherweise mit typischen Geschlechterklischees erklären lassen könnte. Frauen haben sich nicht so zu benehmen und Dinge wie öffentliche Gruppen und politische Diskurse sind den Männern zu überlassen. Außerdem müssen Frauen beschützt werden – das heißt, wenn Frauen im Spiel sind, kommt es zu einer noch aufgeheizteren Situation.

Darüber hinaus wird es Mädchen eher von ihren Erziehungsberechtigten verboten sich in solch eine Situation zu begeben als Jungs und sie halten sich generell weniger im öffentlichen Raum auf.


Was ist seit Juni 2020 passiert? Welche Initiativen wurden gestartet, um so ein Szenario künftig zu vermeiden?

Ich weiß leider nicht von vielen präventiven Maßnahmen. Es war großes Thema in der Jugendsozialarbeit. Es gab viele Fortbildungen und es wurde mit anwesenden Jugendlichen gesprochen und gearbeitet. Grundsätzlich waren aber nur akute Maßnahmen der Politik wie starke Polizeipräsenz sichtbar.

Versagt hier die Politik deiner Meinung nach? Was würdest du dir wünschen?

Leider werden bei den Diskursen um dieses Thema immer wieder auch rassistische Stereotypen von Politik und Medien eingebracht. Damit werden nicht die sozialen Probleme, die Gewaltbereitschaft begünstigen, angesprochen, sondern es wird politisch instrumentalisiert und reißerisch skandalisierend von den Medien gezeigt. 

In Österreich wird den Jugendlichen oft gesagt, sie wären keine Österreich:innen, in der Türkei sind sie keine Türk:innen. Durch gemeinschaftliche Gruppierungen wie die Grauen Wölfe fühlen sie sich zuhause, ernstgenommen, zugehörig und politisch wirksam. Die Politik sollte meiner Ansicht nach versuchen, die Jugendlichen in ihrer Lebenswelt zu erreichen und ihnen angemessene, inklusivere Alternativen bieten.

Was wollt ihr mit der Initiative erreichen? Was erhofft ihr euch als Rezeption?

Wir wollen den Jugendlichen die Möglichkeit geben, ihre Geschichte zu erzählen und ihre Motivation darzustellen und zu reflektieren. Es soll eine politische und persönliche Reflexion angeregt werden.

Sie sollen sich die Frage stellen, worum es eigentlich geht, abgesehen von Action, Gruppenzwang, Coolness und Männlichkeitsklischees. Sie sollen für sich beantworten „Warum und wofür kämpfen wir eigentlich?“. 

Foto: Zoe Opratko
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