LIEBE MÄNNER,

05. März 2016

Wir wissen, ihr habt die "Frauenthemen" satt. Überall geht es um Gleichberechtigung und die Frau als Opfer männlicher Triebe. Ihr habt Recht. Ihr kommt dabei viel zu kurz. Vier biber-Redakteurinnen wenden sich deshalb mit einem offenen Brief persönlich an euch. Lasst uns die Sexismus Debatte zum Männerthema machen.


Von Melisa Erkurt, Veronika Lukashevich, Aleksandra Tulej und Jelena Pantić

Wieso tun seit den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln alle so, als wären diese ein neues Phänomen, als wären nur Flüchtlinge die Täter? Sexuelle Belästigung gehört zu unserem Alltag, seit wir Teenager sind, und wir sind in Österreich aufgewachsen. Deshalb möchten wir euch eine Geschichte erzählen, eine Geschichte darüber, wie es ist eine Frau zu sein. Bevor ihr jetzt weiterblättert, weil ihr dieses „leidige Frauenthema“ schon satt habt und ihr sowieso jede Frau gut behandelt, denkt an die eine Nacht nach dem Fortgehen, als ihr ein hübsches Mädchen in der Nightline gesehen habt. Ihr habt sie betrachtet, wie man das eben macht, wenn einem jemand gefällt. Könnt ihr euch noch an ihren Gesichtsausdruck erinnern? Daran, wie schnell sie ihr Handy gezückt hat, um jemanden anzurufen - um drei Uhr früh? Als ihr beide zufällig bei derselben Station ausgestiegen seid, hat sie sich immer wieder zu euch umgedreht, ihren Schritt beschleunigt und die Straßenseite gewechselt. „Die hat es aber eilig,” habt ihr euch nur gedacht. Die junge Frau hatte es tatsächlich eilig, sie hatte Herzrasen, sie hatte Angst. Angst davor, dass ihr sie bis nach Hause verfolgt, ihr im Hauseingang auf den Hintern fasst, ihr den Rock hochzieht, sie vergewaltigt. Als ihr sie nur harmlos abgecheckt habt, hatte sie die ganze Zeit dieses Szenario im Kopf.

Das soll keine Geschichte von uns Frauen als Opfer und euch Männern als Täter werden. Das ist einfach nur eine Geschichte von dem Alltag der Frauen in einer Großstadt. Alltag, der leider sexuelle Nötigung allzu gut kennt.

Ich war erst 14

Ich war 14, als ich in einer Straßenbahn sexuell belästigt wurde. Ich war auf dem Heimweg und stand im hinteren Teil des Waggons. Ein Mann sprang im letzten Moment noch hinein.

Jelena Pantic
Foto: Sophie Kirchner
Er stellte sich direkt hinter mich. Ich habe ihn nicht beachtet, weil die Straßenbahn voll war. Doch als sich der Waggon allmählich leerte und der Mann immer noch direkt hinter mir stand, kam es mir merkwürdig vor. Plötzlich spürte ich, wie er sich mit seinem Ständer an mich presste. Ich war so schockiert, dass ich nicht reagieren konnte. Nach mehreren Stationen konnte ich es nicht mehr ertragen. Ich bin hinaus gerannt und habe losgeheult. Mit 14 begriff ich, was es heißt, eine Frau zu sein.

 

"Ich war so schockiert, dass ich nicht reagieren konnte."

„Dann fahr’ halt nicht mit den Öffis“, sagte ein Bekannter damals zu mir. Ich bin aber nicht das Problem. Ob in den öffentlichen Verkehrsmitteln, am Arbeitsplatz oder auf der Straße, bei Tag oder Nacht, egal was wir anhaben – es gibt scheinbar keinen Ort, keine Uhrzeit an dem eine Frau noch nicht belästigt wurde. Wenn ihr genauer hinhört und nachfragt, merkt ihr schnell, dass sexuelle Belästigung in welcher Form auch immer zum Leben einer jeden Frau gehört. Für uns ist es normal und das ist erschreckend. Natürlich versuchen wir auf uns aufzupassen, weil es notwendig ist. Wir sollten uns aber nicht vor dieser Welt fürchten müssen, denn sie gehört uns genauso.

