"So Schwul!"

31. Mai 2017

Abstoßend, unnatürlich, nur eine Phase: Homosexuelle Jugendliche haben auch in der Schule mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Soziale Medien sind dabei Fluch und Segen zugleich.

Von Alexandra Stanić und Marko Mestrović (Fotos)

Mitarbeit: Sandro Nicolussi und Johanna Gudella

"Mein damals bester Freund hat mir den Rücken zugekehrt, als ich mich vor ihm geoutet habe“, beginnt Jonasz Golain seine Erzählung. „Das war eine sehr schwierige und emotionale Zeit für mich“, erinnert er sich. Jonasz wirkt bei unserem Treffen sehr selbstbewusst, er steht zu seiner Homosexualität. Kurz nach seinem Outing vor vier Jahren bricht sein bester Freund den Kontakt zu ihm ab. „Falls wir uns in der Schule doch mal über den Weg gelaufen sind, hat er über Homosexuelle geschimpft und mich wissen lassen, dass er nichts mehr mit mir anfangen kann.“

Jonasz ist vor etwa zehn Jahren aus Polen nach Österreich gezogen. Auch er selbst hatte lange Zeit ein großes Problem mit Homosexualität. „Ich war sehr homophob“, erinnert sich der heute 21-Jährige. „Ich habe einfach die Meinung meines Umfelds übernommen, ohne mich mit dem Thema zu beschäftigen.“ Mit 17 verliebt er sich in einen Mitschüler: Erst ab diesem Moment setzt er sich mit seiner eigenen Sexualität auseinander. Jonasz sammelt bis auf den Freundschaftsbruch nicht allzu viele schlechte Erfahrungen in der Schule. Anders als viele andere homosexuelle Jugendliche wird er nicht gemobbt. Fast 90 Prozent der LGBT-Jugendlichen beklagen Mobbing oder Gewalt in der Schule. Das ergab eine europaweite Studie der EU-Grundrechteagentur (FRA), an der 93000 homosexuelle, bisexuelle oder transgender (LGBT) Personen teilnahmen. Mindestens 60 Prozent waren mit einem homophoben schulischen Umfeld konfrontiert, zwei Drittel der Befragten verheimlichten ihre Identität in der Schule. 

 

Auch biber-Schülerredakteurin Margarita Dalog hat sich lange Zeit nicht geoutet, immer aus Angst, von ihren MitschülerInnen verurteilt zu werden. „In meiner Mittelschule hassten meine Freundinnen Conchita Wurst und machten sich lustig über homosexuelle Menschen. Wie werden meine Freunde reagieren? Werden sie mich hassen?“ Fragen, die sie täglich beschäftigten. „In meiner neuen Schule outete sich ein Mädchen als bi. Sie wurde von meiner Klasse verspottet und verachtet“, erinnert sich die 18-Jährige. „Sie hat viel geweint.“

Im Rahmen des biber-Schulprojekts „Newcomer“ wird Homosexualität unter Jugendlichen immer wieder besprochen. Der „Newcomer“ versucht in einer Woche, einer Klasse einen Einblick in die mediale Welt zu gewähren und gesellschaftlich relevante Themen zu diskutieren, zum Beispiel Homophobie unter Jugendlichen. Melisa Erkurt, Leiterin des „Newcomer“-Projekts, ist eine Situation besonders im Gedächtnis geblieben. „Einer der Schülerredakteure hat gesagt, dass er Homosexualität als unnatürlich und abstoßend empfindet“, so die 26-Jährige. „In dem Sitzkreis war ein Mädchen, das lesbisch ist und sich mir anvertraut hat. Aus Angst, aufzufallen, hat sie nichts gesagt, aber sie war sehr verletzt von den Worten ihres Kollegen. Wegen Aussagen wie dieser hat sie sich auch noch nicht geoutet.“

In den Schulklassen wird Melisa Erkurt regelmäßig mit Homophobie konfrontiert. Vor allem die Einstellung junger Burschen mit Migrationshintergrund sei problematisch. „Wäh, das ist so grindig“ oder „In unserer Kultur gibt es so etwas nicht“, solche Aussagen kommen, wenn Homo- und Transsexualität thematisiert wird. „Aber auch junge Mädchen haben manchmal etwas gegen Schwule, Lesben werden kaum erwähnt“, so Erkurt. „Es passiert aber auch oft, dass sie sich einen schwulen besten Freund wünschen, mit dem sie shoppen können und der sie bei ‚Mädchensachen‘ berät – das ist ja auch ein Vorurteil.“

Diese zwei Schüler unterscheidet bis auf ihre Homosexualität nichts von Gleichaltrigen. Trotzdem haben sie mit Vorurteilen zu kämpfen.
Diese zwei Schüler unterscheidet bis auf ihre Homosexualität nichts von Gleichaltrigen. Trotzdem haben sie mit Vorurteilen zu kämpfen.

