Alles verloren

05. Juni 2014

Ich wusste, dass der Aufenthalt im Krisengebiet in Bosnien-Herzegowina hart wird. All die verlorenen Existenzen, die zerstörten Städte - auch Wochen danach kriege ich die Eindrücke nicht aus meinem Kopf.

Alexandra Stanic und Marko Mestrovic (Fotos)

 

Fauler Gestank liegt in der Luft. Ich bin umgeben von meterhohen Müllbergen und maskierten Menschen, die durch Schlamm stapfen. Mein erster Eindruck von Doboj, eine jener bosnischen Städte, die den Fluten zum Opfer gefallen ist, dreht mir den Magen um. Obwohl ich das Schlimmste erwartet habe, wird mir schlagartig schlecht. Wie jeder hier trage ich Gummistiefel und eine Atemschutzmaske. Das Wasser geht zurück. Verdreckte Möbelstücke türmen sich am Straßenrand. In der 50 Kilometer entfernten Stadt Šamac ist die Lage noch prekärer. Mehr als 10 Tage stand Šamac unter Wasser. Gleichzeitig stiegen die Temperaturen auf 30 Grad.

 

Die pralle Mittagssonne erschwert den freiwilligen Helfern und dem Militär den Wiederaufbau. Aber auch ich stoße an meine Grenzen: Die Armut der Menschen, der Gestank, all die zerstörten Gegenden - es ist nicht einfach, mit so vielen schlimmen Eindrücken umzugehen. Eine ältere Frau bleibt neben mir stehen, beobachtet mich kurz. Sie ist etwa 50 Jahre alt, trägt einfache Sandalen und starrt in das 30 Zentimeter tiefe, braune Wasser, in dem sie steht. „Ich habe den gesamten Krieg miterlebt, mein Kind“, sagt sie plötzlich aus dem Nichts. „Aber diese Fluten sind noch viel schlimmer“. Bei vielen Gesprächen kämpfe ich mit den Tränen.

 

 

Kaffeehäuser, Supermärkte, Friseurläden - alles wurde überflutet. Zurück bleiben verlorene Existenzen und Müll. Etwa eine Million der insgesamt 3,8 Millionen Bewohner Bosnien-Herzegowinas ist von den Überschwemmungen betroffen, rund 40.000 wurden evakuiert. Wohnungen stehen leer, die ehemaligen Besitzer leben bei Nachbarn oder Verwandten. Tausende Tierkadaver mussten entsorgt werden, es herrscht Seuchenrisiko. Eine weitere Gefahr erwartet Bosnien-Herzegowina: Experten befürchten angeschwemmte Landminen - ein Erbe des Balkankrieges.

 

 

Gruppen von Studenten aus umliegenden, nicht betroffenen Städten, reisen in die Krisengebiete, um bei dem Wiederaufbau zu helfen. Einer davon ist Danijel Ratkovic. Er ist aus Banja Luka angereist. Die Stimmung bei den Studenten am Nachmittag ist ausgelassen, sie haben einen Sitzkreis inmitten von Schlamm und Müll gebildet. „Das Wohnhaus links haben wir schon sauber gemacht“, erzählt Danijel. „In dem anderen können wir nicht viel machen, weil ein Mann seine Wohnung im Erdgeschoss verriegelt hat und sein Zeug behalten will“, fährt er kopfschüttelnd fort. „Als könnte man auch nur irgendetwas von dem Müll wieder verwenden.“

 

 

Die Hauptstraße zwischen Doboj und Maglaj ist nicht befahrbar, Erdrutsche haben sie völlig auseinander gerissen. Der Asphalt hat bis zu drei Meter tiefe Risse. Ein Anrainer beschreibt die Situation. „Die Familien oben am Berg haben alles verloren“, so der 52-jährige Ramus Suljic. „Der Erdrutsch hat ihre Häuser einfach den Hang nach unten mitgerissen.“

 

Šamac

50 Kilometer weiter: Die Stadt Šamac in Nordbosnien ist besonders stark von den Überschwemmungen betroffen. Sie liegt sowohl an dem Fluss „Sava“, als auch an der „Bosna“. Ohne offizielle Bestätigung des roten Kreuzes darf man Šamac nicht betreten. Ich stoppe einen Bundesheer-Verantwortlichen. Er darf keine offizielle Aussage tätigen, deswegen nennt er nur seinen Spitznamen. „Mico“ arbeitet seit Tagen am Wiederaufbau der Stadt. „Bis Šamac wie früher ist, werden zehn bis fünfzehn Jahre vergehen.“

 

 

„Mein Zuhause ist zerstört.“ Mara Petkovic deutet mit einer wütenden Handbewegung in Richtung ihres Hauses. Sie wischt eine Träne aus ihrem Gesicht. „Ohne Boot komme ich nicht einmal bis zu meiner Haustür.“ Ihr Ehemann ist während des Krieges gestorben. Ihre Tochter lebt in Banja Luka, letztes Jahr hat sie ihren Job verloren. „Ich bin alleine, arbeitslos und dank den Fluten jetzt auch obdachlos“, so die 50-Jährige. „Ich muss auf die Güte meiner Nachbarn hoffen, die mich bei sich schlafen lassen.“ Ihre Stimme überschlägt sich. „Ich hätte in diesem verdammten Haus bleiben sollen, damit mich der Fluss mitreißt und meinem Leben ein Ende bereitet.“

 

 

