„Die eigene Kultur zu verraten ist überhaupt der erste Schritt zur Freiheit.“

08. Dezember 2022

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Satiriker, Autor, Cartoonist und Kulturwissenschaftler Richard Schuberth. ©Jana Madzigon

Kein Rassist zu sein heißt, Migranten nicht aufgrund ihrer Kultur zu diskriminieren – aber sie auch nicht daran zu hindern, ihre Kultur zu verraten, sagt Richard Schuberth. Der Essayist, Satiriker, Cartoonist und Kulturwissenschaftler mit spitzer Zunge im Interview über sein jüngstes „identitätspolitisches Lesebuch“.

BIBER: Warum trägt dein jüngstes Buch den Titel "Die Welt als guter Wille und schlechte Vorstellung"?

RICHARD SCHUBERTH: Formal ist das eine Referenz zu Arthur Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Inhaltlich geht’s in eine andere Richtung. Und es soll und darf den Lesern und Leserinnen ruhig ein weiter Spielraum an Assoziationen gelassen werden. Aber sie liegen nicht falsch mit der Annahme, dass es da um den Zwiespalt zwischen moralisch guter Absicht und schlechten Denkmodellen geht; „schlechte Vorstellung“ trägt außerdem die hübsche Doppelbedeutung von schlechter Imagination in sich und der schlechten Show, die die Welt uns bietet.

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©Richard Schuberth

Dein "identitätspolitisches Lesebuch" ist eine breite Sammlung an Essays, Radiokolumnen, Interviews, Cartoons, Collagen, uvm rund um das Thema Identitätspolitik aus den letzten drei Jahrzehnten. Was stört dich am meisten an der Debatte um Cancel Culture und Co.?

Dass ein paar akademisierte und aktivistische Doofies notwendige gesellschaftliche Anliegen wie Feminismus, Antirassismus, Anti-Ableismus, Aufarbeitung des Imperialismus etc. mit ihrer Semantik von Moral, Symbolkultur, Identität, Kränkung und Hautfarbenbestimmung in eine falsche Richtung verzerren, auf dass liberale Besserwisser diese Anliegen als Ganze delegitimisieren können. Konkret: Das Kasperletheater wegen blonden Dreadlocks verdeckt den Umstand, dass man rassistischen Kotzbrocken und frauenfeindlichen Typen zu Recht kein Forum gibt. Die können jetzt aber auf beleidigte Leberwurst machen und laut „Cancel Culture“ miauen. Oder Kulturelle Aneignung. Die Debatte wird auf einer Faschingskostümebene geführt, welche halt der Bewusstseinslevel der meisten Verteidiger und Gegner von Cultural Appropriation ist. 

Der Winnetou-Gate war also bestimmt unterhaltsam für dich?

Die einen japsen hysterisch: "Ihr habt den Indianern den Plastikkopfschmuck gestohlen. Alarm: Kolonialismus!“ Die anderen belehren sie näselnd: „Jede Kultur ist hybrid, und folglich Aneignung.“ Was auch nicht besonders originell ist, und nur den Verdacht nahelegt, dass das, was im 18. Jahrhundert noch jeder wusste, für sie eine besonders neue Erkenntnis ist. Der ursprüngliche emanzipatorische Kern der Cultural Appropriation aber wird dadurch trivialisiert: dass kulturelle Äußerungen von Minderheiten von dominanten Mehrheiten angeeignet und Minderheiten vom Markt gedrängt werden oder einen schlechteren oder gar keinen Zugang zum Markt haben. Ein klassisches Beispiel ist schwarze Musik. Da geht es um handfeste materielle Interessen und Royalties.

Stichwort Markt und materielle Interessen: Gehört nicht ein großer Teil der Kritik an der CA eigentlich in die Schublade der Kapitalismuskritik? Jüngst gibt es auch den Begriff "kulinarische Aneignung", bei dem es etwa um die Frage geht, ob "Schwabo-Österreicher" Luxus-"Döner" mit Lachs verkaufen dürfen. Geht es da um tatsächliche Kulturaneignung von den türkischen Gastarbeitern, oder ist es einfach eine Idee, die sich gut vermarkten lässt?

