Den Krieg niederspielen

14. Dezember 2015

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Spielfeld Flüchtlinge
Philipp Grüll

Kinder scheinen unzerstörbar. Wer Spielfeld vor einigen Wochen besuchte, der sah erschöpfte Leiber am kalten Boden, hörte leise Laute aus rauen Kehlen und machte Augenkontakt mit müden Pupillen. Und plötzlich flitzt ein kleiner Haufen Materie durch die träge Meute. Ein breites Grinsen entblößt eine Zahnlücke, winzige Hände strecken Spielfiguren durch die Absperrung. Es ist kein Geschenk, sondern eine Einladung. Dieses Kind hat unfassbare Gräuel erlebt, aber jetzt will es spielen.

Wirken sich Krieg und Flucht auf Kinder anders aus? Der Spieltrieb scheint ungebrochen. „Kinder sind im Sein. Wenn sie Fußball spielen oder eine große Plakatwand anmalen, sind sie im Erleben. Sie grübeln nicht über Arbeitsstelle, Schulplatz, Asyl und Zukunft.“, erklärt Sonja Brauner. Sie arbeitet als Therapeutin im Verein Hemayat (persisch und arabisch für „Betreuung und Schutz“), und betreut dort traumatisierte Kinder, die von zu Hause fliehen mussten.

Spielfeld Flüchtlinge
Philipp Grüll

Geflohene Erwachsene leben zeitgleich in Vergangenheit und Zukunft. Sie trauern um ihre Familie, sorgen sich um ihren Asylantrag. Auch die Kinder erleben das Leid, doch „ihnen geht es um Glück, Spontaneität, den Augenblick zu erleben“, sagt Brauner. Ganz egal, was ein Kind erlebt hat, ob es im Krisengebiet lebt oder aus dem Elend kommt -  sobald es einen Fußball bekommt, wird gekickt. Tore wollen geschossen, Plakatwände gefüllt werden. Im Spiel und im Schaffen sind Kinder „selbst wirksam“, so Brauner. Sie radeln, sie turnen, sie tun. Das schafft Glücksgefühle. Ohne positive Erlebnisse kann man sich der negativen Vergangenheit nicht stellen.

Sonja Brauner Therapie Flüchtlinge
Katharina Gossow

Brauner nutzt die Fantasie ihrer kleinen Gäste und arbeitet das Trauma spielerisch auf. Daher sieht ihre Praxis aus wie ein Spielzimmer. Ein weißes Zelt steht in der Ecke, gefüllt mit Plüschtieren und Kissen. Hier bauen die Kinder einen „sicheren Raum“, bestimmen selbst, wer Zutritt hat und wer draußen bleiben muss. An der Wand türmen sich Playmobil-Bauten, eine Burg und eine Polizei-Station. Letztere dient als Beispiel für die Herausforderungen bei der Therapie von Flüchtlingskindern. Einer der Besucher ist der Sohn eines iranischen Professors, der Schriften gegen das Regime veröffentlichte. Dieses Regime, „die Bösen“, spukte im Kopf des Jungen herum. Brauner schlug vor, „die Bösen“ ins Gefängnis zu sperren. Der Kleine widersprach – denn im Polizeigefängnis sei doch sein Vater gewesen. Dort kämen doch „die Guten“ hin.

Therapie Playmobil
Philipp Grüll

Der Kleine trug das Trauma der Eltern weiter. Mama und Papa sind Stützen für das Kind. Sie müssen stabil sein und klar vermitteln: „Wir schaffen das.“ Daher kritisiert Brauner den Staat Österreich, der Asylwerber zur Arbeitslosigkeit zwingt. „Die Erwachsenen sind ausgeliefert, sie können nicht selbst wirksam sein, sie sind nicht eingebunden oder wichtig“, meint sie. Was dem Kind das Spiel ist, das ist dem Erwachsenen die Arbeit. Man schafft, man wirkt, man tut. Das stärkt den Erwachsenen, und damit auch das Kind.

Denn wer sein Leben lang nur Machtlosigkeit und Leid kennt, kann niemanden stützen. In Afghanistan beispielsweise herrscht schon so lange Krieg, dass drei Generationen nur Zerstörung kennen, meint Brauner und fügt kopfschüttelnd hinzu: „Da kann man ganz schwer auf was aufbauen“. Doch Brauners Besucher schwärmen auch oft davon, „wie nett die Lehrer sind, wie schön es hier ist, dass man was zum Spielen hat, dass man keine Angst haben muss, dass in der U-Bahn eine Bombe explodiert.“

In der Traumatherapie gibt es zwei zentrale Sätze. Erstens: „Nichts wird mehr, wie es früher war“. Zweitens: „Der Körper vergisst nichts“. Traumata kann man nicht auslöschen. Doch man kann sie ins Selbst integrieren, erklärt Brauner. Man nehme ein festes Fundament, und schlichte darauf Glücksgefühle als Bausteine. Wenn es um spontane Glücksbeschaffung geht, sind Kinder wahre MacGuyvers. Dazu reichen eine Absperrung, zwei Spielfiguren und vier Hände. Bitte lächeln.

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