Die Mama kann es nicht immer richten

07. Februar 2018

Ab Herbst soll es eigene "Deutsch-Klassen" für Kinder mit Deutsch-Defiziten geben. Der Plan der Regierung ist noch zu kurz gedacht, sagt einer, der es wissen muss: biber-Redakteur Amar Rajković landete mit 12 Jahren selbst in einer Brennpunktschule.


 
Auf Deutsch konnte ich eigentlich nur "Danke" sagen. Damals, mit zwölf Jahren, bei meiner Einschulung in der Hauptschule Alsegger Straße in Wien Währing. Ehrlich gesagt war das aber auch egal. In meiner Klasse, der 3a, sprach ohnehin fast jeder „Jugo“ – ein umgangssprachlicher Sammelbegriff für die sehr ähnlichen Sprachen Bosnisch, Kroatisch, Serbisch.

Nix verstehen, nix lernen

Ich hatte eine herrliche Zeit in der Hauptschule. Während des Unterrichts plauderte ich die meiste Zeit mit den anderen Jungs vom Balkan. Wenn die Lehrerin dazwischenrief, ignorierte ich sie einfach – notgedrungen, ich sprach ja kein Deutsch. In den Fächern, in denen ich Deutsch nicht brauchte, war ich dafür der King. Mathematik oder Englisch – nur her damit. Der Grund: Was man von mir in der dritten Hauptschulklasse in Österreich verlangte, war der Stoff eines bosnischen Volksschülers.

 

Amar, zwölf, Hauptschule, Kurt Cobain, Poster, Kinderzimmer

Nach zwei verlorenen Jahren an der Hauptschule verfrachtete mich meine Mutter in eine HAK. Gegen meinen Willen. Denn die ersten Wochen in der Vienna Business School Schönborngasse waren hart. Ich war der einzige Ausländer in der Klasse. Ich sprach als einziger kein Deutsch. Aber so lernte ich es eben umso schneller. Daher an dieser Stelle: Danke Mama! Ohne dich wäre ich heute beim AMS! 

So war es vor über 20 Jahren. Egal wie intelligent, klug oder wissbegierig ein Schüler war - ohne ausreichende Deutschkenntnisse kamen die meisten nicht weiter als in die Hauptschule. Und so ist es auch heute, 20 Jahre später. Entschuldigung, heute heißt das ja Neue Mittelschule (NMS). Die Rolle der Hauptschule damals und der NMS heute ist leider oft die des vorprogrammierten Abstellgleises – auch wenn die LehrerInnen dort wirklich ihr Bestes geben. 

Vor 22 Jahren saß ich in der Hauptschule, heute sitzt dort Habiba. Die 15-Jährige geht in eine NMS im 12. Bezirk. Ihr einziger Makel: Sie kommt aus Syrien und kann nicht Deutsch. Anders als ich hat sie nur keine Mama, die sie an die Hand nimmt und in die AHS bringt. Obwohl: Die Mutter ging mit ihrer Tochter zum Direktor einer AHS. Das Ergebnis: Ernüchterung. „Wenn Habiba besser in Deutsch wird, könne sie ja wieder vorbeischauen“, so der Direktor.

Chance für Habiba

Viele Gymnasien in Wien wehren sich mit Händen und Füßen gegen Schüler mit Deutsch-Defiziten. Damit ist die Situation heute genauso, wenn nicht sogar schlimmer als damals. Habiba wird es nicht an eine AHS schaffen. Sie wird in ihrem "Ausländer"-Umfeld bleiben, mit ihren Klassenkolleginnen auf Arabisch plaudern und weiter nur von einem Medizin-Studium träumen. Für Mädchen wie Habiba wird die Regierung ab Herbst die sogenannten "Deutsch-Klassen" einführen, offiziell „Deutschförderklassen“ genannt. 

Habiba wird also nicht mehr in ihre Regelklasse gehen, sondern in einer eigenen Klasse 20 Stunden pro Woche Deutsch lernen. Anders als viele in meinem Umfeld lehne ich diese Deutschklassen überhaupt nicht kategorisch ab. Ich schätze auch Bildungsminister Heinz Faßmann, den ich noch aus seiner Zeit als Integrationsexperten kenne. Ich verstehe nur zwei wesentliche Dinge nicht: 

Wer hat in der NMS kein Deutsch-Defizit?

Erstens frage ich mich, wer in einer Schule wie jener von Habiba dann eigentlich noch in die Regelklasse gehen wird? Nach Einschätzung von allen NMS-Lehrern, mit denen ich zu diesem Thema gesprochen habe, haben 90 Prozent der regulären SchülerInnen echte Deutsch-Defizite. Werden wir dann ab Herbst 2018 nur mehr „Deutsch-Klassen“ haben und die restlichen 10 Prozent der Sprachbegabten bekommt praktisch Privatstunden mit ihrem Klassenvorstand? Mag sein, dass die Pläne der Regierung auf Bruck an der Mur anwendbar sind, aber wie soll dieses Konzept bitte in Wien-Meidling funktionieren?

