Die letzten Österreicher

05. Dezember 2017

In vielen Wiener Brennpunktschulen gibt es kaum noch SchülerInnen ohne Migrationshintergrund. Wie sieht es in den Klassenzimmern, in denen „echte“ Österreicher in der Minderheit sind, wirklich aus?

Von Melisa Erkurt, Fotos: Marko Mestrović, Christoph Liebentritt

Foto: Marko Mestrovic
Foto: Marko Mestrovic

Paula* überlegt lange, wie sie das jetzt am besten formulieren soll, sie will bloß nicht ausländerfeindlich rüberkommen. Sie, die Künstlerin, die ihre zwei Kinder bewusst an Schulen mit MigrantInnen geschickt hat. Aber sie muss es jetzt einfach loswerden: „Die Migrantenkinder und ihre Eltern sind nie zu den gemeinsamen Festen gekommen, egal wie sehr wir uns bemüht haben.“ Paula war Elternvertreterin an der öffentlichen Volksschule ihrer Tochter im neunten Wiener Bezirk. Die Schule legt viel Wert auf Interkulturalität, viele SchülerInnen mit nichtdeutscher Muttersprache auch aus den Nachbarbezirken besuchen die Volksschule. Es gibt nicht nur Deutschförderung und Muttersprachenunterricht, sondern auch Türkisch und Arabisch sprechende SchulpsychologInnen. Paula hat sehr viel Mühe in ihre Arbeit als Elternvertreterin gesteckt. Damit es nicht an dem Finanziellen scheitert, übernimmt der Elternverein die Kosten für die Feste. Paula selbst bietet an, andere von zuhause abzuholen – trotzdem, die MigrantInnen kommen nicht. „Ich glaube, manche haben die Sorge, dass Alkohol getrunken wird oder sie fühlen sich unwohl, weil ihr Deutsch nicht perfekt ist“, sagt Paula. „Die Kinder tun mir leid, sie sind nie auf den Festen oder Geburtstagsfeiern dabei.“ Am Anfang hat Paulas 10-jährige Tochter noch ihre türkischen Klassenkolleginnen zu ihren Geburtstagsfeiern eingeladen, mittlerweile hat sie aufgegeben. „Die kommen ja eh nicht“, hat sie zu Paula gesagt.

Auch an der Wiener Neuen Mittelschule im siebten Bezirk, die Paulas 14-jähriger Sohn besucht hat, zeichnet sich ein ähnliches Szenario ab – nur dass der Migrantenanteil noch höher ist. Sogar der Unterricht leidet darunter. „Die Migrantenkinder machen keine Hausübungen, sprechen schlechter Deutsch, die Eltern sind nicht dahinter“, sagt Paula. Ihr Sohn ist unterfordert, die LehrerInnen wiederholen nur den Volksschul-Stoff. Mittlerweile besucht ihr Sohn ein Gymnasium im ersten Bezirk mit sehr wenig MigrantInnen. Die alten Probleme hat er jetzt nicht mehr. Dafür dreht sich auf einmal alles um Markenkleidung und Leistungsdruck. Auch mit den neuen KlassenkollegInnen kommt ihr Sohn nicht mehr so gut aus. „In der Ausländerklasse war mein Sohn etwas Besonderes, die Kinder haben ihn beneidet, die LehrerInnen haben ihn hervorgehoben. Jetzt ist er nur einer von vielen“, erzählt Paula nachdenklich. Sie hätte sich gewünscht, dass es in seiner alten Schule geklappt hätte. Das wäre die Art von Integration, die sie sich eigentlich vorstellt. Aber gleichzeitig glaubt sie, dass seine neue Schule ihrem Sohn bessere Zukunftschancen ermöglicht und das ist ihr in diesem Fall wichtiger.

