„Bereit oder nicht, ich komme“

14. April 2014

Mit High-Heels und Vollbart zum Song Contest: Conchita Wurst erzählt uns von Hater-Postings, Bart-Grabschern, Fake-Ehen und von der Wurstigkeit des Seins.

Komisch, nach so vielen Medienberichten rund um Conchita Wurst haben wir mit einer lauten, schrillen Person mit Federboa auf einem Einhorn gerechnet. Conchita sitzt aber einfach nur Lady-like da, in einem schlichten grauen Jerseykleid, schwarzen Stöckelschuhen und Lederjacke. Sie spricht leise und wählt sorgfältig ihre Worte. Auf böse Fragen reagiert sie weder zickig, noch beleidigt. Eine echte Lady eben. Nur ab und zu kommt sie aus ihr heraus, die schrille Conchita oder Tom Neuwirth (Anm.: Conchitas bürgerlicher Name), oder wer auch immer gerade in ihr steckt. Zum Beispiel, wenn sie über homophobe Hater schimpft oder von ihrem Songcontest-Outfit schwärmt.

 

biber: Schick siehst du aus. Wie lange hast du für dein Outfit heute gebraucht?

Conchita Wurst: Ungefähr zwei Minuten für das Outfit. Heute Morgen habe ich etwas getrödelt. Wenn du mein ganzes Styling meinst, dann ungefähr eine Stunde.

 

Wollen viele Leute deinen Bart angreifen?

Das wollen ganz, ganz viele. Ich mag das gar nicht. Ich würde nie auf die Idee kommen, jemandem ins Gesicht zu greifen. Es hat gar nichts damit zu tun, ob man jemanden kennt oder nicht. Er ist ja tatsächlich echt, aber nachgemalt.

 

Kommen wir zum Eurovision Songcontest. Du trittst mit dem Song „Rise like a Phoenix“ an. Welche Chancen errechnest du dir?

Prinzipiell bin ich keine Person, die sich irgendetwas ausrechnet. Ich kann sagen, was ich mir wünsche. Ich wünsche mir für mich, und viele Österreicher würden das unterschreiben, dass wir ins Finale kommen.  Das wäre toll.

Steht dein Outfit schon fest?

Ja. Ich habe es selbst entworfen. Ich bin ja ausgebildete Damen- und Herrenkleidermacherin. Ich überlasse bei meinem Styling nichts dem Zufall. Das ist auch das Einzige, in dem ich mir zu 0 % etwas sagen lasse. Ich hatte gestern auch tatsächlich die erste Anprobe.  Es wird großartig, alles sitzt!

 

Ich kann mich nicht erinnern, dass im Vorfeld eines Songcontestes so viel Aufregung war, wie bei dir. Du spaltest die Gemüter sehr stark. Wie gehst du mit Kritik um?

Ich gehe mit Kritik prinzipiell gut um, wenn sie konstruktiv ist. Geht es nur gegen mich, dann denke ich mir: „Danke für eure Aufmerksamkeit, ihr habt offensichtlich genug davon“. Aber wenn es homophob wird, bis hin zu Menschenrechtsverletzungen, dann kann ich einfach nicht darüber hinwegsehen. Wir sind im 21. Jahrhundert, es passiert einfach momentan so viel und ich will das gar nicht auf die sexuelle Orientierungen reduzieren. Ich nutze den Song Contest schon etwas aus. In der Hinsicht, als ich die Chance bekomme, mit so vielen Menschen zu reden. Jedes Mal, wenn etwas gesagt wird, hat man eine höhere Chance, dass wieder einige Meinungen geändert werden und dass irgendwie etwas in eine positive Richtung geht.

 

Glaubst du, ist das Eurovision-Publikum bereit für eine Frau mit Bart?

Österreich ist offensichtlich bereit, sonst hätten sie mich ja nicht hingeschickt. Ich traue mich sagen, dass die Fanbase des Eurovision Songcontests zu 70 Prozent aus der Schwulencommunity besteht. Das ist meine Community, aus der Ecke komm ich nun mal. Natürlich muss man da auch stark differenzieren zwischen den Fans aus der Community und den Eurovision-„Konsumenten“. Ich muss aber sagen, ob sie bereit sind oder nicht, ich komme!

 

Conchita ist im kolumbianischen Hochland geboren. Kannst du Spanisch?

Nein, leider nicht. Ich sage dann immer nur „Yo no comprendo nada“. Das ist das Einzige, das ich auf Spanisch kann; und ein paar Schimpfwörter.

 

Und wie kommst du zum Künstlernamen "Conchita Wurst"?

