"Ich bin ein Kulturflüchtling"

24. September 2015

Vassilakou
Foto: Marko Mestrovic

Maria Vassilakou wollte nur ein paar Jahre außerhalb ihrer Heimat Griechenland verbringen und ist heute Vize-Bürgermeisterin. biber erzählt sie, warum der Begriff "Wirtschaftsflüchtling" niederträchtig ist, sie Twitter verweigert und froh ist, dass über das Kussmünder-Plakat so viel geredet wird.

Von Simon Kravagna, Onur Kas und Marko Mestrovic (Fotos)

biber: Sind sie ein Wirtschaftsflüchtling?

Maria Vassilakou: Hmm, Ich bin 1986 als Studentin nach Österreich gekommen. Da war Griechenland bereits in der EG und Österreich. Ich wollte eigentlich die Welt kennenlernen und ein paar Jahre außerhalb meiner Heimat verbringen. Wirtschaftsflüchtling ist da nicht der passende Begriff dafür. Ich bin eher ein „Kulturflüchtling“.

Weil Sie von einer Kulturnation in eine andere Kulturnation geflüchtet sind.

Der Kulturhorizont meiner Nation war mir zu eng. Ob ich hier einen breiteren vorfand, darüber können wir jetzt lange diskutieren.

Nun gibt es in Österreich verschiedene Gruppen von Flüchtlingen, etwa „Wirtschaftsflüchtlinge“, Kriegsflüchtlingen etc. Es wird oft darüber debattiert, wer kommen darf. Sind die alle OK?

Menschen können „OK“ sein oder nicht OK sein. Da ist es für mich irrelevant, ob sie eingeboren, zugewandert oder geflüchtet sind. Wer glaubt, nur „die Guten“ aussuchen zu können, um daraus ein „Idealvolk“ zu basteln, der lebt in einer Phantasiewelt.

Aber viele sagen, dass wir etwa die Kosovaren nicht brauchen, wenn wir Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen müssen.

Einer der perfidesten Wortschöpfungen der letzten Jahre ist der Begriff „Wirtschaftsflüchtling“. Es handelt sich um Menschen, die vor Armut fliehen. Das ist allemal ein Grund zu fliehen, um nach einer neuen Perspektive, Arbeit und Erfolg zu suchen. Ein Land kann nur profitieren, wenn Menschen kommen. Es handelt sich oft um Leute, die sich häufig selbstständig machen und die Arbeit für andere schaffen. Insofern unterscheide ich nicht nach den Gründen, warum jemand hierhin kommt. Differenzierter kann man das bei politischen Verfolgten und Kriegsflüchtlingen betrachten. Die sind unmittelbar aufzunehmen und müssen Schutz finden.

Gibt es hierbei Obergrenzen?

Nein. Wenn es um Asyl geht, darf es laut Genfer Flüchtlingskonvention keine Obergrenzen geben. Es muss selbstverständlich sein, dass wir so viele wie möglich aufnehmen. Unbeschadet dessen braucht es eine gesamteuropäische Lösung. Es kann nicht sein, dass sich einige Staaten vor ihrer Verantwortung drücken.

Diese Flüchtlinge kommen aus der Türkei und sind dort auch in Sicherheit.

Das würde ich nicht so sagen. In der Türkei befinden sich eine Millionen Flüchtlinge in riesigen Lagern, denen das Geld ausgeht. Die sogenannten Geberländer haben es versäumt die Finanzierung der Lager und der Versorgung rechtzeitig abzusichern – Österreich selbst ist säumig bei seinen Beiträgen an die internationalen Hilfsorganisationen. Den Menschen mangelt es also am Nötigsten und an Zukunft, Perspektiven und Arbeitsplätzen.

Aber da sind wir nicht mehr bei der Genfer Konvention.

Das sind aber Kriegsflüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention, die sich in diesen Lagern befinden. Wie gesagt, meine Haltung ist die, dass wir so viele aufnehmen müssen wie wir können.

Wie viel ist das?

Man kann nicht vorab  Zahl festlegen. Das hängt davon ab, wie viele leerstehende Gebäude oder Heime wir füllen können, aber auch von der Bereitschaft der Österreicherinnen und Österreicher Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. Das heißt, dass wir von den Flüchtlingskoordinatoren rechtzeitig erfahren werden, ob die Kapazitätsgrenzen erreicht werden. Aber unsere Kapazitäten sind groß: Anfang der 1980er Jahre hat Österreich innerhalb weniger Monate bis zu 150.000 Polen ohne Probleme untergebracht, zu Beginn der 1990er konnten wir binnen weniger Monate  90.000 Kriegsflüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina versorgen.

Warum ist dann die Aufregung um das Thema so groß?