Österreicher

Sandra* ist Lehrerin und versteht Eltern wie Paula, die ihr Kind lieber in eine Schule mit weniger MigrantInnen geben. Beim Wohl ihrer Kinder wird die weltoffene Einstellung oft über Bord geworfen. Sandra selbst würde ihre Kinder niemals an eine Wiener Schule mit hohem Migrantenanteil schicken. Dabei unterrichtet sie an genau so einer Schule. Sandra ist seit 25 Jahren Lehrerin an einer Neuen Mittelschule im zweiten Bezirk. Der Anteil von SchülerInnen mit Migrationshintergrund beträgt hier 95 Prozent. Sie hat viele österreichische Kinder kommen und gehen sehen. „Alle paar Jahre wagen es ein paar österreichische AkademikerInnen ihre Kinder an unsere Schule zu geben, die bleiben aber nicht lange“, sagt Sandra. Jene österreichischen Kinder, die bleiben, haben ein Defizit. „Mit den österreichischen Kindern, die an unserer Schule bleiben, stimmt etwas nicht. Sie haben eine Lernschwäche, kommen aus sozial schwachen Familien oder haben irgendein anderes Problem“, so die Lehrerin. In der vierten Klasse, in der Sandra Klassenvorständin ist, sitzt ein solches Kind. Jaqueline*, die einzige SchülerIn in dieser Klasse ohne Migrationshintergrund. Jaquelines Mutter arbeitet als Putzfrau, was der Vater macht, weiß man nicht genau. Das Mädchen fehlt oft, zuhause gibt es Probleme, das Geld ist knapp.

Jaqueline ist eine aufgeweckte 13-Jährige. Mit ihren blonden Haaren und den blauen Augen sticht sie in ihrer Klasse tatsächlich heraus. Was auch hervorsticht: Sie ist die einzige in der Klasse, die ohne Akzent spricht. Ihre KlassenkollegInnen halten Jaqueline für etwas Besonderes, dabei ist sie weder Klassenbeste noch trägt sie coolere Klamotten als die anderen. Das Getue um ihre Nationalität ist ihr unangenehm. Tatsächlich wäre Jaqueline lieber nicht so besonders, es gibt Situationen, in denen sie gerne einfach nur genauso wäre wie die anderen. „Es gibt die Türken- und die Jugo-Gruppe in der Klasse, ich gehöre zu keiner und fühle mich manchmal ausgeschlossen, wenn sie auf ihren Muttersprachen reden“, sagt sie. Letztes Jahr ging noch ein Mädchen ohne Migrationshintergrund in ihre Klasse, Nicole*. Jaqueline und sie waren beste Freundinnen. Doch Nicole hat die Schule gewechselt, „ihre Eltern wollten nicht, dass sie in die Ausländerschule geht“, sagt Jaqueline. Nicole hat sich nicht so gut mit den anderen verstanden. Sie ist immer „Artikelkönigin“ (Anm.d.Red: Spiel, bei dem Schülerinnen die richtigen Artikel erraten) geworden und hat offen gezeigt, dass sie etwas Besseres ist“, erzählt Jaqueline. Jaquelines beste Freundin Mehtap* nickt: „Natürlich ist sie besser, sie ist Österreicherin“, sagt die in Österreich geborene türkischstämmige Schülerin ernst.

„DU BIST EH NICHT SO.“

Wenn man sich die SchülerInnen ohne Migrationshintergrund an den „Problemschulen“ ansieht, fällt auf, dass es von ihnen zwei Arten gibt: Die Mehrheit sind sozial schwache Kinder wie Jaqueline, die aus einem bildungsfernen Elternhaus kommen. Und dann gibt es auch noch einige wenige Kinder von Kreativen, Sozialarbeitern und Intellektuellen wie Paula, die ihre Kinder bewusst in „Ausländerschulen“ geben. Lisa und Laura sind solche Kinder. Die zwei Mädchen sind die einzigen ÖsterreicherInnen in ihrer Klasse im 15. Wiener Bezirk. Sie gehen in die 7. Klasse eines Gymnasiums mit sehr hohem Migrationsanteil, in vielen Klassen sitzen zu 100 Prozent SchülerInnen mit nichtdeutscher Muttersprache. „Mein Nachname klingt Tschechisch, deshalb glauben manche, ich hätte Migrationshintergrund“, sagt Lisa, die in einer weltoffenen Akademikerfamilie aufgewachsen ist, stolz. Ihre Mutter ist Ärztin und engagiert sich ehrenamtlich für Flüchtlinge, der Vater ist Bänker.

