Asylstatus: Untergetaucht

06. Juli 2023

 

Sie verstecken sich bei Freunden, halten sich mit Schwarzarbeit über Wasser und hoffen jeden Tag, nicht von der Polizei erwischt zu werden. Chefredakteurin Aleksandra Tulej hat abgelehnte Asylwerber getroffen, die als sogenannte „U-Boote” weiterhin illegal im Land bleiben.  Es sind Einblicke in Lebensrealitäten,  die an der Gesamtgesellschaft vorbei existieren.

Von Aleksandra Tulej, Fotos: Zoe Opratko

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

 

"Keine Probleme machen, nicht auffallen, keine Polizei antreffen”, diese drei Regeln bestimmen Mahdis* Alltag. Der 27-Jährige ist vor vier Jahren aus Afghanistan nach Österreich geflüchtet, nach mehreren abgelehnten Asylanträgen wurde er vor die Wahl gestellt: Entweder verlässt er das Land, oder er wird abgeschoben. Mahdi entschied sich für die dritte Option: Er blieb in Österreich und tauchte hier unter. Genauer gesagt wohnt er bei einem älteren Ehepaar in einem Dorf irgendwo in Tirol. Die Nachbarn in der kleinen Ortschaft leben in dem Glauben, dass er sich legal in Österreich aufhält. Dass Mahdi eigentlich keine Papiere hat, wissen nur seine Zieh-Eltern und sehr enge Freunde, die in einer ähnlichen Situation stecken. Er hilft dem Ehepaar bei der Gartenarbeit und anstehenden Handwerksarbeiten im Haus. „Das ist für die beiden auch ein großes Risiko, aber sie helfen mir und ich helfe ihnen” – so lautet die Abmachung. Er lebt zwar in ständiger Angst, aber „das ist immer noch besser als in meiner Heimat”, erklärt der Afghane. „In den österreichischen Dörfern leben viele von uns, da ist es einfacher unterzutauchen als in der Großstadt”, erzählt er.

 

Österreichs „U-Boote

Mahdi ist einer von etwa 30.000 Menschen, die sich momentan illegal in Österreich aufhalten. Die Zahl ist hierbei bloß eine Schätzung verschiedener NGOs, die Dunkelziffer dürfte höher sein. Offizielle Statistiken betreffend dieser Fälle werden nicht geführt. „Erstens gehen wir aufgrund des dichten Kontrollnetzes auf verschiedenen Ebenen davon aus, dass die meisten Menschen vor, beim oder zeitnah zum Grenzübertritt aufgegriffen werden. Zweitens würde das nicht wirklich viel Sinn machen, da die meisten Menschen ja nach Asyl bzw. Legitimation ihres Aufenthalts streben, also entweder in andere Zielländer weiterreisen oder in Österreich um Asyl ansuchen. Selbst, wenn es Fälle gibt, in denen das nicht so ist, gibt es naturgemäß dazu keine Zahlen, bestätigt BMI-Sprecher Harald Sörös.

Bis Ende April 2023 wurden laut BMI 3.624 negative Entscheidungen in den Schnell- und Eilverfahren getroffen. Außerdem haben sich bis Ende Mai rund 16.989 Personen dem Verfahren entzogen, damit auf Schutz verzichtet und Österreich selbständig wieder verlassen. Die Rede ist von Personen, die nach mehreren negativen Asylentscheidungen das Land verlassen müssten – freiwillig oder eben unfreiwillig. Manche bleiben aber als sogenannte „U-Boote” hier: Sie kommen in illegal untervermieteten Wohnungen unter, halten sich mit Schwarzarbeit über Wasser und hoffen, dass sie niemand erwischt. Manche von ihnen fangen an, mit Drogen zu dealen, viele andere sind der Gutmütigkeit oder eben auch der Ausbeutung seitens anderer Menschen ausgeliefert. Manche werden vom Staat in die Illegalität getrieben, viele Fälle sind überaus komplex. In Länder wie Afghanistan oder Syrien wird momentan aus geopolitischen Gründen aus Österreich nicht abgeschoben – was passiert aber mit jenen, die schon länger hier sind? Wie sieht ihre Lebensrealität aus? Warum bleiben sie im Land? Welche Gedanken begleiten ihren Alltag? Wie schafft man es, in einem Land wie Österreich einfach unterzutauchen? Pauschalisierend ist es für Politik und Medien leicht, von „illegalen Flüchtlingen” zu sprechen – doch die Realität ist weitaus vielschichtiger. Es sind unterschiedlichste Geschichten, Beweggründe und Lebensrealitäten – ich will all das aus erster Hand erfahren.

