Wenn die Bühne weg ist, was passiert mit unseren Stimmen?

13. November 2023

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Aljeen Hasan ist Stipendiatin der biber Akademie. (C)Zoe Opratko

Es war einmal ein Mädchen, das den Namen Aljeen trug und einen großen Traum hatte - in einem Land, in dem Träume wie ihrer verboten waren. Eines Tages brach in diesem Land ein Krieg aus, sie musste ihre Heimat Syrien verlassen. Nach langjähriger Flucht befand sie sich plötzlich in einem neuen Land, in dem große Träume scheinbar auch unmöglich waren. Ihr Wunsch war es, ihre Anwesenheit in Österreich sichtbar zu machen, ihre Stimme erheben und laut zu sein. Sie kämpfte jeden Tag ein Stück mehr um ihren Traum, Journalistin zu werden - trotz unzählbarer Hindernisse wie Sprache, Kultur, Bürokratie und Diskriminierung. Jedes Mal, wenn sie kurz davor war, ihn zu erreichen, wurden ihr neue Steine in den Weg gelegt. Das hier ist  kein Märchen, sondern meine ganz persönliche Geschichte: Ich bin Aljeen und ich wollte und will meinen Traum trotz allem nicht aufgeben. 

Da ich in keinem Märchen bin, sondern in Österreich, hat meine Geschichte ein anderes Ende. 

Eines Tages hörte ich von einer Bühne, die Biber heißt – ein Ort, an dem Menschen wie sie laut und sichtbar werden können. Ich las hier immer wieder Beiträge von Menschen, die ich für Vorbilder hielt. „Aber wie kann ich bloß Teil davon werden? Wie soll ich hier in Österreich Journalistin werden?“ Der Gedanke ließ mich nicht los. So einfach war das nicht. Wenn ich etwas in Wien gelernt habe, dann ist es die bittere Wahrheit: Dass man ohne die richtigen Kontakte nur schwer im Journalismus Fuß fassen kann. Aber aufgeben wollte ich nicht nicht-auch wenn ich es gewollt hätte, hätte die kurdische Sturheit, die ich in mir trage, es nicht erlaubt. Somit sammelte ich eines Tages meine Kraft und Mut und machte mich auf den Weg. Ich klopfte an die Tür der Redaktion. Ich kann mich noch an die verwirrten Blicke erinnern, als ich hineinkam und sagte: „Ich bin Aljeen und schreibe über die Themen, die euch interessieren könnten.“ Heute sitze ich als Stipendiatin der Akademie in der Redaktion und bin Teil von Biber. Endlich hatte meine Stimme eine Bühne gefunden.  

Aber da ich wie gesagt in keinem Märchen lebe, sondern in Österreich, hat meine Geschichte ein anderes Ende. Bald wird mir meine Stimme erneut geraubt. Bald muss ich mit dem ganzen Team dieses Gebäude für immer verlassen. Dieses Gebäude, das für hunderte von jungen Menschen, die mutig, aktiv und talentiert sind, wie ein zweites Zuhause war und ist. Es ist eine Plattform für junge, starke Leute, die laut und sichtbar in der österreichischen Medienlandschaft sein wollen, aber ein Hindernis hatten, nämlich ihre Migrationsbiografie. Biber ermöglichte den talentierten Journalist*innen den Einstieg in den erfolgreichen Journalismus. Es war wie eine Werkstatt, eine Talenteschmiede. Es erkannte sofort das unsichtbare Potenzial hinter jedem jungen Menschen, nahm sie auf, rekrutierte sie mit den notwendigen Werkzeugen und Mitteln, gestattete ihnen den Eintritt in die Welt des Journalismus in Österreich. Nun wird Biber nach 16 Jahre scharfer Stimme eingestellt. Wenn die Bühne weg ist, was passiert mit unseren Stimmen? Aber die Wut und die Enttäuschung bringen uns dazu, lauter und lauter zu werden. Die Stimme kann niemals geraubt werden, denn wenn Biber eingestellt wird, werden wir weiterhin laut sein: Nicht nur, weil wir es wollen, sondern, weil es notwendig ist. Die Notwendigkeit, gehört, gesehen und anerkannt zu werden, wird bleiben – mit oder ohne Bühne. 

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