Sexismus ist mein Alltag

16. Oktober 2018

Frauen aus patriarchalischen Kulturen wie ich kennen wirklich härtere Probleme als sexistische Postings oder Sprüche. Trotzdem ist die "MeToo"-Bewegung für uns kein Luxus, sondern Inspiration im Kampf um unsere Befreiung. 

White feminism?

Als eine Frau, die in einer Kultur aufgewachsen ist, in der jedes Argument von mir mit den Worten „weil er der Mann ist“ für nichtig erklärt wurde, gehört der Sexismus zu meinem Alltag. Die „MeToo“- Bewegung brachte ein Thema in den Vordergrund, über das die Öffentlichkeit bisher geschwiegen hat. Die Erfahrungen unter dem Hashtag über gaffende Männer und pfeifende Bauarbeiter sind auch mir nicht fremd, aber meine Realität ist zudem gefüllt mit Männern, die mich jeden Tag daran erinnern, dass sie über mein Leben entscheiden. Männer die nicht „nur“ einen blöden Spruch ablassen, wenn ich an ihnen vorbei gehe, sondern mich anhalten und fragen, wohin ich den zu dieser Uhrzeit will.

Es gibt noch Kulturen, so wie meine, in denen eine Frau die Tochter von X oder die Ehefrau von Y ist, aber nie ein Individuum an sich. Wie wichtig ist es denn nun wirklich, über die Grenzen zwischen einem Flirt und Belästigung zu sprechen, wenn es Frauen gibt, die mit „härteren“ Problemen zu kämpfen haben? Ist für Frauen  wie mich der Diskus, der durch „MeToo“ ausgelöst wurde eine Art „Luxusproblem“, der uns und unsere „wirklichen“ Probleme in den Schatten stellt, wie manche der „MeToo“-Kritiker behaupten?

Wir sind noch Adams Eva

Tatsächlich erübrigt sich in patriarchalischen Kulturen die Frage danach, was ein Mann sagen oder tun kann, da man prinzipiell das ganz große Los gezogen hat, wenn man als  Mann auf die Welt kommt. Somit ist die Welt dein Spielplatz und die Frauen sind deine Spielzeuge. Eine Diskussion über die Grenzen eines Flirts, über unangebrachte Kommentare oder Diskriminierung aufgrund deines Geschlechts erscheinen noch in ferner Zukunft, wenn man tagtäglich sich für das Recht auf Bildung einsetzen und gegen eine von der Gesellschaft auferlegten Rolle kämpfen muss. Für die 14-jährige Afghanin, die in Wien-Favoriten von ihrem Bruder erstochen wurde, oder der saudischen Aktivistin Loujain al-Hathloul, die in Haft sitzt, weil sie sich gegen das Fahrverbot für Frauen in Saudi Arabien ausgesprochen hat, wäre eine „MeToo“- Debatte vielleicht eine leichte Kost im Vergleich zu dem, womit sie zu kämpfen hatten.  Wir führen nämlich noch einen Kampf um unsere Daseinsberechtigung als Frauen und verstecken unser feministisches Gedankengut, um Männer nicht gegen uns aufzuhetzen.

Das Patriarchat als Feindbild aller Frauen

Aber für uns Frauen gibt es keine Messlatte, mit der wir die Probleme anderer selektieren, wenn unsere schlimmer sind. So funktionieren wir nicht und so funktioniert der Feminismus nicht.  Unsere Rechte als Frauen waren nie Grundrechte, sondern Privilegien, die wir uns über Jahrhunderte hart erkämpft haben.  Dass dieser Kampf in anderen Ländern immer noch nicht stattgefunden hat, bedeutet nicht, dass die westlichen Frauen sich zurücklehnen und auf ihre Schultern klopfen können und die „mildere“ Form von Sexismus dulden müssen, weil es ja Frauen gibt, die immer noch nicht das Wahlrecht haben.  Eine österreichische Frau, die sich gegen die unangebrachten Kommentare ihres männlichen Kollegen aufregt, wird schnell mal darauf hingewiesen, dass ihre Probleme nahezu Luxus seien für beispielweise ein afghanisches Mädchen. So dienenFrauen aus unseren Kulturen, die noch keine Emanzipation erlebt haben gerne als ein Todschlagargument, das westlichen Frauen das Gefühl vermitteln soll, ihre eigenen Erfahrungen mit Sexismus seien Luxus-Probleme. Das ist eine erbärmliche Strategie, um eine hitzige Diskussion über sexualisierte Gewalt wieder zu beenden.

Ich kann sagen, dass die „MeToo“- Debatte von uns – den nicht westlichen Frauen-  kaum unter dem Motto „deine Probleme hätte ich gern“ abgetan wird. Nein. Sie zeigt uns auf, welche gesellschaftlichen Machtstrukturen es noch zu bekämpfen gilt, selbst in dem vermeintlich emanzipierten Westen. Es stellt sich somit nicht die Frage, welche Frau in welcher Kultur mehr diskriminiert wird. Wir sollten uns das gemeinsame Ziel setzen, dass keine Frau mehr diskriminiert wird, weil sie eine ist. 

                                          

 

 

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