Witzigerweise habe ich vor über 10 Jahren einen Cartoon im „Augustin“ angefertigt, bei dem es genau darum geht. Man schenkt der angeblichen Kultur Fremder viel Wertschätzung, ihren Trägern und Trägerinnen aber nicht. Leider geht es bei dem ganzen Diskurs fast nie um Kapitalismuskritik, und wenn bei den Diskursmeiern vom „Eigenen“ und dem „Fremden“ die Rede ist, leider nie um Eigentumsverhältnisse, sondern um das ganze Blabla von Symbolen, Repräsentanz und Sprecherposition. Eine kulinarische Aneignung oder Anregung ist doch immer ein Kompliment für die betreffende Kultur. Solange sie weiß, dass sie nichts Authentisches kopiert. Und der nächste Schritt wäre, zu wissen, dass es gar nichts Authentisches gibt. Aber wenn da jetzt die antirassistische Ordnungspolizei daherkommt und sagt: „Du bist kein Türke und darfst keinen Döner verkaufen“ und deinen Ahnenpass untersucht, dann merkt man, dass dieses Denken nicht nur nicht denken kann, sondern in all das zurückfällt, gegen was jede Emanzipation je auftrat. Der größte Rassismus ist nicht der Schwabo, der Lachsdöner verkauft, sondern, dass Türken bis ans Ende aller Tage dazu verdammt sind, Döner zu verkaufen, und der neue Antirassismus das auch noch unterstützt. Kein Rassist zu sein heißt, Migranten nicht aufgrund ihrer Kultur zu diskriminieren, aber sie auch nicht daran hindern, ihre Kultur zu verraten, wenn sie das wollen. Die eigene Kultur zu verraten ist überhaupt der erste Schritt zur Freiheit.

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©Richard Schuberth

Wenn ich mit einem Sari bekleidet durch die Stadt schlendern würde, wäre das meiner zugeschriebenen "Kultur" genauso fremd, als würde eine 0815-Österreicherin – nennen wir sie Brigitte – das tun. Aber mich jagen die Verfechter der politischen Korrektheit wahrscheinlich nicht. Wie oft ist dir eigentlich passiert, dass dir "verboten" wird, über "Migrantenthemen" zu schreiben, obwohl du dich seit Jahrzehnten in dem Bereich engagierst?

Wer a kolonialisierta Orientale is‘, bestimm i‘ – dieses Modell trifft leider auch oft auf die moralisch erhitzten, aber kulturell ungebildeten "Wokeys" zu. Sie erkennen den eigenen Rassismus nicht, wenn ihnen der Sari an einer Araberin irgendwie plausibler vorkommt als an einer blonden Tschechin. Oder Dreadlocks an einem Marokkaner „artgerechter“ als bei einem Finnen. Mir traut sich niemand etwas zu verbieten, aber nicht weil ich so ehrfurchtgebietend bin, sondern weil die neueren Generationen des identitätspolitischen Aktivismus – sie kommen meist aus der Kunstuni – mich noch nicht so gut kennen, und in Österreich die direkte Konfrontation lieber gemieden wird. Hinterm Rücken geht’s leichter. 

Statt "kultureller" Aneignung sprichst du gerne von "kulturalisierender Aneignung". Was ist der Unterschied?

