Wo kommt der Fußball her?

31. Mai 2010




Die Fußball-WM steigt in Afrika, der Fußball aber stammt aus Indien. Indien? biber reiste um die halbe Welt um zu sehen, wie der Fußball hergestellt wird – und wer daran nicht verdient.

 

Von Birgit Bermann

 

Fußball lässt Indien so kalt wie der Sommer die Arktis. Auf der aktuellen FIFA-Rangliste nimmt der asiatische Riese den 132. Platz ein – flankiert von Swasiland und Sierra Leone. An der WM-Qualifikation hat Indien trotzdem teilgenommen, biss sich aber am Fußballriesen Libanon die Zähne aus. Das hat niemanden wirklich gekratzt, da es wegen Nullinteresse ja auch kaum jemand mitgekriegt hat. Die indischen Gemüter bringt dafür der Nationalsport Cricket dermaßen in Wallung, dass man sich zu fragen beginnt, ob das Wort „Fan“ nicht doch aus dem Sanskrit (Sprache der klassischen indischen Kultur) stammt. Cricket-Spiele fegen auch die hinterletzten Slumgassen leer. Sie bringen Kellner in Roof-Top-Restaurants dazu, mit dem vollen Teller in der Hand eine gefühlte Ewigkeit auf den Flatscreen an der Wand zu starren – anstatt das Okra-Curry dem hungrigen Touristenmagen vorzusetzen. Nämlich meinem.

 

Child Labour Free

Es gibt aber Gegenden, in denen sich dennoch alles um den Fußball dreht. Meerut in Uttar Pradesh und Jalandhar im Punjab sind die Hauptproduktionsstätten für Fußbälle. Dorthin bin ich mit der entwicklungspolitischen Organisation Südwind gereist, um einer simplen Frage nachzugehen: Wo kommt der Fußball her? Damit geraten wir schnell zur dunklen Seite des runden Leders – zu den Arbeitsbedingungen von jenen, die aus einem Haufen Rohmaterialien einen Ball machen.

 

Sich einen klaren Überblick über die Fußballproduktion zu verschaffen, ist nahezu unmöglich. Sie ist so verschachtelt organisiert, dass der Verkehr auf Delhis Straßen dagegen wie eine geordnete Sonntagsparade erscheint. Ein System von Unternehmern, Subunternehmen und Sub-Sub-Unternehmern machen es gemeinsam mit Exporteuren, Importeuren und sonstigen Zwischen-, und Unterhändlern fast unmöglich, den Produktionsablauf des runden Leders zu verfolgen.

Außer man ist der amerikanische Sender HBO, der genau das getan hat. Prompt hagelte es eine Millionenklage vom US-Sportartikelkonzern Mitre. Die Verantwortlichen fanden es gar nicht toll, dass HBO-Kameras Kinder beim Fußballnähen eingefangen haben. Auf den Bällen steht ganz groß drauf: „Child Labour Free“.

Fünf Cent pro Ball

Wir beginnen unsere Recherche auf der untersten Ebene der Fußballproduktion – den Dörfern rund um Meerut. Hier findet man zwar kein einziges Kind ballspielend auf den Gassen, dafür kann man sich einen Eindruck verschaffen, wie das runde Leder in Handarbeit erzeugt wird. Berge von schwarzen, weißen und bunten Waben hier, viertel- und halb zusammengenähte Bälle da, und Stöße von fertigen Bällen, die noch flach wie Palatschinken auf das Aufblasen warten. Produziert wird in Heimarbeit – die absolut billigste Art, Arbeitskraft einzukaufen. Im privaten Bereich der Innenhöfe und Wohnzimmer haben Arbeitsrechte bekanntlich keinen Zutritt.

 

In manchen Höfen, den Nähzentren, finden sich die Arbeiterinnen zusammen. Am Boden sitzend, schieben sie dicke Nadeln zügig durch das harte Leder. Lederwaben, Zwirn und Nadeln bringt der Sub-Sub-Unternehmer vorbei, der die fertigen Bälle auch wieder abholt und die Frauen auszahlt. Für einen Ball bekommt eine Näherin zwischen drei und 20 Rupien. Drei Rupien sind 0,046 Eurocent – aufgerundet also fünf Cent.

