„Der Islam ist auch Teil des Problems.“

11. Dezember 2014

Der Soziologe Kenan Güngör über den Einstieg von Jugendlichen in den Jihad, „kleine Würmchen“ vor Gott und warum es skurril ist, einer Weltreligion die internationale Finanzierung zu streichen. 

Von Delna Antia, Simon Kravagna und Marko Mestrovic (Fotos) 

ACHTUNG, wir haben Online die Printfassung in einem Punkt, der unter anderem auch die Muslimische Jugend betrifft, präzisiert. In der Printfassung fragen wir, warum die radikale Interpretation des Islams heute attraktiver als vor zehn Jahren ist. Kenan Güngör spricht in seiner Antwort dann von erzkonservativen, NICHT von radikalen Strömungen. Dies führt zu berechtigten Irritationen und Kritik. Deshalb haben wir Frage und Antwort neu geschrieben, damit die Aussage des Interviewten klarer wird. Wir entschuldigen uns für die missverständliche Interpretationsmöglichkeit.

 

biber: Beschreibe bitte einen typischen Jugendlichen, der sich für den Jihad interessiert.

KENAN GÜNGÖR: Der deutsche Verfassungsschutz hat ein Profil der Jihadisten für Deutschland erstellt: Sie sind meist männlich, zwischen 16 und 24 Jahren alt. Meist kommen die Jugendlichen aus einem jugendkulturellen Submilieu mit wenig Bildung, Status und wenig Perspektive. Typisch ist auch eine starke Rap- bzw. Underdog-Kultur.

 

Ist Musik für Radikale nicht eigentlich „haram“ – also verboten?

Es gibt eine Grauzeit in der Radikalisierung. Das war etwa auch beim früheren Rapper und heutigen Jihadisten Deso Dogg so. Dabei gibt es das Paradox, dass mit einer zutiefst westlichen Musik- und Lebenskultur antiwestlicher Rap gemacht wird, der muslimisch oder antisemitisch unterlegt ist. „Gemeinsam ficken die Amerikaner“, singt ein unter muslimischen Jugendlichen bekannter Rapper aus Graz etwa. Wenn die Jugendlichen in der Radikalisierung noch weitergehen, hin zur reinen Lehre, kippen sie irgendwann. Dann hören sie keine oder nur mehr religiöse Musik.

 

Welche Beziehungen haben sie zu ihren Eltern?

Diese Jugendlichen sind „Sinnsuchende“ in einer für sie Sinn und Orientierung entleerten Welt. Sie glauben, dass sie das absolut Richtige tun, weil sie es im Namen Allahs tun. Sie suchen nach einer einfachen, eindeutigen Klärung von Welt. Um diese Ordnung hineinzubringen, grenzen sie sich ab: Von Eltern, Freunden, der Gesellschaft und vor allem von den Anders- und Ungläubigen. Bei einem großen Teil haben die Eltern keinen streng religiösen Hintergrund. Oft gibt es problematische Väter-Beziehungen. Aber selbst wenn dem nicht so ist, verlieren Eltern oft jeden Kontakt zu ihren Kindern. Das wird in radikalen Kreisen auch so gelehrt: „Vor dem Wort Gottes ist das Wort deines Vaters, deiner Eltern nichts. Gewinne sie – wenn du sie nicht gewinnst, trenne dich“.

 

Was passiert in ihren Freundeskreisen?

Es gibt einen neuen Trend der Vergemeinschaftung. Früher waren sie Türken, Kurden, Tschetschenen oder Bosnier, jetzt stellen sie unter dem Motto „Wir Muslime“ eine neue Gruppe dar.

 

Integrationsminister Sebastian Kurz betont gerne, Religion soll nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung sein.  

Der Islam ist ein Teil der Lösung und auch des Problems. Natürlich kann man im Koran die humanistischen Seiten sehen und sogar feministische Aspekte finden. Aber man kann die immanente Gewalt- und auch Unterwerfungstheologie nicht wegblenden. Und man muss sehr viel dafür tun, diese Stellen umzudeuten und die humanistischen Stellen herauszustreichen.

 

Es gibt wenige Politiker, die sagen würden, dass der Islam ein Teil des Problems ist. 

Das ist eine gut gemeinte, aber sachlich unhaltbare Position. Es ist gut gemeint, weil man die Leute schützen möchte, denn wir haben eine sehr große Islamophobie, die mich besorgt. Es bleibt die Frage, wie gläubige Moslems ihre Lehre auslegen wollen. Das ist bei Religionen immer so. Im Christentum gibt es den gleichen Bibeltext, der aber so ausgelegt wurde, dass im Mittelalter die Religionskriege damit begründet wurden und heute die Liebe Gottes betont wird. Im Islam würde ich dieses Spektrum wenn auch nicht gleich, aber ähnlich sehen. Es gibt sehr gläubige Muslime, die kein Problem haben in einem Staat wie Österreich zu leben und andere, die diese Gesellschaft als unrein sehen und sie klar ablehnen.

