„Ich hätte Medizin studieren und irgendeinen Prinzen aus Jordanien heiraten sollen.“

02. Juni 2021

Kurdwin Ayubs Eltern wollten mit allen Mitteln verhindern, dass sie Filmemacherin wird. Nun spielen die beiden Hauptrollen in ihrem neuen Film „Sonne“. Die Wiener Regisseurin verrät uns bei einem Besuch ganz privat, wie sie das geschafft hat – und mehr.

Text: Nada El-Azar, Fotos: Marko Mestrović

Meine erste Kamera hab‘ ich mit 14 Jahren bekommen, mit der hab‘ ich gern die Burschen aus meiner Klasse gefilmt, wie sie sich ausziehen.“ Kurdwin Ayub erzählt dies mit einem kleinen spitzbübischen Lächeln. „In meiner Klasse gab es Punker-Jungs, die sich immer ausgezogen haben und sich gegenseitig angefurzt und angekotzt haben, das war immer sehr spannend zu filmen“, erinnert sich die Regisseurin. Ihre Eltern zu überzeugen, ihr diese erste Kamera zu schenken, hat einiges an Überzeugungsarbeit verlangt. Und sie erinnert sich auch daran, wie gut ihr Vater darin gewesen ist, heimlich die Aufnahmen zu sehen. „Ihm hat das natürlich gar nicht gefallen“, so Kurdwin, und zupft den mit glitzernden Blutstropfen dekorierten Rock ihres Moschino- Kostüms zurecht. (Das Designerstück hat sie sich vergangenes Jahr zum Geburtstag selbst geschenkt – für eine Überraschungsparty, von der sie wusste, dass sie stattfinden würde.)

Kurdwin Ayub
Regisseurin Kurdwin Ayub posiert vor einigen ihrer Gemälde, die aus ihrer Studienzeit stammen. Credit: Marko Mestrovic

KURDIN, ABER AUCH SIMMERINGERIN
Kurdwin Ayub kam als einjähriges Baby nach Österreich, ihre Eltern flohen mit ihr im Jahr 1991 vor dem Krieg aus dem Irak. In Wien mussten Mutter und Vater erneut Medizin studieren. Ganze acht Jahre dauerte es, bis sie wieder ihre Berufe ausüben konnten. „Bis ich 18 war hatte ich nie daran gedacht, dass ich Ausländerin bin. Ich war einfach ich. Erst später bin ich draufgekommen, wie mich andere Leute sehen. Eigentlich dachte ich immer, dass ich wie meine Freundinnen bin“, so die 30-Jährige. Ihre beste Freundin im Gemeindebau hatte eine „tschickende, keifende Mutter“, wie Kurdwin sie beschreibt. „Obwohl sie Österreicherin war, hatte sie dieselben Konflikte wie ich, ihre Mutter war streng.“ Sie empfand sich zu dieser Zeit nicht als Kurdin, sondern als Simmeringerin. Bis Kurdwin 18 Jahre alt war, lebte sie mit ihren Eltern und zwei jüngeren Geschwistern in einer Gemeindebauwohnung in Wien-Simmering. Dann ging es für sie in den Bobo-Bezirk Neubau, wo sie mit einer Freundin hinzog. Für Kurdwin ein kleiner Kulturschock. „Wir haben in der Westbahnstraße gewohnt, ich hab’s dort gar nicht gepackt. Meine Freundin war ja tatsächlich bobo aufgewachsen, aber für mich war das alles neu. Ich bin erst nach und nach in diese Szene gelangt“, so die Filmemacherin.

Heute wohnt die Regisseurin in ihrer Traumgegend: Dem Arsenal im 3. Wiener Gemeindebezirk, unweit des Heeresgeschichtlichen Museums. Zwischen unausgepackten Umzugskisten lehnen einige Gemälde an den Wänden, die aus der Zeit ihres Malereistudiums an der Universität für Angewandte Kunst stammen. Kurdwin bewarb sich damals dort, ohne die Erwartung tatsächlich auf- genommen zu werden. Doch die Zusage kam, sehr zum Missfallen ihrer Eltern. „Mein Vater sagte mir natürlich 20 Jahre lang auf gut Kurdisch: ‚Nein, du blöde B*itch, geh‘ gefälligst Medizin studieren‘. Aber ich habe mich durchsetzen können.“ Während des Studiums begann sie kleine Videos zu machen, mit ihr selbst als Akteurin. „Performancekünstlerin“ nannte man sie daraufhin schnell. „Ich wollte immer schon Filme machen, hab‘ mich aber nie getraut mich auf der Filmakademie zu bewerben. Wenn man ein junges Ding ist, denkt man immer, dass man keine Persönlichkeit hätte oder nicht cool oder geil genug wäre. Ich wusste halt, dass ich gut malen und zeichnen kann.“ Heute weiß Kurdwin, dass die Coolness in der Film-Bubble meistens heiße Luft ist. „Filmemacher sind nicht gescheit, die tun alle nur so“, verrät sie.