Die Recherche gestaltet sich wie erwartet als sehr schwierig und überaus kompliziert: „Die will doch, dass wir in den Knast kommen, „Vergiss es, „Dann kann ich mich ja gleich abschieben lassen, „Spinnt die, glaubt sie echt, wir reden mit der?, lauten die meisten Antworten, die mir über gefühlt zwanzig Ecken weitergeleitet werden. Angst und Misstrauen der Betroffenen spielen hier eine vorrangige Rolle – verständlich, wer in solch einer Situation will schon mit den Medien sprechen? Immer wieder springen Gesprächspartner ab, Streifzüge durch Wien auf der Suche nach Protagonisten scheitern und hunderte Telefonate scheinen mich nicht weiter zu bringen. Bis ich eines Abends von einer unterdrückten Nummer angerufen werde. 

Foto: Zoe Opratko
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„Wenn ich erwischt werde, dann: Bumm, Zack, ab in Schubhaft

Es ist Amir*, der zögerlich einem Treffen einwilligt. „Woher weiß ich, dass du keine Zivilpolizistin bist?” ist seine erste – sehr berechtigte – Frage, als wir uns eine Stunde später im zweiten Bezirk in Wien treffen. Untertags geht er nicht so gerne raus, nachts fühlt er sich sicherer. Ich zeige ihm meinen Presseausweis, mein Instagram-Profil und erkläre ihm, dass niemand seine wahre Identität erfahren wird. Erst dann wird er ruhiger und beginnt zu erzählen. „Jetzt gibt es ja gerade Abschiebestopp nach Afghanistan, aber ich bin schon seit 2018 hier. Wenn die (Anm. die Behörden) das erfahren würden, dann: Bumm, Zack, ab in Schubhaft, oder?” Nach Afghanistan gibt es seit 2021 Abschiebestopp. Was würde also mit Amir passieren? Das erklärt Julia Ecker, Anwältin für Fremden- und Asylrecht. „In so einer Situation könnte er natürlich bei einer Kontrolle trotzdem erstmal angehalten und festgenommen werden. Allerdings sollte dann wegen der Unmöglichkeit der Abschiebung eine Duldung ausgesprochen werden. Wenn sich, wie im Fall von Afghanistan, die Situation seit der negativen Entscheidung maßgeblich geändert hat, würde sich auch empfehlen, nach Inanspruchnahme einer Rechtsberatung einen Folgeantrag zu stellen und so könnte die betroffene Person doch noch einen Schutzstatus in Österreich erhalten“ (Mehr Infos s. Infobox)

Amir hätte nach mehreren negativen Asylbescheiden abgeschoben werden sollen – vor der neuerlichen Machtübernahme der Taliban 2021. Seinen afghanischen Pass hat er längst nicht mehr. „Aber wohin soll ich gehen? Meine Familie würde sofort glauben, dass ich hier kriminell war, und sie würden nicht mehr mit mir sprechen, ich hätte kein Leben mehr dort.” Solche Geschichten kennt er von seinen Freunden, die aus Österreich nach Kabul abgeschoben wurden. Also entschied sich Amir, hier zu bleiben. Auch ohne Papiere. „Alles ist besser, als zurück nach Afghanistan zu gehen, da gibt es nichts. Auch bevor die Taliban da waren, das war, seitdem ich lebe, immer ein Scheißland.” Während wir durch einen Park gehen, blickt er immer wieder um sich. „Ich lebe echt mit der ur Paranoia, aber ein bissi selber Schuld, oder? Aber was würdest du an meiner Stelle machen?, fragt er mich. Amir hat einige Freunde, die in einer ähnlichen Situation stecken – „Man kennt sich untereinander, man weiß, wo es gerade bissi Geld zu verdienen gibt oder wo man am besten nicht hingehen sollte.“ Amir lebt mit sieben anderen in einer Wohnung in einem Industriegebiet in Wien – besagte Wohnung wird schwarz untervermietet. Sein Handyvertrag läuft auf einen anderen Namen. Krankenversichert ist er auch nicht, einmal hat er sich die e-card eines Freundes geborgt, um zum Arzt zu gehen – damals gab es auf den Karten noch keine Fotos. 