 

Warum wird der Koran nicht einfach „zeitgemäß“ interpretiert?

Weil das für viele streng Religiöse die größte Blasphemie wäre. Gottes Wort ist absolut. Deswegen löst es Aggressionen aus, wenn „du kleines Würmchen“ heute daher kommst und Gottes Wort in Frage stellst. Das Problem ist, dass die Salafisten eine 1:1 Übersetzung von Religion in die Praxis wollen und permanent diese Suren aufzählen: So steht es, so muss es geschehen. In Saudi-Arabien wird mit den gleichen Suren eine steinzeitliche Gesellschaftsordnung begründet. Warum sollen die Jihadisten das dann nicht auch tun? 

 

Warum ist die konservative Lesart des Korans interessanter als vor 10 Jahren?

Viele Organisationen - wie etwa die Islamische Glaubensgemeinschaft,  die Muslimische Jugend Österreich - begünstigen dies. Einerseits zeigen sie sich gerne als eine weltoffene Interessenvertretung, die sich gegen die grassierende Islamfeindlichkeit wehrt. Anderseits aber finden nach innen hin erzkonservative Schliessungsprozesse statt, die kein Problem haben, auch einem Kind mit sechs Jahren ein Kopftuch zu geben, Kindern ab der Geburt in eine voll-islamische Umgebung zu stecken um sie vor der „unislamischen“ Gesellschaft zu schützen.

 

Wir hatten vor Jahren eine Geschichte im biber: Damals wollte eine Pädagogin mit den Kindern eines islamischen Kindergartens in den Stephansdom gehen. Doch Eltern haben das als christliche Missionierung empfunden und es untersagt. 

Die erste Generation aus der Türkei war offener. Wie meine Mutter, die aus den kurdischen Bergen kommt und keine Bildung bekommen hat. Für sie war es kein Problem, dass wir zum Beispiel einen Weihnachtsbaum zu Hause hatten. Indem aber immer mehr geklärt wird, was eindeutig muslimisch ist und was nicht, habe ich das Gefühl, wird es unflexibler und starrer.

 

 

Damit stellt sich die Frage: Was soll man tun? Werden radikale Tendenzen auch noch durch öffentliche Mittel gefördert? 

Es ist wirklich ein ernsthaftes Problem und ich hadere auch damit. Wir müssen aber akzeptieren, dass moderne und diverse Gesellschaften mit massiven Zielkonflikten einhergehen. Wenn der Staat katholische Kindergärten fördert, warum dann nicht auch islamische Kindergärten? Gleichzeitig wissen wir: Die Förderung muslimischer Kindergärten ist in ihren Folgewirkungen in vielerlei Hinsicht problematischer.

 

Das neue Islamgesetz will Muslimen die Finanzierung aus dem Ausland verbieten. Die Katholische Kirche finanziert aber in Afrika ganze Missionsstätten. Ist es nicht skurril, einer Weltreligion eine internationale Finanzierung zu streichen? 

Das würde ich genauso unterschreiben. Es ist unzeitgemäß in einer Welt, wo alles internationaler wird und wir grenzenlos kommunizieren können, so etwas zu fordern. Die Lösung kann nicht darin liegen, dass wir grundsätzlich das Problem in der Auslandsfinanzierung sehen. Es geht vielmehr um Transparenz in der Finanzierung und die Frage: Welche Ziele und Werte werden mit der jeweiligen Finanzierung verfolgt?

 

Zuletzt: Als potenzieller Jihadist ist es aufwändig nach Syrien zu fahren. Warum sprenge ich mich nicht einfach vor dem Stephansdom in die Luft?

Weil es in Syrien eine Lagerromantik gibt und sie dort selber im Kalifat sind. Außerdem haben sie dort Waffen, da spielt auch eine Martialität hinein. Ich bin eher überrascht, dass hier noch so wenig passiert ist und befürchte es. Man braucht keine große Logistik, keine Infrastruktur, um große Anschläge zu machen. Für den individuellen Jihad ist die Fantasie noch offen, was möglich ist. Mein Problem ist eher die Frage: Wie werden wir darauf reagieren? In dieser fragilen und leicht hysterisierbaren Gesellschaft habe ich Angst, dass wir wie aufgescheuchte Hühner alle aufeinander losgehen und die Muslime als Sündenböcke herhalten müssen. So leicht dürfen wir es den Terroristen nicht machen.

 

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