 

„MEIN VATER WAR DIE KURDWIN IN SEINER FAMILIE.“
Mit ihrem Dokumentarfilm „Paradies! Paradies!“ von 2016 schlug Kurdwin Ayub gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Einerseits machte sie sich einen Namen als Regisseurin und gewann unter anderem einen Preis für „Beste Bildgestaltung“ auf der Diagonale. Andererseits gelang es ihr, ihren Vater endgültig von ihrer Leidenschaft zu überzeugen. „Ich hatte das große Glück, dass mein Vater unterschwellig schauspielerische Ambitionen hatte“, sagt Kurdwin. Der Film handelte von einer gemeinsamen Reise mit ihrem Vater in die kurdische Stadt Erbil im Irak, wo er sich eine Wohnung kaufen wollte. Regie und Kamera führte Kurdwin selbst. Nachdem der Film erschien und Anerkennung bekam änderte sich die Einstellung von Kurdwins Eltern gegenüber ihren Ambitionen als Filmemacherin. Die Sache war kein Hobby mehr. „Mein Vater verstand plötzlich, dass er in seiner Familie die Kurdwin war. Im Irak hat er früher sogar für Amateurfotos posiert, lustiger weise sogar recht freizügig“, lacht sie. So schließt sich wohl der Kreis zwischen den sich vor ihrer ersten Kamera ausziehenden Punker-Jungs aus Simmering und ihrem strengen Vater.

Kurdwin Ayub
Die Dreharbeiten für Kurdwins neuen Film "Sonne" mussten 2020 aufgrund der Corona-Pandemie abgebrochen werden. Nun wartet der Film auf einen Kinostart. Credit: Marko Mestrovic

Nun spielen Kurdwins Mutter und Vater Hauptrollen in ihrem neuen Film „Sonne“. Der Film, der von Ulrich Seidl produziert wurde, handelt von drei Freundinnen, die mit Kopftüchern verhüllt mit einem Cover des Songs „Losing my religion“ zum viralen Hit im Internet werden. Eine der Freundinnen ist Kurdin, während die zwei anderen Österreicherinnen sind. Inspiration für das Drehbuch war, Kurdwins Angaben nach, eine englische Girlgroup, die schiitische Gebetslieder auf Englisch sangen. „Ich habe versucht, die Klischees im Film ein bisschen umzudrehen. Die Mutter der Kurdin fand das nicht so toll, dafür aber der Vater. Die beiden werden von meinen Eltern verkörpert“, so die Regisseurin. Von ihrer eigenen Jugend stecke nicht viel in dem Film – außer einzelner Szenen, in denen beispielsweise die kurdische Protagonistin alkoholisiert von ihren Eltern abgeholt werden musste.

Die Dreharbeiten für „Sonne“ begannen wenige Wochen vor dem ersten Lockdown im März 2020 und mussten aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden. „Erst im Herbst konnten wir wieder drehen, aber bis dahin steckten viele Akteure aber schon in neuen Projekten. Ich habe praktisch wieder von vorne anfangen müssen. Aber am Ende hat das dem Film sehr gut getan“, so Kurdwin. Kommenden Sommer sollte „Sonne“ fertiggestellt werden. Der Kinostart ist aufgrund der Pandemie noch nicht klar.

Kurdwin Ayub
Malen tut Kurdwin Ayub heute nur noch selten. Einer ihrer liebsten Orte in ihrer Wohnung ist diese Kommode mit einem alten Familienfoto darauf. Credit: Marko Mestrovic

Zum Abschluss unserer Home-Story wechselt die Regisseurin das Outfit und posiert neben einem ihrer Lieblingsorte in der Wohnung: Der Kommode mit dem Foto von ihr mit ihren Eltern und ihren zwei jüngeren Geschwistern am Flughafen Wien-Schwechat. „Ich hätte Medizin studieren sollen, irgendeinen Prinzen aus Jordanien heiraten und eine Familie haben müssen, wenn es nach meinen Eltern gegangen wäre“, so Kurdwin. Ihre jüngeren Geschwister sind tatsächlich Medizinstudenten - trotzdem hält sich in der Familie das Gerücht, dass Kurdwin das Lieblingskind sei. „Vielleicht einfach, weil ich das erste Kind bin. Oder auch vielleicht, weil ich jetzt die Dinge mache, die meinen Vater eigentlich am meisten interessiert hätten“, spekuliert sie.

 

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