Die zweite und viel wichtigere Frage: Warum wird es die Deutschklassen nur an Volksschulen und Neuen Mittelschulen geben? Wenn sich die ÖVP/FPÖ-Regierung ein „differenziertes“ Schulsystem wünschen, warum werden dann ALLE Kinder mit Deutsch-Defiziten völlig undifferenziert in die NMS abgeschoben? 

Programmierte Ungerechtigkeit

Warum sollte Habiba, eine in Syrien außerordentlich gute Schülerin mit fließendem Englisch, nicht auf eine AHS gehen und dort eben eine Deutschklasse besuchen dürfen? Gab es unter dem ganz jungen Sebastian Kurz nicht mal die Devise: Integration durch Leistung? Würde es nicht die gesamte Situation extrem entschärfen, wenn die Politik dafür sorgen würde, dass mehr Gymnasien als bisher Kinder wie Habiba aufnehmen würden?

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Herr Faßmann, ist das nicht alles noch zu kurz gedacht? Ich habe jedenfalls einen Vorschlag: Für Schülerinnen wie Habiba sollte es auch an jedem Gymnasium eine Deutschklasse geben. Jedes Gymnasium sollte verpflichtet werden, Kinder mit Deutschdefiziten anzunehmen. Engagierte SchülerInnen wie Habiba würden diese Chance ergreifen. So wie ich meine Chance ergriffen habe. Wenn „Deutsch-Klassen“, dann in allen Schultypen. Von der Volksschule bis ins Gymnasium! Sonst treibt diese Regierung die Segregation nur weiter voran. Und dabei gibt es sowieso nur Verlierer.

rajkovic@dasbiber.at

 

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Anwort des Bildungsministers Faßmann

Bildungsminister Heinz Faßmann reagiert auf den Kommentar von Amar Rajković. Erfreulich: Schülerinnen wie Habiba sollen künftig die Chance bekommen, das Gymnasium zu besuchen. 

Amar Rajkovic findet klare Worte für das neue Modell der Deutschförderklassen. Fälle, wie der von ihm beschriebene, sind uns bekannt und werden sehr ernst genommen. In der Tat sind
im Rahmen der Flüchtlingsbewegung der letzten Jahre, wie er bereits richtig festgestellt hat, viele Kinder und Jugendliche ohne ihre Eltern nach Österreich geflüchtet. Diese anfällige Personengruppe gilt es besonders zu unterstützen und im Schulsystem bestmöglich zu fördern. Deutschförderklassen sollen als „geschützter
Lernraum“ fungieren, in
dem vor allem auch Kinder
und Jugendliche, die nach
Österreich kommen und
denen dieses neue Land
und sein System fremd
sind, auf dem schnellsten
Weg die deutsche Sprache erlernen. Die Grundlage für den Besuch von
Sprachförderklassen sollen
standardisierte Testungen
sein, die einen eindeutigen
 Aufschluss über das erforderliche Maß der Förderung geben soll. Die Förderung soll insgesamt jedoch allen Kindern, die Deutsch nicht ausreichend beherrschen, die Chance zu geben, ihre sprachlichen Kenntnisse zu verbessern.

Foto: Dragan Tatic
Foto: Dragan Tatic

Zur Anwendung soll das Modell der Deutschförderklassen sowohl in allgemein bildenden Pfl ichtschulen - das heißt sowohl in der NMS
als auch in der AHS wie auch in mittleren und höheren Schulen kommen. Damit wird Schülerinnen und Schülern, wie Habiba die Möglichkeit gegeben, eine AHS besuchen zu können und auch hier als außerordentliche Schülerin die deutsche Sprache rasch zu erlernen, um sodann dem Regelunterricht folgen zu können. Konkret umfasst die Sprachförderung in
der Deutschförderklasse in der Grundschule 15 Stunden und 20 Stunden in der Sekundarstufe I, in den restlichen Stunden nimmt das Kind
je nach individuellen Lernvoraussetzungen und organisatorischen Möglichkeiten am Unterricht in der Regelklasse teil. Ein Umstieg in die Regelklasse ist grundsätzlich nach einem Semester möglich, maximal kann die Deutschförderklasse für vier Semester besucht werden. Damit schaffen wir die Grundlage, dass Schülerinnen und Schüler treffsicherer Deutschfördermaßnahmen absolvieren.

Das Erlernen der deutschen Sprache ist nicht zuletzt für Kinder und Jugendliche ein wichtiger Grundpfeiler für eine gelingende Integration. Durch die Erweiterung der Kommunikation wächst nicht nur das soziale Umfeld, sondern auch die Möglichkeit für unterschiedliche Bildungs- und Berufskarrieren.

Dass es in Österreich Schulen gibt, die - wie jene von Amar Rajkovic angesprochene - eine Vielzahl an Herausforderungen zu meistern haben, ist uns bewusst. Hier wird man durch eine stärkere Fokussierung zukünftig mehr machen müssen, um die Schülerinnen und Schülern bestmöglich zu unterstützen.  Bildungsminister Heinz Faßmann 

 

 

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