Davor ist Lisa in ein öffentliches Gymnasium im 22. Bezirk gegangen, das hauptsächlich von Ur-ÖsterreicherInnen besucht wurde: „Die Klassenkollegen waren teilweise sehr rassistisch, ich habe ständig mit denen diskutiert.“ Unter anderem auch aus diesem Grund wechselt Lisa die Schule, an eine Schule mit sehr hohem Migrantenanteil. „Die Schule hat nur deshalb einen schlechten Ruf, weil viele Migranten hier sind. Dabei ist die Schule pädagogisch sehr gut und das Schulklima ist toll“, sagt Lisas Mutter. Trotzdem gibt es Momente, in denen sich Lisa anders als die anderen fühlt: „Natürlich mache ich mir manchmal Gedanken, ob ich dazugehöre, vor allem die türkischen SchülerInnen reden oft in ihrer Muttersprache und bleiben unter sich, da fühle ich mich manchmal ausgeschlossen.“ In diesen Situationen wünscht sich Lisa manchmal, sie hätte Migrationshintergrund. Doch für sie überwiegen trotzdem die Vorteile ihrer Multikulti-Klasse. Wenn sie bei Klassenkolleginnen zuhause ist, gibt es immer außergewöhnliches Essen, das sie sonst nicht kennengelernt hätte und ihre besten Freundinnen hat sie erst in dieser Multikulti-Klasse gefunden. „Ich kann zwischen verschiedenen Welten switchen, das ist toll“, sagt Lisa.

Laura fallen aber auch Kulturunterschiede auf: „Die Klassenkolleginnen mit Migrationshintergrund haben viel strengere Eltern. Sie müssen nach der Schule gleich nachhause und haben weniger Freiheiten.“ Auch auf ihre Geburtstagspartys können ihre Klassenkolleginnen nicht kommen. Trotzdem hätten sie eine sehr gute Klassengemeinschaft, erzählen die zwei Mädchen. „Wenn die anderen mal über Österreicher lästern, sagen sie eh immer dazu, dass sie nicht uns meinen und wir nicht so sind“, sagt Laura.

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VERARSCHT WIRD MAN ÜBERALL

Lauras Eltern sind beide Sozialarbeiter. Sie ist in einem sehr verständnisvollen Haushalt aufgewachsen und kann sich bei Problemen und Fragen immer an ihre Eltern wenden. Heute korrigiert sie ihre ohnehin schon sehr liberalen Eltern, wenn sie mal etwas politisch nicht Korrektes sagen. „Einmal haben sie gefragt, wieso Tschetschenen gewalttätig sind, da habe ich ihnen gesagt, dass sie das so nicht sagen können. Dass der tschetschenisch-stämmige Junge aus meiner Klasse die friedlichste Person ist, die ich kenne“, sagt Laura. In letzter Zeit haben sie ihre Eltern auch öfter gefragt, ob der Islam ein großes Thema in ihrer Klasse sei. „Alle fürchten sich vor dem Islam. Auch ich wusste früher nicht, was ich beispielsweise von Kopftuchträgerinnen halten soll, die schauten immer so streng. In unserer Klasse tragen vier Mädchen Kopftuch, seit ich die kenne, habe ich ein viel besseres Bild Kopftuchträgerinnen gegenüber. Ich weiß, dass sie ihr Kopftuch freiwillig tragen und nicht unterdrückt werden“, erzählt Laura. Laura und Lisa sagen, dass die Herkunft für sie keine Rolle spielt, sie sind auch nicht stolz darauf, Österreicherinnen zu sein. Bei ihren Klassenkolleginnen fällt ihnen dagegen auf, dass die Herkunft eine große Rolle spielt: „Am ersten Schultag ist ein Mädchen durchgegangen und hat alle anderen Mädchen gefragt, ob sie auch Türkinnen sind. Die türkischen Mädchen haben sich dann tatsächlich auch gleich angefreundet“, sagt Lisa.