Ich treffe ein junges Ehepaar auf ihrem Balkon im ersten Stock eines Wohnhauses. Sie haben ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Über den Balkon klettere ich in ihre Wohnung, die Haustür ist verbarrikadiert. Die Wände sind mit Schlamm bedeckt. Der Kühlschrank wurde aus der Küche gespült, die Fensterscheiben sind eingeschlagen. Trotzdem hat Mladen Miljic seinen Humor behalten. „Ich würde dir ja Kaffee anbieten, aber die Kaffeemaschine ist kaputt“, scherzt er. Seine Frau zieht mit: „Schatz, sie hat sich nicht die Schuhe ausgezogen, als sie in unsere Wohnung gekommen ist.“ Beide lachen. Zum Schluss gibt mir Mladen eine Flasche Rotwein auf den Weg mit. „Sie ist das einzige, das heil geblieben ist“, erklärt der 30-Jährige. „Betrink’ dich, während du unser Schicksal niederschreibst.“

 

DIJASPORA HILFT

„Alles hat mit einer Facebook-Veranstaltung begonnen“, erzählt Darko Marković, Initiator der Hilfsorganisation für die Flutopfer in Bosnien-Herzegowina. Der gebürtige Bosnier wendet sich an den Samariterbund, mit dessen Hilfe eine Woche nach der Gründung der „Hilfsaktion für Flutopfer in Bosnien-Herzegowina“ zehn Sattelschlepper in das Krisengebiet fahren. Nach der 27-stündigen Fahrt merkt man Darko und den Helfern des Samariterbundes die Erschöpfung an. Gleichzeitig sind sie erleichtert. „Das war eine Aktion von Menschen für Menschen“, so Corinna Dietrich, freiwillige Helferin vom Samariterbund. Sie hat den Hilfskonvoi nach Bosnien begleitet. „Jetzt kümmern wir uns um die erste Hilfe, danach überlegen wir, wie es mittel- und langfristig weitergehen soll.“ Beim zweiten Anlauf waren es zwölf Sattelschlepper. Mehrere hundert Tonnen an Sachspenden wurden allein durch die vom Samariterbund unterstützte Initiative gesammelt. In Bosnien nahmen humanitäre Organisationen, unter anderem pomozi.ba, die Güter entgegen und verteilten sie an die betroffenen Menschen. Aber auch andere Bürger- und Volksinitiativen und private Helfer beteiligten sich an der Aktion. „Wir hielten es für wichtig, dass wir vor Ort jemanden haben, dem wir vertrauen können“, so Darko Marković.

 

Auch der 23-jährige Stefan Došić startet eine Spendenaktion via Facebook. „Ich bin aus der betroffenen Stadt Obrenovac“, beschreibt der gebürtige Serbe seine Intention. „Ich konnte nicht tatenlos zusehen.“ Zusammen mit seinem besten Freund Stefan Vasić organisiert er in einem favoritner Jugendzentrum ein Spendenlager, danach übersiedelten sie in den 16. Bezirk. „Über 100 Tonnen haben wir nach Serbien geschickt“, so Stefan ganz stolz. „Wir arbeiten mit dem roten Kreuz in Užice zusammen, die verteilen die Hilfsgüter an die betroffenen Gegenden.“ Oft fahren Spender aus Wien selbst in das Krisengebiet, um den Menschen die Hilfsgüter zu geben. „Ich vertraue den Fahrern und dem roten Kreuz“, erklärt Stefan. „Aber andere sind skeptisch und wollen die Spenden eigenhändig abliefern.“ Trotz der Skepsis mancher funktioniert die Initiative reibungslos. „Ohne die Hilfe der vielen Menschen wäre eine Hilfsaktion in diesem Ausmaß gar nicht möglich gewesen“, freut sich der 23-Jährige.

 

Auf der biber-Facebook-Gruppe (www.facebook.com/mitscharf) und unserer Homepage (www.dasbiber.at) findest du eine Aufzählung aller Hilfs-Annahmestellen. Die Liste wird täglich aktualisiert.

 

 

ÖSTERREICH HILFT

Caritas, Rotes Kreuz, Samariterbund, – Österreich hilft seinen Nachbarn. 100 Feuerwehrleute, Mitarbeiter der Wasserrettung und das österreichische Bundesheer samt Hubschrauber sind in den Krisengebieten in Bosnien-Herzegowina und Serbien im Einsatz. Da ein hohes Seuchenrisiko herrscht, wurden 80 ABC-Soldaten eingesetzt, die sich vor allem mit der Aufbereitung des Trinkwassers beschäftigen. Außenminister Sebastian Kurz: „Dieser Auslandseinsatz ist ein weiterer Baustein für die Hilfe für die Flutopfer vor Ort.“ Die Stadt Wien und Bürgermeister Michael Häups stellen 400.000 Euro für die Flutopfer in Bosnien und Serbien bereit. 200.000 Euro werden als Soforthilfe verwendet, weitere 200.000 Euro für den Wiederaufbau. Die finanzielle Hilfeleistung wird gezielt über Hilfsorganisationen den Opfern in den Hochwassergebieten zugutekommen. Zudem hat die Bundesregierung insgesamt eine Million Euro aus dem Auslandskatastrophenfond für Hilfsmaßnahmen österreichischer NGOs in Bosnien-Herzegowina und Serbien bereitgestellt.

Kommentare

 

erfolgreich nach Bosnien&Herzegowina geliefert, Anfang nächster Woche werden es 10-12 weitere werden. Danke BIBER.

 

PS. Corina ist Pressesprecherin ;)

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