Ich nehme meinen Job sehr ernst und ich nehme Frau Wurst sehr ernst. Deswegen habe ich mir auch gedacht, sie hat das Recht auf einen eigenen Lebenslauf hat. Da habe ich meiner Kreativität freien Lauf gelassen. Kolumbien deswegen: Ich liebe einfach diesen lateinamerikanischen Lebensstil. Ich habe damals eine Freundin aus Kuba gefragt, wie eine sexy Latina heißt, mit der jeder ausgehen möchte. Sie meinte Concha. Concha klingt aber nicht so schön, wie ein Kaugummi. Dann meinte sie, Conchita wäre die Verniedlichung. Ich habe gemeint: großartig, nehme ich. Wurst verwenden wir im deutschen Sprachgebrauch. Es ist wurst, wo man herkommt, wie man aussieht und welche Hautfarbe man hat.

 

Conchita singt für Österreich beim Songcontest. In einem Interview hast du mal gesagt,  „Ich kenne Tom Neuwirth (Anm.: das ist der bürgerliche Name von Conchita Wurst) persönlich nicht. Wir verpassen uns ständig im Spiegel.“ Wie viel Tom steckt noch in dir?

Ganz viel. Als ich bei der Großen Chance begann, habe ich das unglaublich lustig gefunden, so zu tun, als wär ich das nicht und ich habe keine Ahnung, wovon alle reden. Das war auch lustig zu Beginn. Dann hab ich für mich beschlossen, das war jetzt auch gut. Ich merk einfach wie weit wir zusammenwachsen und wie weit wir uns optisch trennen. Es ist irgendwie schwer zu beschreiben. Am 8. und 10. Mai wird auch eine Doku vor dem Halbfinale und vor dem Finale ausgestrahlt. Wir haben auch das erste Mal mit meiner Familie gedreht. Da ist ganz viel Privates dabei. Da habe ich auch gemerkt, wie lange Frau Wurst eigentlich schon in Toms Leben ist. Nur hatte sie ganz, ganz lange keinen Namen und kein wirkliches Aussehen.

 

Conchita ist seit drei Jahren verheiratet. Tom ist aber immer noch single. Wie würde Herr Wurst reagieren, wenn Tom jemanden mit nach Hause nimmt?

Das ist ganz einfach erklärt. Herr Wurst ist ja ebenfalls nur fiktiv mit Frau Wurst verheiratet. Mein Ehemann ist aber einer meiner besten Freunde.

 

Und die Hochzeit in dieser französischen Bar?

Das ist auch nur so eine Geschichte gewesen.

 

Die gab‘s gar nicht?

Nein, um Gottes Willen. Die Bar ist in Wien. Ich habe wirklich einen großartigen Freundeskreis. Ich fand es lustig, das zu machen. Ich hab drei Tage davor alle angerufen und gesagt „Wir heiraten“. Wir tun so, als würden wir heiraten und drehen das mit und machen ein schönes Youtube-Video daraus. Ich habe auch viele Homestories gemacht und ich war kein einziges Mal bei mir in der Wohnung. Das mach ich aber auch aus einem bestimmten Grund: Erstens, weil es ein Riesenspaß ist. Und zweitens darf man nicht alles glauben, was einem serviert wird.

 

Warum ist Conchita erfolgreicher als Tom?

Das ist Tatsache. Prinzipiell deckt Frau Wurst sehr viel mehr ab als nur eine Botschaft. Da wird viel von mir befriedigt, was mir früher gefehlt hat. Zugleich weiß ich auch, dass der Bart polarisiert. Aber wenn du gehört werden willst, dann musst du dir Gehör verschaffen. Das mach ich mit diesem Look zu 100 % und das weiß ich auch. Wenn ich zum Beispiel in arbeitender Weise durch die Innenstadt laufe, dann treffen mich hunderte Touristen, die mich in dieser Zehntelsekunde zum ersten Mal sehen. Aber sie werden sicher mit jemand anderem darüber sprechen, denn eine bärtige Frau ist nun mal nichts, was man jeden Tag sieht. Im besten Fall passiert es dann, dass sie darüber diskutieren, was es denn bedeutet, „anders“ zu sein. Ich behaupte nicht, dass ich die ultimative Wahrheit verbreite. Es ist einfach meine Wahrnehmung.

 

Weil du von deiner Persönlichkeitsverschmelzung gesprochen hast. Wie viel Tom und wie viel Conchita haben jetzt mit uns gesprochen?

Kann man so schwer sagen. Sobald die Wimpern geklebt sind, das Make-Up im Gesicht und die Perücke auf dem Kopf ist, werde ich ein anderer Mensch. Nicht ganz, aber sehr vieles, was ich so mache, macht Tom nicht. Aber er wird nicht total ausgeblendet. Schwer zu erklären. Ich glaube, dass meine Freunde diese Frage am besten beantworten könnten. Die merken das sofort.

 

Von der biber-Akademie und Marko Mestrovic (Fotos)

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