Wieso ich neuerdings beschlossen habe, ein Kopftuch zu tragen.

23. September 2016

Gastbeitrag von Begüm Türktekin

Vor einigen Tagen habe ich beschlossen, einen Prozess in meiner Persönlichkeitsentwicklung zu vollenden: ein Kopftuch zu tragen. Ich möchte damit meine Gedanken, Gefühle und meinen Glauben leben und erleben. Obwohl mein Herz diese Veränderung schon längst vollzogen hat, war es kein leichter Schritt diesen Entschluss tatsächlich auch  umzusetzen. Ich war hin- und hergerissen zwischen Ängsten, Selbstzweifeln und tausenden Fragen im Kopf: Wie werden die Reaktionen sein? Werde ich mich immer und immer wieder erklären müssen? Was, wenn ich es nicht richtig mache und dafür von anderen Musliminnen und Muslimen kritisiert werde? Was, wenn meine Familie und meine Freunde mich nicht verstehen?       Dann hat es aber diesen Moment gegeben, in dem ich keine Minute mehr verlieren wollte und mich selbst gefragt habe: Wenn ich daran glaube, dass es das Richtige ist, warum bringe ich nicht den Mut auf, es auch wirklich zu tun? Bin ich vielleicht nicht ehrlich zu mir selbst? Ist mein Glaube zu schwach? Mit diesen Gedanken im Kopf verlasse ich das Haus an diesem Mittwochnachmittag und mache mich auf den Weg in den 10. Bezirk. Ich weiß, was ich will und ich weiß, wo ich es bekomme. Ich betrete ein Geschäft für Hijab-Mode und sofort gilt meine Aufmerksamkeit den wunderschönen Tuniken und Blusen. In meinen Gedanken kombiniere ich sie mit schönen Tüchern und stelle mir vor, wie sie an mir aussehen würden. Mein Tagtraum wird von einer sehr hübschen, sympathischen jungen Frau unterbrochen: „Darf ich dir behilflich sein? Suchst du etwas Bestimmtes?“ – „Blusen, Tuniken, Tücher - am besten von Allem etwas.“ Sie lächelt und versichert mir, dass ich genau im richtigen Geschäft sei. Während wir gemeinsam Kleider aussuchen, entwickelt sich ein interessantes Gespräch zwischen uns. Sie will wissen, ob es meine Entscheidung gewesen sei. Ich wundere mich etwas über diese Frage aber zögere nicht eine Sekunde: „Ja!“ Denn es ist meine Entscheidung - voll und ganz. Meine Beute: zwei Tuniken und zwei Blusen - das soll für den Anfang reichen. Natürlich werden noch weitere Shoppingtouren folgen, denn eine Modeliebhaberin bleibt eine Modeliebhaberin, auch mit Hijab.

Ich fühle mich wie Alice im Wunderland: So viele Farben, so viele Formen, passende Accessoires und unendlich viele Bindemöglichkeiten.

Das ist, glaube ich, der richtige Zeitpunkt zu erwähnen, dass ein Kopftuch zu tragen für mich nicht bedeutet auf das Schöne oder auf Schönheit zu verzichten, sondern ein Gottesdienst ist, eine Hinwendung zu Gott, eine Intensivierung meiner Beziehung zu Gott. Das Kopftuch erfüllt auch meinen Wunsch selber zu entscheiden, wie viel von meiner Schönheit ich in welchem Raum und vor welchen Menschen zeige. Als Frau ist es einzig und allein meine Entscheidung, ob ich meine Haare grün oder violett färbe, eine Kurzhaarfrisur trage oder sie in der Öffentlichkeit eben verhülle. Aber weiter zu meinem Einkauf: Die Kleidung ist wunderschön, aber es fehlt mir noch der „Star“ des Outfits: das Tuch. Einige Gehminuten entfernt befindet sich ein Geschäft, das ausschließlich Tücher und Schale verkauft. Ich betrete es und fühle mich wie Alice im Wunderland: So viele Farben, so viele Formen, passende Accessoires und unendlich viele Bindemöglichkeiten. Das überfordert mich dann doch ein bisschen. Eine ältere, sehr freundliche Dame eilt mir zum Glück zur Hilfe und gemeinsam suchen wir ein passendes Tuch für meine Tunika aus.

Ich fühle mich stark, stärker und selbstbewusster denn je.

Ich bin aufgeregt, jetzt ist der Moment endlich gekommen. Ich will es sofort anprobieren, also verschwinde ich kurz hinten im Lagerraum und komme mit meinem Tuch am Kopf wieder heraus. Aufgeregt betrachte ich mich im Spiegel, mein Herz rast. Ich sehe mich an, ich lächle. Ich fühle mich einfach hübsch und zufrieden. An der Kassa bemerke ich, dass ich nicht genug Bargeld dabei habe und mit Karte kann man hier leider nicht bezahlen. Ich muss also schnell zum Geldautomaten laufen, der sich gleich gegenüber befindet. Ich bin schon am Hinausgehen als mir einfällt, dass ich ein Kopftuch trage. Ich bleibe stehen: Soll ich mich nun umziehen oder so auf die Straße gehen? Kommt das Tuch jetzt schon auf meinen Kopf oder vorerst in die Tragetasche? Die Dame bemerkt meine Irritation: „Geh doch einfach mal raus, so kannst du ausprobieren, wie es ist. Und wenn es doch nichts für dich ist, kannst dich in der Kabine wieder umziehen.“ Stimmt, denke ich und fühle mich wie ein Kleinkind, das gerade einmal die ersten Gehversuche unternimmt. Ich gehe vor die Tür und sehe das Getümmel. Ich mache vorsichtig einen ersten Schritt. Ich bleibe wieder stehen, hole einmal tief Luft und gehe weiter. Ich fühle mich stark, stärker und selbstbewusster denn je. Ich habe das Gefühl, dass meine Haltung aufrechter ist als sonst. Ich fühlte mich sicherer mit jedem Schritt. Und es wird mir ganz warm in meinem Herzen. Ich bin erleichtert, dass es sich so gut anfühlt. Und ich bin dankbar, dass es so einfach ging. Ich halte kurz inne und danke, dass Gott mir diesen Schritt ermöglicht hat. Endlich habe ich es geschafft!

Ich trage das Kopftuch – nein: mein Kopftuch - nun seit 4 Tagen und werde morgen so am Arbeitsplatz erscheinen. Ich weiß nicht, was mich erwartet. Aber ich habe weder Bedenken noch Angst vor negativen Reaktionen. Meine Kleidung geht nur mich was an und mein Glaube stärkt mich. So wie ich jetzt bin, fühle ich mich wohl in meinem Körper und in meiner Kleidung.

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Kommentare

 

"Wieso ich bechlossen habe ein Kopftuch zu tragen". Dieses "Wieso" hat mich aufrichtig interessiert, deshalb hab ich auf den Link geklickt, schade dass Sie davon nur eine Zeile schreiben. Dann schildern Sie ausführlich Ihre Shopping-Tour.

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