Laura und Lisa fällt auch auf, dass sie als Österreicherinnen von der Turnlehrerin bevorzugt werden: „Die ist besonders zu Mädchen, die Kopftuch tragen, sehr gemein“, erzählen die zwei. Weil ihre Klasse so bunt gemischt ist, sind sie beim Thema Rassismus sensibilisiert, sie haben kein Verständnis für rechtes Gedankengut. Deshalb kränkt es sie besonders, wenn sie bei Meinungsverschiedenheiten von nicht-österreichischstämmigen Klassenkollegen als „Nazi“ oder „Rassistin“ beschimpft werden. „Auch wenn sie es nicht so meinen und es sehr selten vorkommt, es verletzt“, beteuern beide Mädchen.

Neulich auf der Sportwoche in Kärnten traf Lisa mit ihrer „Ausländerklasse“ auf viele unterschiedliche Schulklassen. „Manche von denen haben einen aus unserer Klasse, der schwarz ist, blöd angeschaut, da haben wir gefragt, wieso sie so dumm schauen“, erzählt Lisa. „Dann haben sie erklärt, dass sie noch nie einen Schwarzen in echt gesehen haben. Wie kann das gehen, in Österreich?“, fragt Lisa entrüstet. Da muss Lisa wieder an ihre alte Schulklasse denken, in die kein einziges Kind mit Migrationshintergrund ging. Sie schüttelt bei dem Gedanken den Kopf: „Eine Schule in Wien ohne Migranten? Ich bin froh, dass ich da weg bin.“ Denn trotz Sticheleien und Kulturunterschieden an der neuen Schule, Lisa würde nicht zurück wollen. „An jeder Schule wird man ab und zu verarscht, in meiner alten „Österreicher“-Schule wurde ich für meine Kleidung gemobbt“, sagt sie.

Außerhalb der Schule ist Lisa mit zwei Österreicherinnen befreundet, die eine Privatschule besuchen. Sie ist überrascht, wie wenig die über andere Kulturen wissen, obwohl sie in Wien leben: „Die wissen nicht einmal, was Ramadan (Anm.d.Red.: Fastenzeit im Islam) ist“, ärgert sie sich. Laura und Lisa fühlen sich in ihrer multikulturellen Schule sehr wohl, doch ihnen fällt ihr eigenes privilegiertes Leben schon auf. In den Sommerferien war Laura in New York, die anderen haben sie beneidet, sie fahren in den Ferien höchstens in ihre Herkunftsländer. Aber nicht nur der Luxus, auch scheinbar Grundlegendes ist nicht für alle Klassenkolleginnen so selbstverständlich: „Ich bin geschockt, wie normal es für viele ist, dass sie zuhause geschlagen werden, das gibt es bei uns nicht“, erzählen beide Mädchen.