Vielleicht weil wir in aufgeregten Zeiten leben. Warum war die Aufregung um die Fußgängerzone in der Mahü so groß? Warum erhitzten sich die Gemüter wegen zwei Ampelmännchen? Warum verfiel man in eine Weltuntergangsstimmung, als Syriza die Parlamentswahl in Griechenland gewann und einen Krawattenverweigerer zum Finanzminister ernannten? Dank den sozialen Netzwerken kann man seiner Aufregung ganz leicht Luft machen und sich über jede Kleinigkeit empören.

Twittern Sie eigentlich?

Nein. Ich verweigere das

Was ist mit Facebook?

Da gibt es eine Fanpage von mir, dort erscheinen auch Dinge, die mir wichtig sind. Mein persönliches Facebook-Profil habe ich zwei Wochen nach meiner Amtseinführung als Vize-Bürgermeisterin einstellen müssen, weil ich kaum noch Zeit dafür hatte. Aber ich war stolz drauf, dass ich all die Jahre davor mein Profil selbst managen konnte.

Aber Heinz-Christian Strache findet offensichtlich die Zeit für sein Profil und hat etwa 200.000 Fans. Ist das nicht blöd, dass die Freiheitlichen in den sozialen Netzwerken präsenter sind, als Sie?

Man kann Äpfel nicht mit Birnen vergleichen. Ich bin Kommunalpolitikerin. Strache ist dagegen Bundespolitiker. Auf dieser Ebene erreicht er ein breiteres Publikum als ich auf Gemeindeebene. Es ist auch eine Frage der finanziellen Möglichkeiten. Die Ressourcen der Grünen sind hier recht bescheiden. Da werden die Freiheitlichen mehr Spielraum haben.

Geht es denn nicht um Zuspruch zu einer Person? In seiner Videobotschaft in Bundespräsidenten Manier hat Strache 1,2 Millionen Menschen erreicht. Das ein Wert, der in Österreich noch nie erreicht wurde.

Ob die Zahl stimmt, sei doch dahingestellt. In Zeiten, in denen man sich im Internet Tausende Freunde „kaufen“ kann, wird es auch möglich sein, Klicks zu kaufen. Die Manipulationsmöglichkeiten sind nahezu unbegrenzt und wir wissen alle, die. Die FPÖ leidet nicht unter einem „Weiß-Westen-Syndrom“. Ich denke, dass die vielen Zuseher keine Freiheitlichen, sondern in Panik verfallene Sozialdemokraten waren, die sich das Video mehrere Male angeschaut haben und ihren Augen nicht trauten (lacht).

Kommen wir zu einem anderen Thema: Das Plakat mit den Kussmündern hat hohe Wellen geschlagen. Die Werbewatchgroup hat das als sexistisch eingestuft.

Das zeigt zunächst eines: Organisationen, an deren Aufbau die Grünen arbeiten, sind unbeugsam und unabhängig. Das ist ein Aspekt, worüber ich mich freue. Wir berücksichtigen das für die Zukunft. Aber ich kann nicht von mir behaupten, dass ich diese Einschätzung nachvollziehen kann. Das Wichtigste ist der Inhalt des Plakats – die Ausweitung der 365-Euro-Jahreskarte auf das Wiener Umland. Für den wollten wir Aufmerksamkeit erzeugen, was wir auch geschafft haben.

Angenommen die Freiheitlichen werden Nummer Eins und schlagen einen unabhängigen Bürgermeisterkandidaten vor. Ist das für dich denkbar?

Nein, auch wenn die FPÖ sicher nicht Erste werden wird. Auch ein unabhängiger Kandidat braucht ein Regierungsübereinkommen und muss von der Partei gestützt werden. Das heißt, dass diese Partei einen unabhängigen Bürgermeister jeder Zeit fallen lassen kann, wenn dieser nicht tut, was die Partei vorgibt. Das ist für mich ein wesentlicher Punkt. Man kann nicht mit Menschen eine Regierung bilden, die ein ungeklärtes Verhältnis zum Nationalsozialismus haben. Im Gegensatz zu vielen anderen Abgeordneten blende ich niemals aus, dass der Vorsitzende der Freiheitlichen Partei in seinen Jugendjahren uniformierte Wehrsportübungen machte.

Wie schätzen sie Johann Gudenus ein?

Gudenus trägt die schickeren Anzüge.

Wer steht weiter rechts? Strache oder Gudenus?

Soll es mich wirklich interessieren, wer von den beiden noch rechtsextremer ist? Für mich sind die beiden gruselig genug. Der Eine durchwanderte die Wälder in der Gesellschaft von anderen vorbestraften Nazis und der andere verbringt die Hälfte seiner Zeit in Russland und findet tschetschenische Despoten ganz nett.

 

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