Seinen Lebensunterhalt bestreitet er mit „bissi bei Umzügen helfen, bissi Computer zusammenbauen, du weißt schon, dies und das halt”. Früher hat er auch „bissi mit Gras und so gedealt”, aber das wurde ihm auf Dauer doch zu unsicher – zu groß war die Sorge, erwischt zu werden. Und das Geld war sowieso nicht gut. Er sei aber nicht einer dieser Afghanen, die „schon wieder mit einem Messer irgendwen angegriffen, oder irgendeine Frau belästigt oder anderen Scheiß gebaut haben, versichert er mir mehrmals – wenn er solche Schlagzeilen liest, schämt er sich für seine Herkunft. Amir kann verstehen, wenn „die Österreicher” Menschen wie ihn hier nicht haben wollen. „Die wissen einfach zu wenig über unsere Situation, aber siehs mal positiv: Ich koste den Staat ja nichts”, sagt er schmunzelnd.  „Wien ist eigentlich ur schön, aber ich gehe selten raus – ich habe zu viel Angst davor, dass mich die Polizei erwischt.” Amir hofft darauf, dass er irgendwann ein Schlupfloch findet, durch das er legal in Österreich bleiben könnte. „Oder ich gehe nach Frankreich, die haben bessere Asylgesetze für uns.

 

 

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

 

„In Afghanistan bin ich gestorben und hier wurde ich nochmal geboren

„In Afghanistan herrscht folgende Annahme: Wenn du abgeschoben wirst, dann warst du in Österreich sicher straffällig. Du verlierst dein Gesicht und kannst dort nicht mehr normal leben”, erzählt mir Shaukat Walizadeh, Geschäftsführer des afghanischen Kulturvereins „NEUER START” in Wien. „Diese Asylverfahren werden teilweise so willkürlich entschieden, teilweise schlampig oder nicht gründlich genug. Ich bin der Meinung, dass Österreich hier massiv Ressourcen verschwendet. Menschen stecken teilweise jahrelang in Asylverfahren, diese Zeit könnte man viel besser nutzen, wenn sie eine Arbeitserlaubnis hätten oder schneller ihren Aufenthalt bekommen – dann hätte Österreich auch mehr davon.” Der gebürtige Afghane selbst lebt seit 2009 in Österreich, hatte zuerst Asyl bekommen und besitzt mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft. „Ich sage immer: In Afghanistan bin ich gestorben und hier wurde ich nochmal geboren. Ich mag Österreich, weil ich hier meine Familie gegründet habe und man hier einem geregelten Alltag nachgehen kann. Aber warum klappt das dann nicht bei den Behörden auch?”, fragt er sich. Gründe für Flucht sind unterschiedlich, genau wie die Länder, aus denen Menschen nach Österreich kommen.

 

„Wir können nicht zurück, aber hier können wir auch nicht normal leben

„Wir haben uns zwanzig Tage lang bei einem Freund in seiner Wohnung in Wien versteckt. Die Polizei war alle zwei Tage bei uns im Asylheim und hat nach uns gesucht”, erzählt Mohammed*. Er ist Ende zwanzig und vor acht Jahren mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder Yasin* aus dem Irak nach Österreich gekommen. Sie lebten jahrelang im Asylheim, 2019 sollten sie abgeschoben werden. „Der Irak ist ein sicheres Land, es gibt keinen Grund dafür, dass ihr Asyl bekommt”, hieß es seitens der Behörden. „Wir haben aber leider genug Gründe, und wir haben auch alle Beweise vorgelegt. Unser Vater wurde von der Asaib Ahl al-Haqq Terrormiliz im Irak (Anm. ein paramilitärisches Terrornetzwerk) verfolgt. Wir können nicht dorthin zurück”, erzählt Yasin. Mithilfe eines Anwalts gelang es der Familie, wieder Asylwerberstatus zu erlangen. Das bedeutet: Sie leben wieder im Asylheim, sie dürfen sich momentan legal im Land aufhalten. Trotzdem leben sie weiterhin großteils von Schwarzarbeit: „Haare schneiden, bei Umzügen helfen, bei großen Festen als Security, weil die da keinen Ausweis wollen”, zählt Yasin auf. „Die Lage ist einfach so schlecht, ich würde ja gerne mehr machen und arbeiten gehen. Aber wir können nicht zurück, aber hier können wir auch nicht normal leben, es ist zum Verzweifeln”, wirft Mohammed ein. Dennoch befinden sie sich in einer vergleichsweise stabileren Lage – vorerst dürfen sie im Land bleiben.