 

„Einfach nur, weil er schwul ist“

Homo- und Transphobie unter Jugendlichen ist nichts Neues, das weiß auch Psycho- und Sexualtherapeut Johann Wahala. „Diese zeigt sich schon damit, dass in der Schule ‚schwul’ eines der beliebtesten Schimpfwörter ist“, so Wahala. „Wir leben in einer heteronormierten Gesellschaft und gerade unter Jugendlichen gibt es dadurch Vorurteile und Zerrbilder, was Homosexualität und Transidentitäten betrifft.“

Im Zuge meiner Recherche besuche ich eine Klasse des Gymnasiums Kandlgasse, die gerade am biber-Schulprojekt teilnimmt. Auf dem Weg dorthin kriege ich in der Straßenbahn eine Unterhaltung zwischen Jugendlichen mit. „Schau dir die Schwuchtel an“, meint einer zum anderen. In der Schule angekommen, reiße ich das Thema Homosexualität direkt an. Ein Mädchen meldet sich zu Wort. „Ich kenne eine Gruppe von Jungs, die vor Kurzem einen schwulen Mitschüler verprügelt hat“, erzählt sie. „Einfach nur, weil er schwul ist.“

 

schwul = schwach

Auf meine Frage, ob sie „schwul“ als Beleidigung verwenden – ähnlich wie die Teenager in der Straßenbahn – nickt der Großteil der Klasse. „Aber wir meinen ja nichts gegen Schwule, es ist nur eine Redewendung“, bringt ein Mädchen ein. „Das sagt man einfach so“, findet eine andere. Wieder stimmen ihr die meisten zu. „So schwul“ verwenden sie zum Beispiel auch, wenn sie sich besonders über etwas sehr Kitschiges oder Liebes freuen. Eine biber-Straßenumfrage unter Jugendlichen zum Thema Homosexualität ergibt Ähnliches. „Ich sage auch öfters ‚schwul’ als Beleidigung, aber das machen in meinem Freundeskreis alle“, sagt etwa der 16-jährige Berkan. Auch in Binis Wortschatz ist ‚schwul’ fest verankert: „Ich benutze es in meinem Alltagsgebrauch, eher aus Spaß und unter Freunden.“

Martina Warnung, Betreuerin im Jugendzentrum Come2Gether, beobachtet, dass „schwul“ von Jugendlichen als Beleidigung verwendet wird – meist in Bezug auf Schwäche bei Männern. Das wiederum wirft die Frage auf, warum das so konnotiert ist: „Schwul ist gleich schwach“, so die Jugendbetreuerin. In dem Jugendzentrum hängen sehr prominent Plakate, auf denen sich zwei Männer oder zwei Frauen küssen. Auch hier fallen homophobe Tendenzen auf. „Jemand, der neu im Zentrum ist, sagt dann ‚wäh‘ oder ‚ist ja grauslig‘.“ Man spreche sich im Jugendzentrum zwar ganz klar gegen Homophobie aus, toleriere aber die Meinung der Jugendlichen. „Unser roter Faden ist eher, dass wir ständig darüber reden“, so Warnung.

 

Fluch und Segen

Die Klasse in der Kandlgasse ist sich darüber einig, dass sich Jugendliche oft nicht mehr „trauen“, vor vielen Menschen und im realen Leben etwas gegen Homosexuelle zu sagen. Diese Barriere gibt es im Netz aber nicht, dessen sind sich alle sicher. Das erklärt wohl auch die vielen beleidigenden Kommentare auf YouTube, Instagram oder Snapchat – soziale Netzwerke mit einer jungen Zielgruppe. Psychotherapeut Wahala stimmt zu: „Im Internet ist es leider auch sehr leicht, anonymisiert undurchdachte und emotionsgetriebene Meldungen abzugeben. Das kann oft verletzend sein.“

Zuspruch finden auch hetzerische Videos von YouTubern wie Mert Eksi. Der deutschtürkische Vlogger und Hip Hopper erreicht mit seinem Kanal „It’s Mert TV“ 700.000 Abonnenten. Vor ein paar Wochen entdecke ich ein Video von ihm: Ein aggressiver junger Mann, der Homosexualität ablehnt und wüste Beschimpfungen in die virtuelle Welt schreit. Die Reaktion? 94.000 Likes. Mittlerweile wurde sein Video von YouTube gelöscht, etliche User haben es aber wieder hochgeladen. Mert Eksi beschimpft Homo- und Transsexuelle in seinem „Statement“, sagt, dass er sie „nicht toleriert“ und Homosexualität „einfach unmenschlich ist.“