Österreicher

WIENER SCHNITZEL

Jaqueline, das Mädchen, das alleine mit ihrer Mutter lebt, die als Putzfrau arbeitet, spürt nichts von dieser Privilegiertheit. Ihre Eltern haben sich getrennt, weil ihr Vater aggressiv war. „Ich hatte Angst vor ihm“, erzählt die 13-Jährige. Jaqueline war auch noch nie außerhalb Österreichs. Genauso wie der 12-jährige Florian, der eine NMS in der Nähe vom Prater besucht. Auch er ist der einzige in der Klasse, der keinen Migrationshintergrund hat. Florian kommt aus einer Arbeiterfamilie. Beim Lernen können ihm seine Eltern nicht helfen und Geld für Nachhilfe gibt es auch keines. Beim Sprechen hat Florian schon den ausländischen Slang seiner KlassenkollegInnen übernommen. Wenn in seiner Klasse gestritten wird, nennen ihn die anderen „Wiener Schnitzel“. Beim Sport wird er als Letzter in die Mannschaft gewählt, „weil Österreicher nicht Fußball spielen können“. Trotzdem mag er seine Klasse und ist mit allen befreundet. Florian sagt, er würde deshalb niemals Schule wechseln wollen: „Wenn die so mit mir reden, nenne ich sie Kanaken und sage, sie können nicht Ski-fahren und damit hat es sich erledigt“, sagt er grinsend.

In Florians Nebenklasse geht Tina*, sie ist in ihrer Klasse die eine ohne Migrationshintergrund. Ihre Mutter, eine Bürokauffrau, will, dass Tina Schule wechselt, weil zu viele „Ausländer“ an der Schule sind. Doch Tina weigert sich, sie will ihre Freunde nicht zurücklassen. Ihre beste Freundin Era*, eine gebürtige Albanerin, versteht nicht, wieso ihre Freundin Schule wechseln soll: „Die stecken uns in eine Schublade, als wären wir asozial und sie etwas Besseres, weil sie Österreicher sind“, erzählt Era. Era bekommt auch mit, dass sich zwei Lehrer am Gang darüber unterhalten, was für einen schlechten Ruf die Schule hätte, „eine richtige Ausländerschule“, haben sie gesagt. Das verletzt Era, die Klassenbeste ist und ihrer Freundin Tina oft beim Lernen hilft.

Generell bedeutet kein Migrationshintergrund nicht automatisch bessere Leistung. „Die österreichischen Kinder an den Problemschulen sind was ihre schulischen Leistungen angeht, oft schwächer als ihre migrantischen MitschülerInnen und oft auch verhaltensauffälliger“, sagt Matthias*, der an einer NMS im 20. Bezirk Geographie und Mathematik unterrichtet. „Sogar in Deutsch haben viele nur durchschnittliche Noten“, erzählt der Lehrer. „Das Wichtigste ist, dass die Kinder Eltern haben, die sich kümmern.“

Maria* dagegen hat vollstes Verständnis für Tinas Eltern. Die Favoritnerin muss nicht lange überlegen, wie sie das jetzt anspricht. Die 50-Jährige hat keine Scheu, offen zu sagen, dass ihr pubertierender Sohn etwas Besseres als die „Ausländerkinder“ verdient hat. Maria ärgert sich über Akademiker-Eltern, die ihr Kind freiwillig an eine Schule mit hohem Migrantenanteil schicken, weil sie Diversität schätzen und fördern wollen. Sie hält wenig von dem „Gutmenschen-Geschwafel“ und hätte sie mehr Geld, hätte sie ihren Sohn auf alle Fälle in eine Privatschule gesteckt. Mittlerweile ist Marias Sohn 17 und hat die Schule abgebrochen, weil er sich gelangweilt hat, das sagt zumindest Maria. Er ging an eine Polytechnische Schule im 10. Bezirk. „Unsere Kinder sind demotiviert, sie werden nicht gefördert, langweilen sich, weil der Unterrichtsstoff an die Ausländerkinder angepasst werden muss“, sagt sie wütend. „Jeder Österreicher, der das Geld hat, steckt sein Kind in Privatschulen, wer dafür kein Geld hat, der hat auch keine Chancen auf eine gute Zukunft für sein Kind“. Sie ist sich sicher: „Nur unter schwarz-blau kann sich da was ändern. So verblöden unsere Kinder nur.“

