„Der Ali von damals hätte es heute viel schwerer in Österreich.“

21. Oktober 2020

Der türkische Verein ATIS will die „anderen“ Türken zeigen. Biber traf den neuen Präsidenten Ali Eralp und Vorstandsmitglied Edip Bayizit zum Interview. Ein Gespräch über liberale Türken und warum die aktuelle Integrationspolitik eine „Katastrophe“ ist.

Interview: Delna Antia-Tatić & Naz Küçüktekin, Foto: Franziska Liehl

BIBER: Was man so hört, giltst du als liberaler Türke. Was sagst du dazu?

ALI ERALP: Ich mag das Wort „weltoffen“ mehr. Aber es stimmt schon. Ich liebe Wirtschaft und Bildung. Da gibt es keine Vorurteile. Da zählt nur die Leistung. Wenn wer etwas gut kann, dann spielt Geschlecht, Herkunft, Religion und alles andere keine Rolle.

Liberale Türken
Foto: Franziska Liehl

Kannst du uns ein bisschen was über dich und deinen Werdegang erzählen?

ALI: Ich bin als Kind einer wohlhabenden Familie in Istanbul auf die Welt gekommen. Ich wuchs im Reichtum auf, habe dann aber miterlebt, wie wir alles verloren haben. Mit sieben Jahren habe ich gelernt, was es heißt, sehr arm zu sein. Ironie des Schicksals: Weil ich ein großer Sportfan bin und durch „Cordoba“ annahm, dass Österreich die nächste große Fußballnation würde, entschied ich mich, auf die Österreichische Schule zu gehen – statt auf die Französische (lacht). Mit 20 kam ich dann fürs Wirtschaftsstudium nach Wien. Damals habe ich drei Gruppierungen wahrgenommen: Türken, wie ich aus der Türkei, die sich für meinen Geschmack aber viel zu sehr isoliert haben. Dann jene Türken, die hier aufgewachsen sind und dann noch das restliche Österreich. Ich habe mich keiner Gruppe angeschlossen.

Liberale Türken
Foto: Franziska Liehl

War es schwierig sich aus diesen Gruppen rauszuhalten?

ALI: Nein, für mich war es selbstverständlich. So lernt man auch einiges, z.B. dass die Griechen doch nicht böse sind und die Kurden doch manch Vernünftiges wollen.

Wie nimmt man als Türke, der in der Türkei aufgewachsen ist, die Türken hier wahr?

ALI: Ich habe sie im Vergleich zu den Türken aus der Türkei, die wussten, wo sie dazugehören, als nicht selbstbewusst und unsicher wahrgenommen. Aber seit- dem ich vor 25 Jahren in die Berufswelt eingestiegen bin, hatte ich nicht mehr viel Kontakt in die türkische Community. Das ist auch einer der Gründe, wieso ich bei ATIS eingestiegen und die Präsidentschaft übernommen habe. Ich vermisse meine Kultur. ATIS ist eine Brücke zu meiner Herkunft.


Wie siehst du das Edip?

EDIP BAYIZIT: Ich bin in Izmir geboren. Mit 13 Jahren kam ich als Kind von Gastarbeitern nach Wien. Ich erlebe die Wahrnehmung der Wiener Mehrheitsgesellschaft gegenüber uns Türken als herablassend und das finde ich oft nicht in Ordnung. Über 45 Jahre lebe ich hier, habe mehrere Firmen aufgebaut und immer noch heißt es, die Türken seien ungebildet. Dabei ist der Zugang zu Bildung niemandem verwehrt und es gilt für alle gleich, ob Türke, Nigerianer oder auch Österreicher: Man muss Bildung nützen. Bei mir hat‘s auch im Gemeindebau begonnen. Daher würd‘ ich auch eher sagen, dass der Ali nicht liberal sondern neo-liberal ist! (lacht und blickt zu Ali)

Spielt die Herkunft in der Business-Welt keine Rolle?

ALI: Wenn ich sage: „Ich heiße Ali“, kenne ich genau die Blicke, die dann kommen. Darauf könnte ich mich einlassen, aber das ist Zeitverlust. Im Geschäftsleben verlieren wir mit solchen Sachen einfach keine Zeit. Wenn das Gegenüber das macht, wollen wir mit dem eh nichts zu tun haben.

EDIP: Auf dieses Niveau muss man aber natürlich erst hinkommen. (Anm. d. Red.: Edip gründete in den 90er Jahren die Firma WEDCO, die heute 100 Mitarbeiter beschäftigt und europaweit tätig ist. Ali ist seit 25 Jahren beim Finanzberatungsunternehmen FINUM, dort inzwischen Vorstand und für 80 MitarbeiterInnen zuständig.)