 

Die Sache mit dem Studentenvisum

Als U-Boote” leben in Österreich übrigens auch Menschen, die hier auf einen Uni-Abschluss hingearbeitet haben. „Wenn die Polizei mich schnappen würde, würde es gleich heißen: Ab nach Algerien.” Der 24-jährige Djamal* ist 2017 mit einer Aufenthaltsbewilligung als Studierender aus Algerien nach Österreich gekommen. Er begann, Germanistik zu studieren, aber als sein Studentenvisum abgelaufen ist, hätte er Österreich verlassen müssen. Er hat lange versucht, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, es mit seinem Anwalt auf „allen möglichen Wegen probiert“ – ohne Erfolg. Djamal ist trotzdem in Österreich geblieben – er hat hier eine Freundin gefunden, die er gerne heiraten würde. „Dafür müssten wir aber klarerweise zum Standesamt und das geht in meiner Situation nicht”, so Djamal. Angst, erwischt zu werden, hat er zwar, nimmt das Risiko aber dennoch auf sich: Zurück nach Algerien zu ziehen, ist für ihn keine Option. „Da gibt es nichts, dort kannst du nicht leben, ich sehe Österreich als meine Heimat.“ Er kommt gerade in der Nähe von Salzburg in einer kleineren Ortschaft unter, die Wohnung wird schwarz untervermietet. „Ich verstehe das einfach nicht, ab wann ist man genug integriert? Ich spreche ja gut Deutsch, das merkst du ja auch”, erklärt er sich. „Menschen, die nicht einmal Ja oder Nein sagen können, bekommen hier dann ohne Probleme Aufenthalt?”, wundert er sich. Er hält sich mit Gelegenheitsjobs an der Baustelle oder als Gartenpfleger über Wasser. „Ich habe echt keine Lust mehr, schwarz arbeiten zu gehen. Aber ich sterbe lieber vor Hunger, als dass ich etwas stehlen würde oder irgendeine wirkliche Straftat begehe.” Wie sieht hier die Rechtslage aus?

„Es gibt im fremdenpolizeilichen und Asylverfahren grundsätzlich mehrere Instanzen. Wenn ein Asylantrag von allen Behörden und Gerichten abgelehnt wurde, besteht zunächst einmal die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise, für die man normalerweise 14 Tage Zeit hat“ so Anwältin Julia Ecker.  „In manchen Konstellationen besteht aber auch schon früher im Verfahren eine durchsetzbare Ausreisepflicht. Wenn man nicht kooperiert, gibt es Beugemaßnahmen und kann man auch in Schubhaft gesteckt werden, wo man bis zu 18 Monate angehalten werden kann. Danach ist die letzte Maßnahme eine Abschiebung, so die Anwältin.

 

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

 

Was passiert mit straffälligen Asylwerber:innen?

