Kein Bock mehr auf Gastronomie

07. Dezember 2022

14-Stunden-Schichten, Abhängigkeit vom Trinkgeld, und der Knochenjob in der Küche: Drei junge Aussteiger*innen berichten, warum sie nie wieder in der Gastronomie arbeiten wollen.  

Von Nada El-Azar-Chekh, Collagen: Zoe Opratko

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Collage: Zoe Opratko

"Ohne Trinkgeld hätte ich wahrscheinlich früher gekündigt. Als Kellnerin ist dein Lohn immer davon abhängig, wie sehr du dich auf Gespräche mit den Gästen einlässt, auch wenn dich deren Probleme überhaupt nicht interessieren“, so Tanya. Die 25-jährige Studentin arbeitete fünf Jahre lang als Kellnerin im Café ihrer Mutter. Mit 19 Jahren begann sie erst geringfügig im Familienbetrieb auszuhelfen, später bekam sie in Teilzeit ein Gehalt von etwa 600 Euro brutto – ohne Trinkgeld. Eigentlich sah die junge Ukrainerin für sich keine Zukunft in der Gastronomie. „Es wurde im Familienbetrieb viel Privates mit Beruflichem vermischt, was sich auf meine Psyche negativ auswirkte.“ Damit ist sie nicht alleine. Auch eine Freundin von Tanya, die in der Pizzeria ihrer Familie arbeitet, klagte über ähnliche Probleme. „Die anstrengende Arbeit in der Gastro mit den privaten Dynamiken innerhalb einer Familie ergeben eine explosive Mischung.“ 

Das Café befindet sich auf einem Marktgelände im 2. Bezirk, wo Tanya Bestellungen aufnehmen, servieren und abräumen musste sowie für Einkäufe und das Putzen zuständig war. Ihre Freizeit konnte sie sich nur schwer selber frei einteilen. „Vor allem an Sonntagen musste ich besonders lange Schichten schieben, bis zu 14 Stunden lang arbeitete ich für eine pauschale Entlohnung von 80 Euro, ohne Trinkgeld.“ Besonders unangenehm sind Tanya aus ihrer Zeit als Kellnerin Zwischenfälle mit der Kundschaft in Erinnerung geblieben. „Mich wollten viele Kunden, vor allem Männer, auf ein alkoholisches Getränk einladen. Wenn ich ablehnte – erstens hatte ich keine Lust auf diese Typen und zweitens trinke ich während der Arbeit doch sowieso keinen Alkohol – bestanden sie darauf und meinten, es ginge doch um mehr Umsatz und so weiter.“ Tanya sah sich oftmals in einer Situation, in der sie sich gegen das notwendige Trinkgeld entscheiden musste, um ihre persönlichen Grenzen zu verteidigen. Ungeregelte Arbeitszeiten, geringer Lohn, unangenehme Erfahrungen mit der Kundschaft und körperliche und seelische Überlastung: Viele Menschen kehren aus diesen Gründen der Gastronomie und dem Service den Rücken zu. So auch Tanya. Während Gastrobetriebe in Österreich händeringend nach Personal suchen, wird die Kritik an den Arbeitsbedingungen immer lauter. 

Schlechte Bedingungen symptomatisch für die Branche

Die Coronapandemie zog die Gastronomie und den Tourismus stark in Mitleidenschaft. Neben starken Umsatzeinbrüchen klagen Betriebe heute über Personalmangel, seit kurzer Zeit ist etwa der Beruf Kellner*in österreichweit zum Mangelberuf geworden. Obwohl viele Betriebe offene Lehrstellen anbieten, scheinen sich nicht genug interessierte Jugendliche zu finden, heißt es seitens der Betriebe. „Die Branche klagt darüber, offene Stellen nicht besetzen zu können. Tatsächlich gibt es beim AMS viele offene Stellen, gleichzeitig arbeiten österreichweit mehr Menschen in Hotels, Gasthöfen und Beherbergungsbetrieben als vor der Krise“, so Silvia Hofbauer, Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration bei der AK Wien. 

