Warum ich Junuzovic nicht verstehe

31. März 2015

Eigentlich wollte ich nicht über das heutige Freundschaftsspiel Bosnien-Herzegowina gegen Österreich schreiben, weil ich nicht live dabei sein kann. Aber dann habe ich etwas gelesen, das meinen sonst sehr zurückhaltenden Nationalstolz geweckt hat.

Dieser Heute-Artikel mit dem Titel „Zlatko Junuzovic: "Kein Bezug zu Bosnien“ hat mich stutzig gemacht. Junuzovic hat doch bis zu seinem fünften Lebensjahr in Bosnien-Herzegowina gelebt und hatte bis zu seinem 15. Lebensjahr sogar die bosnische Staatsbürgerschaft? Ich zitiere ihn im Heute-Interview: "Ich persönlich war nach der Flucht nicht mehr in Bosnien. Meine Wurzeln sind zwar von dort, ich fühle mich jedoch als Österreicher und habe keinen Bezug zu Bosnien.“ Weil ich der Heute nicht traue, gehe ich auf Nummer sicher recherchiere weiter. Auch in anderen Zeitungen spricht er von „wenig Bezug zu Bosnien“.

Ich kann Junuzovic in einem Punkt verstehen: Ich war früher oft in einem Zwiespalt - Bosnierin oder Österreicherin, was bin ich denn nun? Mein Umfeld hat auch oft verlangt, dass ich mich als Serbin deklariere, denn ich bin serbisch-orthodox. Auf jeden Fall habe ich mit der Zeit für mich selbst entschieden: Es gibt kein Entweder-oder. Ich bin beides. Geht es zum Beispiel um meine Mentalität oder meinen Humor, bin ich definitiv Bosnierin. Wenn es aber um die Lautstärke beim Reden oder Pünktlichkeit geht, bin ich Österreicherin.

Deswegen finde ich es nicht verwerflich, dass sich Junuzovic als Österreicher sieht. Immerhin ist er hier aufgewachsen, genauso wie ich. Was ich aber beim besten Willen nicht verstehe, ist, dass er keinen oder kaum Bezug zu seinem Heimatland hat. Ich habe so viele Fragen im Kopf: Spricht er denn nicht Bosnisch? Hat er nicht diesen bosnischen Schmäh und diese Mentalität vom Balkan? Erkennt er einen anderen Bosnier etwa nicht aus 100 Meter Entfernung? Hat er keine Tante, Großmutter, Cousine oder Nachbarin, die ihm jeden Morgen Ustipke zum Frühstück macht, wenn er zu Besuch „unten“ ist? Achso, die kann er ja gar nicht haben. Weil er seit seiner Flucht nicht mehr in Bosnien-Herzegowina war. Die wichtigste aller Fragen ist aber: Wieso war er seither nicht mehr unten?

Ich bin wirklich die letzte Person, die übertriebenen Nationalstolz gutheißt. Denn die Grenze zwischen Patriotismus und Nationalismus ist oft verschwommen und unklar. Aber, dass er keinen Bezug zu Bosnien-Herzegowina hat, lässt mich Mitleid für ihn empfinden.

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