Jelena Pantic

„Nimm doch ein Taxi!“

Ich bin neulich Nacht alleine nachhause gegangen. Ein Mann um die dreißig hat mich angesprochen, festgehalten und versucht, mich zu küssen. Er hat mich nicht mehr losgelassen. Mir ist ein Schauer über den Rücken gelaufen, ich dachte, dass es jetzt für mich vorbei ist. Zum Glück hat mir dann eine fremde Frau geholfen und ich bin komplett aufgelöst und fertig  nachhause gekommen. Ich habe noch nächtelang Alpträume von diesem Erlebnis gehabt. Als ich einem männlichen Freund davon erzählte, meinte dieser nüchtern, ich solle doch nächstes Mal einfach ein Taxi nehmen. Dabei ist die Strecke, die ich gegangen bin, ein Fußweg von zehn Minuten und wer sagt, dass ich im Taxi sicher bin? Ein Taxi-Fahrer bot mir einmal an, ihn statt mit Geld mit Sex zu bezahlen.

Wieso sollen Frauen erneut nach „Ausweichmöglichkeiten“ suchen? Wieso werden sexuelle Übergriffe von Männern so verharmlost, dass es so weit gekommen ist, dass Frauen schon an ihrer Wahrnehmung zweifeln. Wenn dir dann noch dein Arbeitskollege erzählt, dass er sich freuen würde, wenn Frauen ihn anmachen würden, dann fängst du an, an dir zu zweifeln: Vielleicht bin ich ja einfach nur zu empfindlich, vielleicht meinen es die Männer ja nur nett. Zu oft entscheiden sich Frauen deshalb zu schweigen. Die Angst vor Übertreibungen ist zu groß. Warum? Man fühlt sich schuldig, denn: Schlussendlich ist ja nicht wirklich etwas passiert - im Vergleich zu den vielen Frauen, die tatsächlich vergewaltigt worden sind.

Aber sexuelle Belästigung hat viele Erscheinungsformen. Verharmlost man sie, akzeptiert man sie und schafft das Gefühl, es wäre normal, dass manche Männer die Grenzen der Frauen überschreiten. Liebe Männer, an dieser Stelle ist es wichtig, Frauen zum Sprechen zu ermutigen, statt ihre Erzählungen zu verharmlosen.

Aleksandra Tulej

Raubtier und Beute

Mitten am Tag spaziere ich durch die Innenstadt. Ich lasse meinen Gedanken freien Lauf, als ich plötzlich imitierte Tiergeräusche höre, die von meiner rechten Seite kommen. Ich schaue mich um und sehe zwei Männer, die mich mit ihrem Gezuzel scheinbar zu locken versuchen, als wäre ich Beute für sie.

Veronika Lukashevich
Foto: Sophie Kirchner

Einer schleckt sich die Lippen ab, während der andere mich von oben bis unten mustert. Ich fühle mich unwohl, senke den Blick und beschleunige den Schritt. Was ist passiert? Warum fühle ich mich plötzlich so beschämt?

Ich bin nicht die einzige Frau, die Scham dabei empfindet, wenn sie sexuell belästigt wird. Vieler meiner Freundinnen und Bekannten suchen in solchen Situationen die Schuld bei sich: „War der Ausschnitt vielleicht doch etwas zu gewagt?“, „War mein Gang vielleicht doch etwas zu provokant?“ Woher kommt es, dass Frauen die Schuld bei sexueller Belästigung bei sich suchen? Vielleicht weil uns Mama im Kindergarten gesagt hat, wir sollen aufpassen, wie wir sitzen, wenn sie uns einen Rock angezogen hat, damit die Jungs nicht gucken? Oder dass sich manche Männer öffentlich darüber aufregen, dass es strafbar ist, einer Frau auf den Hintern zu fassen. Viele Frauen trauen sich nicht von ihren Erlebnissen zu erzählen, weil sie sich schämen oder weil sie es schon normal, nicht mehr erwähnenswert finden, wenn sie belästigt werden. Wir erzählen weiter, für alle Frauen, die geschwiegen haben.