Dafür kann man sich selbst in Indien wenig kaufen, denn mehr als fünf Bälle am Tag sind pro Näherin kaum zu schaffen. „Ein bisschen Schokolade für die Kinder und Bindis (Anm.: Schmuckpunkt auf der Stirn)“, kauft sich die 29-jährige Sunita von ihrem Verdienst, das war’s dann aber auch.

 

 

Ohne Kinderarbeit geht nichts

Dass schon die nächste Stufe auf der Fußball-Futterkette wesentlich ertragreicher ist, macht uns der Besuch bei Sewal klar. Der Unterhändler verdient 18 000 Rupien im Monat für die Lieferung von 3000 fertigen Bällen an den nächsten Händler. Fotografieren will er sich nicht lassen, sagt aber nebenbei so aufschlussreiche Sätze wie: „Ohne Kinderarbeit kann man in dieser Region nicht produzieren.“

Noch aufschlussreicher wird das Treffen mit Wasan, einer der größeren Fische in der lokalen Sportartikelindustrie. Ihm steht der Sinn nach gepflegter Konversation, aber er plaudert weit lieber über Salzburg als über die Löhne der Arbeiter. Der Besuch seiner Fabrik in Jalandhar erfüllt ihn mit Stolz und uns mit Abscheu. Hier werden die Waben gestanzt, die später in den Dörfern zu Fußbällen werden. In einem Zimmer im ersten Stock bleibt mir schlagartig die Luft weg, Hals und Lunge fangen an zu brennen – ätzende Dämpfe hängen schwer im Raum. Rund zwanzig Frauen und Männer lackieren hier die aktuell bestellten Logos auf die Waben. Sie arbeiten ohne Schutzkleidung und Atemmasken, die Fenster sind geschlossen. Vom Belüftungssystem ist weit und breit keine Spur. Wasan bedauert meine Atemprobleme, versichert aber, dass es nur mir so gehen würde. Weil „die da“ seien das gewöhnt, sie würden das ja jeden Tag machen. Nein, führt er fort, und „die da“ würden davon auch nicht krank, nein. So so, ich verstehe. Indische Atemwegssysteme scheinen also einen eingebauten Chemikalienfilter. Innerlich koche ich, äußerlich bleibe ich ruhig. Bis auf meine Augen, die kann ich nicht unter Kontrolle bringen, die funkeln vor Wut. Was Wasan aber nicht mitbekommt, wie so einiges nicht.

 

 

 

 

Zum Beispiel, dass er seinen Arbeitern nicht einmal den Mindestlohn zahlt. Der liegt im Punjab nämlich bei 3560 Rupien und nicht, wie der Unternehmer treuherzig verkündet, bei 3000 Rupien. Die Tatsache, dass die Erwachsenen für ihre Arbeit nicht ausreichend entlohnt werden, ist ein Hauptfaktor für die weite Verbreitung von Kinderarbeit. Nähenden Kindern sind wir begegnet, jetzt stehen wir in einem der Fußball-Dörfer rund um Jalandhar vor der Türe einer Schule. In Indien gilt Arbeit von Kindern, die nebenbei noch in die Schule gehen, nicht als Kinderarbeit. Auf unsere Frage, in welchen Familien Fußbälle genäht werden, recken sich tapfer alle Arme in die Höhe – mehr Konversation mit den seltsamen, bleichen und riesig gewachsenen Besuchern ist den Kindern sichtlich nicht geheuer. Also erzähle ich einfach, über dies, das und jenes und sage auch, wie froh ich bin um die halbe Welt zu reisen, und sie dann hier in der Schule anzutreffen. Und plötzlich brechen diese stillen, schüchtern Kinder in einen Applaus aus. Als ich wieder raus auf die staubige Straße trete, bin ich tief gerührt – und bitte irgendwen oder irgendwas inständig darum, dass Fußbälle diesen Kindern nicht ein übles Foul bescheren mögen.

 

 

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Kommentare

 

Toller Artikel zu einem sehr traurigen Thema.

 

..und seine Schattenseiten. Gute Reportage. Nicht hat sich geändert, seit 12-13 Jahren mindestens lese ich solche Berichte, jedes Jahr 2-3 Mal! Wirklich traurig. Die einen feiern den Weltmeistertitel, die anderen schuften unter desaströsen Arbeitsbedingungen!

 

erst vorgestern hab ich eine doku darüber gesehen

 

ich auch.

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