„Wie, du willst keine Kinder?“

02. Juni 2022

Frau mit Balkan-Background, Mitte 20, unverheiratet und dann auch noch keine Pläne, ein Kind zu bekommen? Das stößt in der Community sauer auf, berichtet Autorin Maria Lovrić-Anušić. Sie hat für sich selbst beschlossen, dass sie kinderlos und glücklich bleiben will. Auch wenn viele nicht verstehen können, wie diese zwei Haltungen zueinander passen.

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Maria Lovrić-Anušić

Von Maria Lovrić-Anušić, Fotos: Zoe Opratko

Ein Einfamilienhaus, ein Ehemann und drei Kinder. Was für Viele in meinem Umfeld ein Traum ist, klingt für mich nach einem Horrorszenario. Ich möchte Karriere machen, viel Reisen und die Welt ohne jegliche Verpflichtungen erkunden. Mit dem Gedanken zu heiraten, könnte ich mich vielleicht noch irgendwann anfreunden, Kinder möchte ich aber keine. Das bedeutet nicht, dass ich Kinder hasse, ich möchte nur keine Verantwortung für ein neues Leben übernehmen. Wenn ich das bei Verwandten und Bekannten so kommuniziere, stoße ich allerdings nur auf Unverständnis. Wie kann es sein, dass eine Frau lieber Karriere macht und keine Kinder will? Das gehört sich doch so nicht.

Das kritische Weltbild

Diese Abneigung gegen Karrierefrauen kommt nicht von ungefähr. Sowohl in meiner Heimat Kroatien als auch in den restlichen Balkanstaaten existiert ein vorgefertigtes und vor allem unglaublich veraltetes Bild vom Leben einer Frau. Sie wird geboren, geht zur Schule, hilft im Haushalt, heiratet, bekommt Kinder und lebt als Hausfrau und Mutter, während ihr Mann arbeiten geht. Die Menschen sind nicht gewillt, ihre Ansichten zu ändern, denn „es war ja schon immer so“. Jede Frau, die sich gegen dieses traditionelle Bild wehrt, wird nur belächelt und nicht ernstgenommen. „Du wirst deine Meinung schon noch ändern, wenn du älter bist“, ist der Standardkonter. Das ist unglaublich problematisch, denn dadurch gibt die ältere Generation der Balkan-Community den jungen Frauen das Gefühl, sie wären nur auf der Welt, um Kinder zu gebären, und, dass ihre persönlichen Wünsche nicht relevant wären.

„Wie, du willst keine Kinder?“

Eine Bekannte, die selber grade erst Anfang zwanzig ist und aus Bulgarien kommt, erzählte mir letztens, dass sie mindestens zwei Kinder haben möchte und sie eigentlich auch relativ bald heiraten will. Ihr Lehramtsstudium würde sie sowieso nur als Zeitvertreib absolvieren, denn eigentlich wollte sie schon immer Hausfrau werden. Meine Antwort auf ihre Frage, wie viele Kinder ich gerne hätte, schockierte sie etwas. „Ich will keine Kinder,“ meinte ich. Ich erzählte ihr euphorisch von meinen Plänen, mein Masterstudium zu Ende zu machen und mich vollkommen auf meinen Traum, Journalistin zu werden, zu konzentrieren. Immerhin bin ich ja erst Mitte zwanzig und hab mein ganzes Leben noch vor mir. „Wie, du willst keine Kinder? Was ist denn sonst der Sinn in deinem Leben?“, erwiderte sie mir nur. Auf meine Wünsche und Träume ging sie gar nicht erst ein. Es war ihr einfach ein Rätsel, wie ich sowas nur aussprechen konnte. Auch Verwandte machen es sich zur Aufgabe, mir die Frage „Kad ćeš se udat?“, was so viel wie „Wann wirst du heiraten?“ bedeutet, zu stellen. Warum fragen sie mich nicht, wie mein Studium läuft und welche Pläne ich arbeitstechnisch hege? Ahja, weil ich eine ledige 24-jährige Frau bin. Meine biologische Uhr ist am Ticken und es ist Zeit, sich einen Mann zu suchen, bevor es zu spät ist. Das wollen sie mir zumindest damit sagen, ohne es direkt auszusprechen. Meine Erwartungen sollte ich aber doch etwas runterschrauben, denn offensichtlich verlange ich zu viel, wenn ich keinen sexistischen oder rassistischen Mann heiraten will. Eine Frau, die sich nämlich nur auf sich selbst konzentriert und zu viele Ansprüche stellt, wird schnell als egoistisch abgestempelt.