„Wir wissen aber auch, dass viele Menschen die Branche verlassen haben und in einer anderen Branche arbeiten. Die Gründe liegen aus unserer Sicht auf der Hand: Mangelnde Wertschätzung und Respekt – das zeigt sich in den Erfahrungen unserer Arbeitsrechtsberatung“, berichtet Hofbauer in einer Pressekonferenz über den Zustand der Gastronomie in Österreich. Das Gastgewerbe befindet sich seit Jahren auf Platz 1 bei den persönlichen Beratungen in der Rechtsberatung. 

„Es ist halt so in der Gastro.“

Nicht rechtzeitige Entlohnung, fehlende oder falsche Lohnabrechnungen, unbezahlte Überstunden, Zwang zur Schwarzarbeit, keine richtige Berechnung oder Nichteinhaltung von Kündigungsfristen und schwere Planbarkeit von Arbeitszeiten beschreibt die Arbeiterkammer Wien als symptomatisch für die Branche. Was können Betriebe tun, damit sich die Situation verbessert? Höhere Entlohnung, ordnungsgemäße Lohnabrechnungen und härtere Strafen und Sanktionen für Betriebe, in denen die Rechte von Arbeitnehmer*innen nicht geschützt werden, sind nur einige Forderungen seitens der Arbeiterkammer Wien.

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Collage: Zoe Opratko

„Nur weil du hinter einer Theke stehst, denken die Leute, sie könnten mit dir umgehen, wie sie wollen“, sagt Tanya. Die 25-Jährige erzählt von einem Kunden, der eine Tasse kalt gewordenen Kaffee einfach auf den Boden schmiss, und einem anderen, der sich lautstark darüber beschwerte, dass er länger als drei Minuten auf seine Suppe warten musste. „Der ist ausgerastet und beleidigte mich. Da wusste ich, dass ich nie wieder für Dinge angeschrien werden wollte, für die ich nichts kann.“ Tanya versuchte auch mit ihrer Mutter über solche Probleme zu sprechen. „Es ist halt so in der Gastro“, war die wenig zufriedenstellende Antwort. Im vergangenen Sommer kündigte Tanya ihren Job im Café endgültig. Ihre Mutter hat bis heute noch keinen Ersatz für die offene Stelle gefunden.

Fehlende Work-Life-Balance

Gabriel hat, im Gegensatz zu Tanya, direkt nach dem Hauptschulabschluss eine Ausbildung als Koch absolviert und arbeitete bereits ab dem Alter von 15 Jahren in der Gastronomie. Bereits vor der Lehre interessierte sich Gabriel fürs Kochen und es bereitete ihm Spaß. Die Ausbildung hatte er sich jedoch anders vorgestellt. Seine Tage begannen um sechs Uhr früh, im ersten Lehrjahr verrichtete er hauptsächlich Vorbereitungsarbeiten wie Karotten schälen, Schnittlauch schneiden und abwaschen. „Ich war der einzige Lehrling im Betrieb und habe mich alleine gefühlt. Aber trotzdem habe ich es durchgezogen und begann in verschiedenen Gastrounternehmen zu arbeiten.“ Der heute 33-Jährige hat in Restaurants und verschiedenen Hotelküchen gearbeitet und war auch bei einem großen österreichischen Restaurant- und Cateringunternehmen als Flying Chef – also als Koch an Bord von Langstreckenflügen – in der ganzen Welt unterwegs. „Ich habe mich mental niemals vollständig der Arbeit in der Küche widmen können, weil mich einfach auch andere Dinge interessiert haben. Aber als Koch findet man kaum Dienststellen, an denen man unter 60 Stunden – oder zumindest unter 50 – in der Woche arbeiten muss. Nebenher geht nicht mehr viel“, so Gabriel. 

Einige Zeit lang arbeitete er als Leihkoch und wurde über eine Personalfirma an verschiedene Dienstorte geschickt. Das war für ihn die einzige Möglichkeit, sich die Arbeitszeit flexibel einteilen zu können. „Andererseits war man eben nur als Aushilfe da und durfte keine anspruchsvollen Aufgaben erledigen. Du hast keine Verantwortung, es hat null Kreativität, oft muss man nur Brote schmieren oder am Buffet stehen oder so“, so der gelernte Koch.