Wen würdet ihr euch eigentlich als Koalitionspartner an Michael Ludwigs (SPÖ) Seite wünschen?

ALI: Ich habe NEOS gewählt. Aber ich bin nicht so ein Parteityp. Letztes Mal habe ich GRÜN gewählt. Ich entscheide mich bei jeder Wahl neu. Warum NEOS: Das sind die einzigen, die ein bisschen über Bildung reden. Wenn wir das verbessern, verbessern wir Vieles. Aber Politik nervt mich eher. Es ist eigentlich immer Wahlkampf. Interessant. Viele Migranten wählen eher die SPÖ.

EDIP: (Lacht) Ich zum Beispiel. Der grüne Zusatz würde in Zeiten der Pandemie und beim Thema Konsum schon helfen. Ich glaube auch, dass der grüne Gedanke sich immer mehr etablieren wird.

Wenn es um türkische Vereine in Österreich geht, wird oft gleich Islamismus oder Erdoğan-Nähe in den Raum geworfen. Wie siehst du das?

ALI: Ich kenne die anderen Vereine nicht. Ich kenne unseren Verein ATIS. Aber was bringt einen Verein zusammen? Eine gemeinsame Ideologie. Bei uns ist es die, dass wir mit der Welt integriert sind. Bei uns gibt es Linke sowie eher rechts orientierte, Gläubige wie weniger Gläubige, Aleviten und Sunniten. Wirtschaft ist bei uns ein großer gemeinsamer Nenner. ATIS ist ein Verein für türkische Unternehmer und Industrielle in Österreich und auch Türken, die mit Österreich zu tun haben. Mit dem Verein wollen wir die „anderen“ Türken zeigen.

EDIP: Besser gesagt, wir wollen „die“ Türken sichtbar machen. Zu mir sagen Leute oft, ich habe noch nie so einen Türken wie dich kennengelernt. Meine Antwort ist dann: Wahrscheinlich hast du noch keine Türken kennengelernt.

Was sind ATIS Ziele?

ALI: Unser Hauptziel ist es, die wirtschaftliche Beziehung zwischen Österreich und der Türkei zu stärken. Die Türkei ist ein wichtiger Partner für Österreich. Da gibt es zwar keine gute, aber eine sehr intensive Beziehung. Das muss man auch fördern. Ich möchte den jungen Leuten zudem Vorbild sein und zeigen, was möglich ist. Wenn ich die heutige Zeit mit damals, als ich vor 32 Jahren hergekommen bin, vergleiche, dann sehe ich: Der Ali von damals hätte es heute viel schwerer in Österreich. Liberale Menschen verlieren mit der Zeit oft ihre Zähne. Aber wir müssen stark bleiben.

Wie siehst du die aktuelle Integrationspolitik?

ALI: Sie ist eine Katastrophe. Wir hören, dass Little Italy und China Town in Wien nicht willkommen sind. Das sind weltweit etablierte Marken. Da sollte man stolz darauf sein, sowas in seiner Stadt zu haben. Oder die Ausschreitungen in Favoriten als islamistisch zu bezeichnen – das war Nationalismus. Sie können die Dinge nicht zuordnen. Anstatt Erfolgsmodelle zu zeigen, wird ein Feindbild für die nächsten Wahlen geschaffen.

Liberale Türken
Foto: Franziska Liehl

Was stört euch an dem öffentlich vermittelten „Bild der Türken“ am meisten?

EDIP: Es gibt da einen Spruch: „Wenn ich meinen Bruder nicht mag, ist das ok. Wenn du meinen Bruder nichts magst, ist das nicht in Ordnung.“ So ist es auch bei uns Türken. Was mich stört, ist, dass mit Türken immer gleich Religion in Verbindung gebracht wird.

ALI: Mich stört dieses: „Das ist mein Land“. Es ist Zufall, dass du hier geboren bist. Ich habe mich aktiv für dieses Land entschieden. Wer ist mehr Österreicher, du oder ich?

Was macht einen zum Österreicher?

ALI: Dass man in diesem Land lebt und Werte schafft. Nicht jeder muss megaerfolgreich sein, aber auch nicht das System ausnutzen. Das Prinzip ist eigentlich immer Vertrauen und gemeinsame Entwicklung. Wenn es nicht gemeinsam geht, dann halt nebeneinander. 

liberale Türken
Foto: Franziska Liehl

 

 

 

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