Veronika Lukashevich

Respekt von klein auf

Oft wird Frauen geraten, sich nicht freizügig anzuziehen, wenn sie nicht blöd angemacht werden wollen. Es ist scheinbar ein klares Zeichen, dass eine Frau Aufmerksamkeit sucht, wenn sie Haut zeigt. Aber mir wurde schon „Du bist so geil, Baby, komm her zu mir!“, hinterhergerufen als ich eine Daunenjacke, Mütze und Schal anhatte, welche „Präventionsmaßnahmen“ hätte ich denn hier bitte noch setzen können?

Viel wichtiger als Mädchen zu sagen, wie sie sich kleiden sollen, ist es Buben von klein auf Respekt und Anerkennung für die Autonomie von Frauen und Mädchen beizubringen. Dass das aber noch immer nicht passiert, zeigt sich daran, dass ich als Lehrerin mit 25 Jahren von 14-jährigen Schülern angemacht werde: „Du bist so geil, du solltest Model sein“, ruft mir einer hinterher und kommt mir unangenehm nahe, als ich aufgrund eines Projekts an ihrer Schule unterrichte. Auch wenn es eigentlich keine Relevanz haben sollte, erwähne ich es dennoch: Ich hatte ein hochgeschlossenes, eher weites schwarzes Langarmshirt an, das fast bis zu meinen Knien ging und eine Jeans, außerdem war ich ungeschminkt. Was daran geil ist, weiß ich nicht. Darum geht es auch nicht, ich möchte einfach nicht, dass ein Mann, in dem Fall ein Junge, so mit mir redet, als wäre es selbstverständlich, als sollte ich mich auch noch geschmeichelt fühlen.

"Ich möchte nicht, dass ein Mann so mit mir redet"

Mein Körper, meine Grenzen

Melisa Erkurt
Foto: Sophie Kirchner

Was soll ich in solchen Situationen tun? „Er ist ja nur ein hormongesteuerter Teenager,“ sagt mir ein Freund. Er macht den Eindruck, als fände er es sogar süß, wie mich der Schüler angemacht hat. Liebe Männer, wahrscheinlich denkt sich der ein oder andere dasselbe wie mein Freund, ihr fragt euch vielleicht: „Darf man den Frauen jetzt gar keine Komplimente machen?“ Auch meine männlichen biber-Kollegen sagen, dass der Junge mir doch nur ein Kompliment machen wollte. Sie verunsichern mich, ich zweifle daran, ob ich diese Zeilen überhaupt schreiben soll. Und genau das ist es! Männer wollen mir einreden, dass es okay ist, wenn ich unpassend angemacht werde. Sie wollen mir die negativen Gefühle, die ich in dieser Situation empfunden habe, absprechen: Aber ich habe mich geschämt und mir war es unangenehm, dass ein 14-Jähriger so mit mir redet. Denn „geil“ ist kein Kompliment und jeder muss die Grenzen des anderen erkennen. Wenn die Frau nicht zurücklächelt, wenn sie einen Schritt von euch weg macht, wenn sie eure Lehrerin ist, möchte sie diese Art von Nähe und Komplimenten nicht. Achtet auf die Signale, die Grenzen, die die Frau setzt: Und ein Nein ist immer ein Nein!

Melisa Erkurt

Liebe Männer, bitte nehmt euch diese Worte zu Herzen. Ihr müsst wissen, die Realität von uns Frauen ist anders als eure. Uns taugt es nicht, wenn man uns hinterherpfeift - selbst, wenn es angeblich nett gemeint ist. Es verleiht uns auch keinen Egoschub, wenn ihr uns mit  “Wow, siehst du geil aus!“ auf der Straße begegnet. Hört auf unsere Erlebnisse zu verharmlosen, Sexismus als Frauenthema abzutun – sexuelle Gewalt an Frauen ist nicht unser Problem, es betrifft euch genauso!

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