ZAHLTAG!

01. Februar 2012

Die Schwarzkappler rüsten sich für ihre Frühjahrsoffensive: mit 100 Euro Strafe und fremdsprachigen Kontrolleuren, bei denen „nix Deutsch“ als Ausrede nix mehr bringt.

 

Sie sehen aus wie Touristen. Doch innerhalb einer Minute haben die 31 Männer und Frauen in der U-Bahnstation Schwedenplatz neongelbe Westen übergezogen und im Namen der Wiener Linien alle Rolltreppen abgesperrt. Intensivkontrolle!

„Ihr Arschlöcher. Ihr gottverdammten Hurensöhne. Ihr könnt mich alle mal“, flucht ein wohlbetuchter Asiate in Wollmantel und schwarz polierten Lederschuhen als er beim Versuch an der Rolltreppe wieder umzudrehen von zwei Schwarzkapplern festgehalten wird. Er zahlt. Eine ältere Frau behauptet, ihr Ticket gerade in den Müll geworfen zu haben. „Ich zeig’ es Ihnen. Das muss noch drinnen sein.“ Sie wühlt im Mistkübel: ein Ticket von gestern, ein Ticket von vor zwei Stunden. „Der Wind hat es weggeweht, als ich es reingeworfen habe.“ Sie zahlt. Alle Besitzer von vergessenen und vom Hund gefressenen Tickets zahlen. Die einen tun es mit mehr, die anderen mit weniger Zorn.

 

Selam Schwarzkappler

Rund fünf Millionen Fahrgäste werden im Jahr kontrolliert und 160.000 Schwarzfahrer zahlen dabei drauf. Ab 1. Mai steigt der Preis fürs Schwarzfahren von 70 auf 100 Euro und die Kontrollen werden noch schärfer. Ganz weit oben auf der Liste der 101 beliebtesten Ausreden: „Nix Deutsch“, besonders in Stationen wie Reumannplatz oder Thaliastraße. Blöd nur, wenn die Muttersprache der Schwarzfahrer Türkisch ist und sie an die Kontrolleurin Serpil (Name von der Redaktion geändert) geraten. Die sagt dann: „Kein Problem“ – auf Türkisch. Mit ihren langen Locken, bronzeschimmernden Wangen, blinzelnden Haselnussaugen und einem USA-Lächeln könnte sie locker die Hauptrolle einer türkischen Seifenoper spielen. „Die meisten Leute schauen überrascht, wenn ich ihren Fahrschein prüfen will. Ich passe nicht in ihre Vorstellung von Schwarzkapplern.“ Sie erzählt von älteren Österreichern, die kopfschüttelnd tratschen: „Guck dir das an, jetzt tun uns die sogar schon kontrollieren“. Und von jungen Türken, die genervt sind, dass sie von „den eigenen Leuten“ kontrolliert werden. Während die zierliche Schwarzkapplerin jedes Wort von erwischten Landsleuten versteht, glauben diese, sie hätten es mit einer Österreicherin zu tun und sagen auf Türkisch: „Scheiße! Was sollen wir denn jetzt machen? Sollen wir laufen? Komm, die wird uns kaum hinterherrennen.“

Für solche Fälle hat sie ihren großen, starken Partner dabei. Ihr türkischer Kollege Güsül ist früher selbst schwarz gefahren, das Ticket war ihm zu teuer. Jetzt hat er die Seite gewechselt. Den Schwarzkappler, der ihn einmal erwischt hatte, grüßt er heute täglich in der Arbeit.

Auch Leo, ein professioneller Schwarzfahrer, hätte keine Freude mit Serpil. Nach Jahren ohne Ticket ist er sicher: „Ich erkenne Schwarzkappler sofort. Ich sitze in der Bim ganz hinten und mit dem Finger bereit, den Ausstiegsknopf zu drücken. Meistens sind es ein Junger und ein Alter, die zusammen draußen warten, aber getrennt Eingänge benutzen. Und sie tragen diese schicken Umhängetaschen. Da klingelt bei mir der Schwarzkappler-Alarm.“

Das Klischee: „Meistens sind es ein Junger und ein Alter österreicher, die zusammen warten, aber getrennte Eingänge benutzen. Sie tragen diese schicken Umhängetaschen.“

 

„Bei Kontrolleuren denkt die Mehrheit nach wie vor an Personen wie mich: Österreicher, männlich, mittleres Alter, kräftige Statur“, sagt Oberschwarzkappler Reinhard H. Er ist seit 25 Jahren im Geschäft und demonstriert, wie falsch die Schwarzfahrer mittlerweile liegen: Auf seiner Mitarbeiterliste für den heutigen Einsatz endet die Hälfte der Namen auf „ü“ „ić“ und „etzky“ – Männer wie Frauen bunt gemischt.

 

Magister Schwarzfahrer

Dabei sind Ausländer im Untergrund gar nicht die schwarzen Schafe. Reinhard meint aus Erfahrung, dass es vor allem Studenten sind, die es nicht so mit der Moral haben – „und Diplomingenieure und Magister“. Reinhard zeigt eine Schnittwunde. So ein Doppel-Magister habe ihn letztens attackiert und dann alles abgestritten. Für Schwarzfahrer hat der Oberschwarzkappler kein Verständnis. „Es würde doch auch keiner auf die Idee kommen ohne Ticket in ein Flugzeug einzusteigen.”

 

Ganz weit oben auf der Liste der 101 beliebtesten Ausreden: „Nix Deutsch“.

 

Gratis Öffis für alle!

Marija und Daniel pfeifen drauf. Sie fahren seit ihrer Studentenzeit schwarz – aus Überzeugung. Sie fordern eine Stadt, in der jeder kostenlos die Öffis nutzen darf. Der mittlerweile gut verdienende Vollzeit-Angestellte Daniel hat in seiner Tasche immer 70 Euro dabei. Er will dann nur schnell zahlen und weg. Und wenn das ganze ab Mai 100 Euro kostet? „100 Euro Strafe, die spinnen ja wohl. Als ob die nicht schon genug Kohle kassieren. Für mich zahlt sich Schwarzfahren dann aber noch immer aus“, ist Marija überzeugt.

Auch für Christian und Basti ist jeder Cent für die Wiener Linien ein Cent zu viel. Für die beiden gibt es hunderttausend wichtigere Gründe, ihr Geld loszuwerden. „Wenn wir uns schon ein Ticket kaufen, dann eine Studentenkarte, die wir uns teilen. Einer nimmt das Ticket, der andere die Rechnung. Falls der mit der Rechnung erwischt wird, geht man am nächsten Tag einfach zu den Linien und zeigt das Ticket nach.“ Die Kreativität der beiden kennt keine Grenzen: „Wenn nix mehr geht, verkleiden wir uns einfach selbst als Schwarzkappler und rufen ,Fahrscheinkontrolle’. Mit dem Geld, das wir vom Ersten kassieren, holen wir uns dann einfach unser Ticket“, scherzen die beiden. Ohne zu wissen, dass erst kürzlich ein falscher Kontrolleur von der Polizei aufgegriffen wurde.

 

 

von Maida Dedagić und Philipp Tomsich (Fotos)

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