Tausende protestieren für Bosniens Demokratie

28. Juli 2022

In den letzten Tagen versammelten sich mehrere tausend Menschen in Sarajevo und protestierten für ihre Rechte. “Apartheid“, “Ghetto“ und das “Ende der Demokratie“ - diese Wörter standen auf den Schildern der Protestierenden. Warum?


aus Bosnien berichtet Dennis Miskić

 

Der Hohe Repräsentant Christian Schmidt möchte eine Wahlrechtsreform durchführen. So weit, so gut. Die Krux dabei: Die Reform dient nur dem Zweck, der kroatisch-nationalistischen Partei HDZ mehr Einfluss zu liefern - und das, obwohl sie gerade mal zwischen 9 und 12% bei den Wahlen 2018 geholt hat. Die Partei mit Dragan Čović an ihrer Spitze blockiert seit Jahren mit ihrer ethno-nationalistischen Politik unter anderem Regierungsbildungen und sorgt für Spannungen im Land. Beispielsweise wurden im Dezember 2021 gemeinsam mit dem separatistischen Politiker Milorad Dodik versucht, ein Gesetz gegen die Genozidleugnung zu blockieren.

Grund für diese Entscheidung von Christian Schmidt sollen erhöhter Druck aus Großbritannien und den USA, angeführt von Kroatien und ihrem Präsidenten Zoran Milanović, sein. Während dem NATO-Gipfel am 7. Juli sei anscheinend der Druck auf Schmidt gestiegen. Kroatien hatte angedroht, ein Veto gegen den Beitritt von Schweden und Finnland in das Bündnis einzulegen. Gemeinsam mit den Amerikanern wurde ein Deal ausgehandelt, um das Veto zu stoppen und Kroatien zufrieden zu stellen. Bosnien sei hier lediglich ein Mittel zum Zweck. Wie der Bauer auf einem Schachbrett.

Durchs Hinterzimmer aus Zagreb

Die Inhalte der Änderungen am Wahlgesetz sollen laut investigativ-journalistischen Quellen direkt aus Zagreb - und zwar vom kroatischen Außenminister Gordan Grlić Radman - gekommen sein und beinhalten eine Reihe von diskriminierenden und undemokratischen Überarbeitungen an Bosniens politischem System. Grundsätzlich geht es darum, der HDZ mehr Sitze im Haus der Völker des bosnischen Parlaments zu sichern. Es ist ein wichtiges Druckmittel der nationalistischen Partei, denn mit mehr Sitzen in der ersten Parlamentskammer haben sie automatisch mehr Einfluss. Das Haus der Völker ist ganz entscheidend für sie, denn dort können Vetos gegen Gesetzesentwürfe eingelegt werden.

Davon träumt der Nachbarstaat Kroatien schon länger. Milanović hat sich in den letzten Jahren verschärft in politische Angelegenheiten Bosnien und Herzegowinas eingemischt und versucht hier auch die Ideologie der “Herceg-Bosna”, einer dritten Entität neben der Föderation und Republika Srpska, zu fördern. Medien zufolge sollen auch Gespräche abgehört worden sein, in denen kleinere “Gewaltvorfälle” in diesem Landesteil Bosniens angedroht wurden, falls das Wahlgesetz nicht geändert wird.

Handbremse gezogen

Abgesehen davon, dass In einem pluralistischen und multi-ethnischen Staat wie Bosnien und Herzegowina die konstituierten Gruppen überall symbolisch wichtig sind, stehen die geplanten Änderungen auch nicht in den Befugnissen des Hohen Repräsentanten. In einem Interview mit dem STANDARD erklärt der Grazer Verfassungsrechtler und Bosnien-Experte Josef Marko die Situation genauer.

Gestern Nachmittag wurde nach einem Treffen zwischen Schmidt und der politischen Elite Bosniens bekannt, dass die geplante Reform in ihrer ursprünglichen Form nicht durchgezogen wird. Es werden lediglich „technische Änderungen“ vorgenommen, die Wahlmanipulation vorbeugen und für Transparenz sorgen sollen. Auch wenn das vorerst nach einem Sieg für die Bürger*innen Bosniens aussieht, ist weiterhin unklar wie die Zukunft der Wahlen, die am 2. Oktober stattfinden, aussehen wird.

Klar ist jedoch eines: Die Bürgerinnen und Bürger Bosnien und Herzegowinas wollen demokratische und progressive Veränderung. Nationalistischer und separatistischer Politik darf keine Bühne mehr geboten werden und die internationale Gemeinschaft soll endlich ihren Teil dazu beitragen und nicht in die Karten dieser Politiker*innen spielen. Die Rechte von Menschen können doch wohl nicht ernsthaft hinter verschlossenen Türen ausgehandelt werden.

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