*Alle Namen wurden für diesen Artikel geändert

Bessere Bildung für alle unsere Kinder

Ein Kommentar von Melisa Erkurt

Österreicher

Würde man der FPÖ und dem Boulevard Glauben schenken, müsste man davon ausgehen, dass die wenigen ur-österreichischen Kinder in den "Brennpunktschulen" von den Migrantenkindern schikaniert und ausgeschlossen werden. Auf oe24.tv berichtet eine „Wut-Mutter“, dass ihr Sohn als einziger Österreicher an seiner Klasse vor Langeweile aggressiv geworden ist. Die FPÖ verbreitet eine Klassenliste, in der nur ausländische Namen vorkommen und ein Video vom ersten Schultag in Wien, in dem nur Kopftuchtragende Mütter zu sehen sind. Und jetzt auch noch die Falschmeldung über ein angebliches Nikolo- und Schweinefleischverbot an einer Wiener Volksschule. Aber spricht man tatsächlich mit Schülerinnen ohne Migrationshintergrund, die in ihrer Klasse in der Minderheit sind, kommt man schnell drauf, dass das Horror-Visionen von Erwachsenen sind, dass es vielmehr die Eltern sind, die sich vor Leistungsverlust, Islamisierung und Deutschdefiziten fürchten. Was aber schon auffällt ist, dass an Schulen mit hohem Migrantenanteil die Leistung tatsächlich niedriger ist. Das hat aber damit zu tun, dass an diesen Schulen die meisten Kinder aus sozial schwachen und bildungsfernen Familien kommen. Würde man alle sozial schwachen ur-österreichischen Kinder in eine Klasse stecken, würde man zu keinem anderen Ergebnis kommen.

Eine Lösung wäre eine Gesamtschule, in der mehrere LehrerInnen kleine Gruppen von SchülerInnen unterrichten. Die Jugendlichen werden somit durchmischt, aber auch in ihren individuellen Bedürfnissen gefördert. Überlässt man den Eltern die Schulwahl, werden die, die es können, ihre Kinder immer auf die „besseren“ Schulen schicken - Diversität hin oder her. Und was ist mit den Eltern der Migrantenkinder, die nicht zu den Schulveranstaltungen kommen und ihre Kinder nicht auf die Geburtstagsfeste lassen? Zwingen kann man keinen. Man kann nur versuchen, die Eltern zu verstehen und ihnen ihre Ängste zu nehmen. Denn oft genieren sich diese Eltern für ihre Deutsch-Defizite und ihre Bildungslücken - all das, was beim Smalltalk mit den anderen Eltern auffallen könnte. Andere sind aber wahrscheinlich wirklich integrationsunwillig und fürchten, dass ihre Kinder auf den Festen den westlichen Lebensstil übernehmen könnten. Die Eltern können wir wahrscheinlich nicht alle integrieren, aber ihre Kinder dürfen wir nicht ausschließen, indem wir sie an den „Ausländerschulen“ sich selbst überlassen. Was an diesem Diskurs aber auch auffällt: Es ist die Rede von österreichischen SchülerInnen und denen mit Migrationshintergrund – dabei sind sie doch genauso ÖsterreicherInnen und sie alle haben die bestmögliche Bildung verdient – sie sind schließlich alle „unsere“ Kinder.

Melisa Erkurt ist Chefreporterin beim biber und hat Deutsch und Psychologie/Philosophie auf Lehramt studiert. Sie leitet seit drei Jahren das biber Schulprojekt „Newcomer“. 

Newcomer: Seit drei Jahren tourt die biber-Redaktion durch Schulen mit hohem Migrationsanteil und gibt Klassen jeweils eine Woche lang einen Einblick in die mediale Welt. Im Projekt „Newcomer“ lernen die SchülerInnen Rollenbilder zu hinterfragen und ihre Talente und Träume zu stärken. Wollen Sie das Projekt unterstützen oder mehr darüber wissen, schreiben Sie an newcomer@dasbiber.at

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