„Eine Verschwörung, die keine ist“

30. März 2014

Rund um die Kommunalwahlen am 30.März dreht sich in der Türkei alles um den Machtkampf zwischen Premier Erdogan und Fethullah Gülen. biber hat mit dem Politikwissenschaftler Ilker Ataç über das Phänomen Gülen und die Folgen des Abhörskandals gesprochen.

Von Adnan Muminovic

 

Zum Beginn: Was würden Sie sagen, macht das Phänomen Gülen aus?

Das ist eine sehr schwierige Frage, denn über die Gülen Bewegung  gibt es kaum Studien oder wissenschaftliche Arbeiten. Insofern ist das Ergebnis, der meisten Interviews zur Gülen Bewegung, dass man nicht alle Fragen beantworten kann. Man könnte aber sagen, dass die Gülen Bewegung so etwas wie ein Netzwerk-ähnliches System ist, das Ihren Ursprung  im türkischen Schulsystem hatte. Ihr geistlicher Führer, Fethullah Gülen, hat in den 1970er-Jahren erkannt, dass das Schulsystem in der Türkei eine wichtige Rolle spielt. Daraufhin hat er begonnen in Schulen zu investieren. Gülen hat das Schulsystem als solches entdeckt, um nach seinen Perspektiven und Werten, gut erzogene Menschen auszubilden.  

 

Nach seinen Werten bedeutet?

Gülen kommt aus einem traditionellen Orden. Das bedeutet eine bestimmte, muslimische Leseart des Islam. Weil jede Religion ihren gesellschaftlichen Wert hat, möchte er mit seiner Art, das gute Zusammenleben in den Vordergrund stellen. 

 

Wie erleben Sie aktuell den Einfluss der Gülen Bewegung in der Türkei, wie groß ist er wirklich?

Es ist ein Netzwerk ohne feste Mitglieder. Es gibt einerseits eine Kerngruppe in der Bewegung, dann gibt es Menschen, die mit der Gülen-Bewegung sympathisieren. In den letzten zehn Jahren haben sie an Macht dazugewonnen. Insbesondere indem sie mit der AKP unter der Führung von Recep Erdogan in Koalition getreten sind und dadurch bestimmte wichtige staatliche Posten erhalten haben. Besonders im Polizeiapparat und in der Justiz. Den Einfluss klar zu benennen ist schwierig, da es nicht viele gibt, die sich dazu bekennen.  

 

Haben die Rochaden, die zuletzt im Staatsapparat stattgefunden haben, diesen Einfluss geschmälert?

Es wird ja, unter Anführungszeichen, von einem Krieg gesprochen und besonders nach dem 17. Dezember 2013 (Anm.: An diesem Tag wurde ein weitreichender Korruptionsskandal aufgedeckt, der zu zahlreichen Ministerrücktritten und Verhaftungen geführt hat) kam es zu einem enormen Personalwechsel innerhalb des Polizeiapparates und auch innerhalb der Justiz. Das bedeutet also, dass es für die Gülen-Bewegung auch negative Konsequenzen geben wird, was die Einflussnahme in den verschiedenen Sektoren angeht.   

 

Kann man also sagen, dass Gülen trotz einer Zusammenarbeit mit der AKP, seine Leute verdeckt in die Staatssicherheitsapparate geschleust hat?

Man kann nicht sagen, dass es verdeckt geschehen ist. Die Intention der Bewegung war, über das Bildungssystem kluge, junge Menschen, oft Männer, zu erreichen um diese später im Verwaltungsapparat zu beschäftigen. Durch die Investition in deren Bildung und durch das vertraut werden mit dem Wertesystem der Gülen Bewegung, hat man eine Verbindung geschaffen noch lange bevor die AKP an die Macht gekommen ist. 

 

Man hat also zukünftige Juristen, Politikwissenschaftler und Verwaltungswissenschaftler gefördert und sie auf spätere Aufgaben vorbereitet?

Ja, gewissermaßen vorbereitet. Aber ich würde sagen, das sind die Leute, die in einer guten oder losen Beziehung zum Gülen-Netzwerk gestanden sind. Als die AKP an die Macht gekommen ist, haben ihnen die Köpfe gefehlt, die sich in Fragen der Polizei oder in anderen Bereichen gut auskennen. In dieser Zeit ist die AKP ein Bündnis mit der Gülen Bewegung eingegangen und hat dadurch diese gut ausgebildeten Leute gefördert und im Staatsapparat positioniert. Es ist also eine Verschwörung, aber es ist keine richtige Verschwörung und genau das ist das komplexe daran. 

 

War die Zusammenarbeit zwischen AKP und Gülen nur ein Mittel zum Zweck oder gab es eine gemeinsame Basis aufgrund von Werten und Religion?

Es gibt auf jeden Fall Unterschiede zwischen den beiden. Für den politischen Islam und die Bewegung der AKP steht Religion immer im Vordergrund. Die Gülen-Bewegung beruht aber vielmehr auf einer türkisch-islamischen Synthese. Sie ist viel pragmatischer und steht daher auch für gute Beziehungen zu Israel oder zu den USA. Es gibt also auf jeden Fall ideologische Unterschiede.

 

Türkischstämmige Österreicher scheinen Erdogan zu favorisieren, woran liegt das?

Beide kommen zwar aus dem Lager des politischen Islams. Die AKP als politische Partei hat andere und breitere Mobilisierungsmöglichkeiten als ein Netzwerk, wie das von Gülen. Ein Netzwerk tendiert eher dazu, klein zu bleiben und versucht über andere Mittel Einfluss zu üben. Es hängt also mit der Organisationsform zusammen, dass die AKP mehr Sympathisanten hat als Gülen. Wenn Erdogan trotz aller Skandale über 40 Prozent bekommt, dann weil sein Kredit noch nicht aufgebraucht ist und die positiven Errungenschaften seiner Amtszeit überwiegen. Ein weiterer Grund ist die Schwäche der Oppositionsparteien in der Türkei.

 

Zur Person:

Ilker Ataç wurde 1975 in Sakarya in der Türkei geboren. Er hat Politikwissenschaft und Ökonomie auf der Universität Wien, der WU Wien und am University College London studiert. Aktuell ist er als Assistenz-Professor am Institut für Politikwissenschaft an der Uni Wien tätig. Er forscht unter anderem zu Fragen der türkischen Ökonomie und Politik.

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