Es geht, wie vorhin angesprochen, um die Reduktion von Menschen auf eine zugeschriebene Kultur, und den Glauben, dass diese ethnisierte Kultur Kollektiveigentum von Menschen ist, oder sich ihre wichtigsten Lebensprobleme auf der Ebene ihrer angeblichen kulturellen Identität abspielen. Um auf dein Beispiel zurückzukommen: Wenn ich problematisiere, dass Europäer Sari tragen, halte ich es für natürlich, dass der Sari der notwendige Ausdruck indischer Identität sei. Hierin liegt eine rassistische Crux, sobald ich individuelle Wahlfreiheit als Ausdruck westlicher Kultur voraussetze, aber mir die Fremden immer als näher zu ihrer Volkskultur vorstelle. Die Begeisterung von aufgeschlossenen Bobos für fremde Kultur ist ja keine koloniale Herrschaftsgeste, sondern eher respektvolle Idealisierung. Und genau in dieser Folklorisierung und Ethnisierung, mit der diese Menschen ihren Antirassismus bekunden wollen, liegt die „kulturalisierende Aneignung“. 

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©Richard Schuberth

Karikaturen stehen ja bei vielen Zeitungen längst nicht mehr auf dem Plan, dafür gibt es im "identitätspolitischen Lesebuch" einiges aus deinem Schaffen zu finden. Nach Charlie Hebdo und dem Aus für politische Cartoons bei der New York Times: Gab es jemals Vorwürfe gegen deine Zeichnungen?

Immer wieder, natürlich. Mit der identitätspolitischen Transformation der Menschen wächst die Zahl derer, die Sinn und Aussage eines Bildes nicht mehr erfassen, sondern aufgrund von Nebensächlichkeiten (bestimmte Signalwörter), die sie in ihren Korrektheitsscannern gespeichert haben, problematisch finden. Sie wollen dann nicht wie Doofies dastehen und flüchten sich in vage Aussagen wie: „Das könnte man jetzt aber als unkorrekt empfinden.“ Solche Gesinnungsroboter empfinden beispielsweise den schärfsten, kritischen und klügsten Aphorismus aller Zeiten, nämlich „Die Deutschen werden den Juden den Holocaust nie verzeihen“ als sein genaues Gegenteil, als antisemitisch. 

Ich bediene mich verschiedener humoristischer Methoden: Manchmal Holzhammer, schwarzer Humor, Sarkasmus oder, am liebsten, absurder Humor ohne eindeutige Aussage. Das versteht man in Österreich am wenigsten. Man darf aber der verkümmerten Auffassungsgabe keinen Millimeter entgegenkommen, da hat niemand was davon. 

Nichts gegen Blasphemie, aber die Cartoons von Charlie Hebdo und Yllands-Posten fand ich plump und unwitzig, gerade auf das plumpe und unwitzige Bewusstsein von Islamisten abgestimmt. Karl Kraus schrieb zurecht: „Die Kritik, die der Zensor versteht, wird mit Recht verboten.“

 

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Buchtipp:

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Richard Schuberth: Die Welt als guter Wille und schlechte Vorstellung. Das identitätspolitische Lesebuch, erschienen bei Drava, Hardcover, 21 €

Achtung: Am 9. Dezember ist die Buchpräsentation in der Migrating Kitchen (Schwarzhorngasse 1/Ecke Bacherplatz): Hier geht’s zur Facebook-Veranstaltung.

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Zur Person:
Richard Schuberth (*1968) schrieb seine Diplomarbeit über die Konstruktion von Völkern und Nationen (1996) und veröffentlichte sie 20 Jahre später unter dem Titel „Bevor die Völker wussten, dass sie welche sind“. 2004 gründete er das Musikfestival „Balkan Fever“, das er bis 2012 gemeinsam mit Joro Dermendjiev leitete. In den 2000ern legte er als World-Music-DJ Musik von „Kagran bis Teheran“ auf, während er sich aber kritisch mit World-Music und der „Ethnisierung von Migrant_innen“ auseinandersetzte. 2010 wurde seine Komödie „Wie Branka sich nach oben putzte“ in der Regie Aslı Kışlals zum Publikumserfolg. Preisträger des MigAwards als „Persönlichkeit des Jahres“ 2015. Theodor-Kramer-Preis für Schreiben im Exil und Widerstand 2021.

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