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Autorin Maria Lovrić-Anušić möchte keine Kinder. Akzeptiert wird diese Entscheidung nicht ohne Gegenwind aus der Community. ©Zoe Opratko

Kinder als Altersvorsorge

„Wer soll sich denn um dich kümmern, wenn du alt und schwach bist?“, ist eine der häufigsten Fragen, wenn ich erzähle, dass ich mir in meiner Zukunft keine Kinder vorstellen kann. Es ist der Kreislauf des Lebens, man bekommt Kinder, die sich dann um einen kümmern, wenn man alt ist. Immer wenn ich das höre, frage ich mich, ob diese Menschen wirklich Kinder oder einfach nur eine sichere Altersvorsorge haben möchten. Was ist denn, wenn diese Kinder in ihrer Zukunft auf einen anderen Kontinent ziehen oder nicht genug Geld verdienen, um sich um ihre Eltern zu kümmern? Sind sie dann uninteressant und undankbar? Vor Jahrzehnten war das eine gängige Begründung, um Kinder zu bekommen, heute haben wir aber genug Möglichkeiten, um uns für die Zukunft abzusichern, und wir müssen definitiv nicht Kinder in die Welt setzen, nur um diese Verantwortung auf sie abzuwälzen. Ich persönlich könnte das niemals mit meinen moralischen Wertvorstellungen vereinbaren.

„Sei niemals von einem Mann abhängig!“

Ich habe zum Glück von meinen Eltern selbst nie den Druck verspürt, zu heiraten und Mutter werden zu müssen. Ganz im Gegenteil. „Sei niemals von einem Mann abhängig!“ – diesen Spruch musste ich mir von meinem Vater schon mein ganzes Leben lang anhören. Ich habe als Kind nie ganz verstanden, warum er das so oft betonte. Was sollte so schlimm daran sein, wenn der Mann die Familie ernährt? So habe ich es doch immer in meinem Umfeld gesehen. Die Frauen waren Mütter und Hausfrauen und sie wirkten doch glücklich. Mit der Zeit wurde mir aber bewusst, dass er in diesen Frauen mehr sah als die glücklichen Mütter. Es waren Frauen, die sehr wenig Geld verdienten und in hundertprozentiger Abhängigkeit von ihren Männern lebten. Sie hätten es niemals gewagt, sich von ihren Männern zu trennen. „Männer kommen und gehen, zum Heiraten und Kinder kriegen hast du noch genug Zeit.“ Es war ihm wichtig, dass ich meine Schule zu Ende bringe und mein eigenes Geld verdiene, sodass ich auf meinen eigenen Beinen stehen kann und mich niemals aufgrund von finanzieller Abhängigkeit schlecht behandeln lassen muss. Ich habe diese Sätze verinnerlicht und ich glaube, dieser fortschrittliche Umgang meines Vaters hat auch meine Einstellung geprägt. Kinder passen in mein persönliches Weltbild einfach nicht hinein und auch eine Ehe ist für mich nur eine Art positiver Bonus. Mein Leben kann aber auch ohne diesen Bonus erfüllend sein.

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Auf dem Spielplatz abhängen? Nein, danke!

Ob ihr jetzt Kinder wollt oder nicht, eins ist sicher: Eine Frau muss gar nichts. Ihr dürft euch von niemandem etwas einreden lassen, das ihr nicht wollt. Klärt die Menschen lieber auf, dass nicht jede Frau ihre Erfüllung in Kindern sieht und auch viele Frauen einfach keine Kinder bekommen können und diese ständigen Fragerein extrem verletzend sein können. Verstehen sie es noch immer nicht? Dann überlegt euch, ob ihr diese Personen wirklich in eurem Umfeld haben wollt. Es liegt allein in eurer Hand, ob ihr heiraten und Kinder kriegen oder Karriere machen wollt. Für welchen Weg ihr euch entscheidet, ist irrelevant - solange ihr euch aus eigener Überzeugung für einen entscheidet, kann es nur der richtige sein. Ich für meinen Teil weiß, was ich will und vor allem: Ich weiß, was ich nicht will. Und reinreden lasse ich mir da auch gar nichts mehr. Wenn ich dafür als Egoistin betitelt werde, dann bin ich das gerne. 

 

Maria Lovrić-Anušić ist 24 Jahre alt und in Wien aufgewachsen. Sie arbeitet als freie Journalistin und studiert nebenbei Publizistik.

 

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