Straffällige Asylwerber:innen oder Menschen, die sich illegal in Österreich aufhalten und straffällig werden, kommen häufig im Anschluss an ein Strafverfahren in Schubhaft. Abu Bakar* ist 23 Jahre alt, in Tschetschenien geboren und in Österreich aufgewachsen. 2021 wurde er nach § 278, also wegen Mitgliedschaft in einer Terroristischen Vereinigung in Schubhaft gesteckt. „Ich habe in privaten Chats Blödsinn geschrieben, so mit ‚Komm, lass eine Terrororganisation gründen‘ – das war nur dummer Spaß, ich war jung – das hat das Gericht aber nicht als Scherz gesehen”, erzählt er. Sein Asylstatus wurde ihm daraufhin entzogen. In der Schubhaft hat er einen Hungerstreik durchgezogen und wurde deshalb auch wieder freigelassen, was man auch einem Schreiben der Volksanwaltschaft entnehmen kann – Abu Bakar hatte aber daraufhin ein Jahr lang Meldepflicht bei der Polizei. Dies wurde damit begründet dass er, „seiner Ausreiseverpflichtung bislang nicht nachgekommen sei.“ Die Lage ist aber wesentlich komplexer: Seitens der russischen Behörden hieß es, dass eine „Rückführung nach Russland nicht möglich sei, da „es anhand der behördlichen Register nicht möglich sei, festzustellen, ob er wirklich russischer Staatsbürger sei, was die Lage nochmals verkompliziert. Auch die Schubhaft wurde im Nachhinein übrigens als rechtswidrig erklärt – auch das bestätigt das Schreiben der Volksanwaltschaft. Daraufhin hat Abu einen Folgeantrag auf Internationalen Schutz eingereicht – das war zu dem Zeitpunkt, als in Russland gerade die Mobilmachung im Rahmen des Krieges gegen die Ukraine stattfand. Der Antrag wurde abgelehnt, Abu Bakar hat eine Beschwerde eingereicht – diese wurde dann angenommen. Nach diesem mühseligen Verfahren, dem ewigen hin - und her, darf Abu Bakar also bleiben. Vorerst. Heute lebt er von der Mindestsicherung seiner Großmutter und hofft darauf, bald eine Arbeitserlaubnis zu bekommen – und normal an der Gesellschaft teilhaben zu können. An dieser Stelle frage auch ich mich mittlerweile, wie das auf lange Sicht funktionieren wird – im Endeffekt haben ja beide Seiten nichts davon.

 

„In Tschetschenien werden sie mich foltern

Übrigens: Nach Tschetschenien, einer Teilrepublik Russlands, gibt es aufgrund der momentanen geopolitischen Lage gerade ebenfalls keine Abschiebungen. Trotzdem hat Abu Bakar Sorge davor, dass sich das bald ändern könnte. Was mit ihm passieren würde, wenn man ihn nach Russland abschiebt? „Das Übliche, was sie mit allen meinen Landsleuten tun, die nicht für sie arbeiten oder nicht mit ihnen kooperieren. Folter, Schläge, Stromschläge, Schnitte mit Messern…“, zählt Abu Bakar auf. Er nimmt hier Bezug auf den Machthaber Tschetscheniens und Putins „Mann fürs Grobe, Ramzan Kadyrow und sein Gefolge. Im Internet kursieren etliche Videos, auf denen Folter gegenüber sogenannten „Landesverrätern“ in Tschetschenien ersichtlich ist – das gilt mehreren Berichten zufolge nicht nur für seine Kritiker:innen, sondern auch für Menschen mit Vorstrafen, wie es bei Abu der Fall ist.

 

 

Neues Asylgesetz als Lösung?

Erst Anfang Juni haben sich die EU-Staaten auf eine Verschärfung der Asylregeln geeinigt – der Kompromiss sieht einen deutlich strengeren Umgang mit Menschen ohne Bleibeperspektive vor. Menschen, die aus als sicher geltenden Ländern in EU-Staaten kommen, sollen in Zukunft gleich nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen – dort wird innerhalb einer Frist von sechs Monaten geprüft, ob eine Chance auf Asyl besteht oder nicht. Wenn nicht, soll man umgehend zurückgeschickt werden. Dadurch würde sich aus EU-Sicht die Lücke schließen, in der Menschen erst in die Situation kommen, in einem Land ohne Bleiberecht untertauchen zu können. Aber: Was als „sicheres Land“ gilt, ist in der Realität der Einzelnen oft genau das Gegenteil. Das ist streitbar und wird je nach Einzelfall entschieden. Was passiert aber mit Menschen wie Amir, Djamal, Mahdi und all den anderen, die schon da sind und bleiben? Sie schaffen sich ein eigenes Paralleluniversum, mit eigenen Gesetzen, mit eigenen Strategien, Auffangnetzen und Regeln – ganz im Stillen, sie leben an der Gesamtgesellschaft vorbei, ob es ihr gefällt oder nicht. „Schreibmir, wenn du zuhause bist, man weiß ja nie, ob um die Uhrzeit keine illegalen Flüchtlinge rumlaufen, mit diesen Worten verabschiedet sich Amir lachend nach unserem Treffen. ●

 

 

 

 

 

* Die Namen wurden zum Schutz der Personen von der Redaktion geändert.