Physisch und psychisch am Limit

„Die Arbeit in der Küche ist ein Knochenjob“, berichtet ¬Gabriel. Es geht hektisch und heiß hinter dem Herd zu, im Sommer steigen die Temperaturen noch weiter, die Anspannung ist auch im Team deutlich zu spüren. „Koch ist an sich ein stressiger Beruf. Man ist eigentlich nie fertig mit der Arbeit, egal, wie gut man sich vorbereitet hat.“ In seinem Fall kam es auch einmal zu handgreiflichen Auseinandersetzungen in der Küche. „Sehr irritierend und komisch fand ich immer, dass man die ganze Zeit für irgendwelche Leute großartige Gerichte kocht, aber selbst isst man als Koch extrem schlecht. Die Betriebe bieten dem Personal häufig schlechte Verpflegung an. Für die Psyche ist das nicht gut, wenn man einerseits mit Essen arbeitet, aber sich trotzdem nicht ordentlich und gut ernährt. Du hast die ganze Zeit Stress und kommst nicht dazu, ordentlich zu essen. Während der Arbeit habe ich immer viel Kaffee getrunken und bestimmt eine Packung Zigaretten am Tag geraucht“, so Gabriel. Mit 26 Jahren erlitt Gabriel einen Leistenbruch, als Folge des Tragens schwerer Töpfe und Kessel. Er arbeitete zu dieser Zeit in der Küche als Saucenkoch. Bis zu 1.000 Liter Sauce bereitete er alleine jeden Tag zu.

Bis kurz vor seinem Ausstieg aus der Gastronomie arbeitete Gabriel in einer Großküche. Bei dem 50-Stunden-Job plus externen Diensten auf Veranstaltungen fehlte es ihm auch an Lob und Anerkennung. „Niemand kommt und sagt einmal Danke“, erzählt der 33-jährige Wiener aus Erfahrung. Er ist nun auf der Suche nach neuen Perspektiven für seine Zukunft, kennt aber bislang nur die Gastronomie gut. „Ich weiß gar nicht, womit ich sonst Geld verdienen soll.“ Beim AMS eine Förderung oder eine Umschulung zu bekommen, gestaltet sich schwieriger als erhofft. „Laut AMS habe ich bereits eine Fachausbildung und könnte sofort als Koch arbeiten. Stellen gibt es momentan genug. Aber ich will das einfach nicht mehr machen“, sagt der erfahrene Koch.

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Collage: Zoe Opratko

Maden adé

Die Gastronomie ist für Ana nur ein weiteres Standbein neben ihrem Studium. Die 24-Jährige besuchte in Tirol eine HLW, in der sie neben der Matura eine Koch- und Serviceausbildung absolvierte. Im dritten Lehrjahr machte Ana ein Praktikum in einem Tiroler Hotel und musste vorwiegend in der Küche aushelfen. „Ich habe Teller abgewaschen und musste den Boden in der Küche putzen. Die Chefin war leider nicht die freundlichste“, so Ana. Wenn die Putzarbeit nicht gut genug war, leerte die Chefin den Eimer mit Waschwasser wieder aus, und Ana musste erneut wischen. Es gab keinen Abfluss, also musste das Wasser mit Fetzen mühevoll aufgewischt werden. „Die beiden Köche in dem Hotel waren zwar sehr bemüht, mir etwas beizubringen. Sie konsumierten aber mitunter gewisse Substanzen, um aufgeputschter zu sein. Sowas kannte ich bis dahin überhaupt nicht“, so die Studentin. Mit Schrecken blieb ihr besonders eine Aufgabe in Erinnerung. „Im Sommer musste ich auch im Müllraum wischen. Da stand eine Biomülltonne, in der es vor Maden nur so gewuselt hat. Stinkender Saft und Maden tropften von der Tonne und es hat mir wirklich davor gegraust“, erinnert sich die Tirolerin. Ihre Chefin akzeptierte aber kein Nein, Ana musste trotzdem auch im Müllraum putzen. „Die Maden haben sich im Wasser weitergeräkelt – das hat mich ziemlich traumatisiert“, sagt Ana. Für sie war seit diesem Praktikum schnell klar, dass sie nicht in der Gastronomie arbeiten will. Ihr neuer Plan ist es deshalb, Lehrerin zu werden. ●

 

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