Apropos YouTube: Auch die Videoplattform scheint Homophobie auf eine absurde Art und Weise zu unterstützen. Aktiviert man den „eingeschränkten Modus“ auf YouTube, werden Videos ausgeblendet, die unangenehm auffallen könnten. Die Videoplattform erklärt, dass verschiedene Anhaltspunkte wie zum Beispiel Videotitel dafür verwendet werden, um auszufiltern. Viele der Videos, die im eingeschränkten Modus nicht zu sehen sind, sind LGBTIQ-Inhalte, zum Beispiel Coming Outs oder Ratgeber, wie man mit Homophobie umgeht. Etliche internationale YouTube-Stars haben sich Ende März gegen diese Form der Zensur ausgesprochen. YouTube entschuldigte sich daraufhin, betonte, wie stolz man auf die LGBTIQ-Stimmen sei und dass man sich um eine Besserung bemühen werde. Verändert hat sich bisher noch nichts.

 

Mutmacher

Aber soziale Netzwerke erschweren das Leben junger Homosexueller nicht nur, gibt Psychotherapeut Wahala zu bedenken. Er sieht darin auch durchaus eine positive Seite. Ein Trans-Jugendlicher, der seine Beratungsstelle „Courage“ regelmäßig besucht, hat sein Coming Out und seinen Transitionsprozess, also die Zeit der Geschlechtsangleichung, auf YouTube dokumentiert. Damit hat er einigen Mut gemacht und ihnen Ratschläge erteilt. „Im Sinne der Öffentlichwerdung von Homosexualität und Transidentität helfen die neuen Medien enorm, das kann dazu führen, dass in der Gesellschaft ein größeres Bewusstsein dafür entsteht.“

Das bestätigt auch Jonasz, der mittlerweile eine Maturaschule besucht. Er selbst hat seit seinem Outing ein schwieriges Verhältnis zu seiner Familie. Er erfährt weniger Diskriminierung von Gleichaltrigen, mehr aus dem Elternhaus. „Meine Eltern haben mich zu einem Psychologen in Polen geschickt, damit der mich von ‚meiner Krankheit heilt‘“, erinnert sich der Schüler mit polnischen Wurzeln. „Sie haben bei ihrer Recherche aber missverstanden, dass er auf Homosexualität spezialisiert ist, nicht um sie zu ‚heilen‘, sondern um LGBTIQ-Personen zu helfen.“

Für ihn sei vor allem wichtig, dass Coming Outs nicht so harmlos und leicht dargestellt werden. „Es ist oft nicht so, dass danach alles super ist und du von jeder Seite unterstützt wirst.“ Deswegen findet er es gut, dass andere ihre Erfahrungen ins Netz stellen. „Mir helfen YouTube-Videos von anderen Schwulen sehr, weil ich mich dann weniger allein fühle“, so der gebürtige Pole. „Sie machen einem irgendwie Mut.“ ●

 

Situation in Österreich

Derzeit können gleich-geschlechtliche Paare in Österreich die „Eingetragene Partnerschaft“ (EP) eingehen, die sich in etwa in 40 Punkten von der Ehe unterscheidet - viele davon sind symbolischer Natur. Die zuständige Behörde ist bei der EP nicht das Standesamt, sondern die Bezirkshauptmannschaft. Eingetragene PartnerInnen haben keinen gemeinsamen „Familiennamen“, sondern einen „Nachnamen.“ Trennt man sich als Ehepaar, folgt die Scheidung, bei eingetragenen Paaren eine Auflösung. Zudem geht man bei der eingetragenen Partnerschaft eine “lockerere” Bindung ein, beispielsweise erkennbar an den geringeren Unterhaltspflichten nach einer Trennung. Für die „Ehe für alle“ sind in Österreich grundsätzlich die Grünen, NEOS und SPÖ, dagegen die FPÖ und die ÖVP.

 

 

Beratungsstellen

Courage-Beratung

Windmühlstraße 15/1/17,

1060 Wien

Tel.: 01/585 69 66

info@courage-beratung.at

Beratungszeiten:

Mo-Fr, 15-20 Uhr

 

Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien

Heumühlgasse 14/1, 1040

Tel.: 01/2166604

office@hosiwien.at

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