Die Fotos wurden für die Geschichte nachgestellt. Auf den Bildern handelt es sich nicht um die Protagonisten aus der Reportage.

 

 
 
INFOS ZUR RECHTSLAGE: 
Wo gibt es Beratung?

Bei der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU)

gibt es Rechts- und Rückkehrberatung für „Fremde” und Asylwerber:innen. Oder bei unabhängigen NGOs, wie beispielsweise die Diakonie, Caritas, Helping Hands und spezialisierten Rechtsanwält:innen (wie z.B. vom „Netzwerk Asylanwält:innen)

 
Wer bestimmt, ob man abgeschoben wird?

Das BFA (Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen)

 
Was bedeutet „freiwillige Rückkehr?

Für eine freiwillige Rückkehr in das Heimatland oder das nächste sichere Land hat man nach einem mehrmals abgelehnten Asylantrag in der Regel 14 Tage. Das Bundesministerium für Inneres (BMI) und das BFA unterstützen Personen, die in ihr Heimatland zurückkehren, mit unterschiedlichen Leistungen. Während das BFA die individuellen Anträge zur freiwilligen Rückkehr genehmigt und eine Rückkehrhilfe gewährt, fördert das BMI eine „bundesweit flächendeckende Rückkehrberatung.

 
Was bedeutet „Duldung?

Es gibt in Österreich, nach § 46a Fremdenpolizeigesetz 2005, einen Auffangtatbestand, der sich „Duldung“ nennt. Dieser besagt: „Der Aufenthalt von Fremden ist zu dulden, wenn eine Abschiebung nicht zulässig ist. Das gilt auch für „Fremde, die eigentlich nicht rechtmäßig hier aufhältig sind („für Personen bei denen […] nicht durch Legalisierung des Aufenthaltes im Rahmen eines anderen Rechtsinstituts [wie z.B. nach AsylG oder NAG] Rechnung getragen wird, bei denen aber ein „Abschiebehindernis“ vorliegt). Die Person hat also folglich einen Anspruch auf Duldung und eine sogenannte „Karte für Geduldete. Diese gilt dann ein Jahr und kann nach einem Jahr verlängert werden, wenn die gleichen Voraussetzungen dann noch gelten. 

 

 

 

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Kommentare

 

Bei der Migrationspolitik gibt es einen einfachen.Fakt: Das massive Bevölkerungswachstum wird dazu führen, dass Millionen Einlass in europäische Staaten und Sozialsysteme fordern werden. Das abzuwehren, ist unumgänglich und entsprechende Gesetze werden früher oder später in Kraft treten müssen. Das einzige, was die Politik dabei noch entscheiden kann, ist, wie lange sie damit wartet und wie viel Schaden bis dahin angerichtet werden darf.

 

Jeder erfolgreich nach Europa gelangte Migrant motiviert viele andere ihm zu folgen. Dies erst recht, wenn die Menschen in den Herkunftsländern quasi aus zuverlässiger Quelle bestätigt bekommen, was ihnen die Sozialen Medien längst verkündet haben. Erst einmal im Sehnsuchtsland angekommen, erfährt man eine lebenslange Sozialhilferundumversorgung ohne etwas dafür zu tun und die Wahrscheinlichkeit wieder zurückgeschickt zu werden ist ganz minimal. Kommt man ohne Papiere aus Nahost oder Afrika ist es sogar sicher für immer bleiben zu können, einschliesslich Familiennachzug.
Ob mit oder ohne möglicher Seenotrettung, das Ziel Deutschland/Österreich fest im Blick, lassen sich die meist jungen Männer auch nicht von der gefährlichen Überfahrt abschrecken.

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