Armin fragt Nicole: "Bin ich ein Feminist?"

12. September 2019

Kann ein Deutschrap hörender Mann als Feminist durchgehen? Und wer entscheidet darüber? Die linksradikale Journalistin Nicole Schöndorfer, die zum Kaffee am Morgen Männertränen trinkt und das Patriarchat zerschlagen möchte, gibt unserem Redakteur Armin die Antworten.

von Armin Nadjafkhani, Fotos: Marko Mestrovic


 
Auch zwei Jahre nach Entflammen der #MeToo-Debatte tappen viele Männer im Dunkeln. Abseits der linksliberalen, bildungsnahen Peergroups aus Wien-Neubau schlummern viele offene Fragen, zu denen es noch keine klaren Antworten gibt. Unser Redakteur Armin ist ein interessierter Wiener mit persischen Wurzeln, der auch mal Deutschrap hört, Gleichberechtigung wichtig findet und sich unter Kumpels auch gerne als Feminist outet. Dafür bekommt er oft fragende Blicke. „Was macht dich zum Feministen?“, wollen die Freunde von ihm wissen. Armin weiß nicht wirklich, ob seine Zustimmung für Gleichberechtigung, Menschenwürde und Selbstbestimmung der Frauen genug sind, um als Feminist durchzugehen. Deswegen holt er sich Rat bei Nicole Schöndorfer. Sie ist nach eigener Definition linksradikale Feministin und vor allem durch ihre bissigen Tweets und ihren Podcast in der österreichischen Journalisten-Szene bekannt. Kann Nicole Armins Fragen beantworten? Dürfte Armin Frauen in der Bim anmachen oder die Lieder der Deutschrapper „187 Strassenbande“ hören? Muss man als Feminist gar eine Bücherliste abarbeiten, bevor man sich als solcher bezeichnen kann? Armin weiß es noch nicht, Nicole hat die Antworten! Die Gratis-Feminismusstunde kann beginnen!
 
 
ARMIN NADJAFKHANI: Nicole, wie soll sich ein männlicher Feminist benehmen?
NICOLE SCHÖNDORFER: Bei Männern ist das Wichtigste, dass sie merken, dass Männer und Frauen nicht in derselben Welt leben und diesen Unterschied, die Schwierigkeiten und die Diskriminierung ernst nehmen. Ein männlicher Feminist sollte sich nicht angegriffen fühlen, wenn man sagt, dass weiße Männer global gesehen die Unterdrücker sind.
 
Was bedeutet für dich Feminismus?
Gleichberechtigung und Gleichstellung aller Geschlechter. Die Überwindung des Patriarchats, die Überwindung des Kapitalismus. Dass wir alle in einer freien Gesellschaft leben können, ohne Zwänge und ohne ungleich verteilte, ungerechte Rollen und Pflichten.
 
Was ist „das“ Patriarchat?
Das Patriarchat ist die Gesellschaftsform, in der wir leben, die von Männern geschaffen wurde und die von männlichen Werten geprägt ist. Diese Männer sind in jeglichen Bereichen die dominante Gruppe und darauf fußt,
dass sie andere Gruppen wie Frauen oder nicht binäre* Menschen unterdrücken. Bei Feminismus geht es nicht nur ums Geschlecht, sondern auch um die Hautfarbe, Herkunft, Klasse, Religion, physische Behinderung, sexuelle Orientierung.
 
Du hast auf Twitter über 19.000 Follower. Dort greifst du zum Teil andere an, die deine Meinung nicht vertreten und kommst sehr angriffslustig rüber. Schreckst du damit die Menschen nicht ab, anstatt sie zu überzeugen?

Mag sein. Das sind jetzt aber nicht die, die davor besonders feministisch waren. Wenn sie sich dann durch eine antisexistische Kritik abschrecken lassen, dann waren sie nie feministisch. Es gibt eine verbreitete Argumentationslinie, die besagt, dass freche, laute, provokante Meldungen nur dem Dienst der Sache schaden. Das ist Blödsinn und nur eine Strategie, um die Menschen zum Schweigen zu bringen. Wir haben uns diese Rechte erkämpft und sollten auch demensprechend nach vorne preschen. Wir werden nicht höflich fragen „Könntest du mich bitte nicht diskriminieren“, sondern ganz klar fordern „Hey, Oida, diskriminier mi ned!“ (lacht).

Nicole, Feminismus, linksradikal

Während unseres Gesprächs ist die Rede oft von weißen Männern, white people, toxischer Männlichkeit. Gibt es überhaupt weiße Männer, die nicht sexistisch sind?

Wir wachsen alle in einer Welt auf, in der wir schon rassistische und sexistische Vorurteile lernen und die müssen wir auch aktiv verlernen, z. B. slutshaming. Das muss jetzt auch nicht unbedingt von den Eltern kommen, sondern wird uns von Medien und Gesellschaft anerzogen. Du bist als Mann nicht zwingend Sexist, aber du hast dir sexistische Verhaltensmuster angeeignet. Sexismus und Rassismus äußern sich ja nicht nur in Beleidigungen, sondern beruhen auf strukturellen und institutionellen Voraussetzungen. Ich kann dir als Frau schon drohen, dich beleidigen, aber es ist nicht sexistisch.

Gehen wir von folgendem Szenario aus: Eine Gruppe von Leuten, die aussehen wie ich, schließen einen Typen, nennen wir ihn Peter, aus. Alles aufgrund seiner äußeren körperlichen Merkmale wie z.B.: blondes Haar, blaue Augen. Wäre das auch rassistisch?
Nein, ich kann da jetzt nicht für dich sprechen, aber es gibt natürlich einen Grund, warum Peter nicht der Erste ist, mit dem die Gruppe Zeit verbringen will und welche Erfahrungen sie gemacht hat. Wenn man sein Leben lang diskriminiert wird, dann will man ja auch nicht mit diesen Menschen etwas zu tun haben.
 
Du bist als Mann nicht zwingend Sexist, aber du hast dir sexistische Verhaltensmuster angeeignet.
 
Aber wäre das nicht verallgemeinernd von der Gruppe, jetzt Peter aufgrund seiner Hautfarbe Diskriminierung oder Rassismus vorzuwerfen bzw. ihn in dieselbe Schublade wie einen Martin Sellner zu schieben?
Ja, grundsätzlich ist das deppert. Wir können das aber nicht aus dem Kontext ziehen, denn diese Situationen passieren ja auch nicht im Vakuum. Die Dominanten in der Hierarchie haben die Verantwortung, dass sich die anderen in ihrer Gegenwart nicht bedroht fühlen.
 
Nehmen wir an, Peter hat nie einer Seele was zuleide getan, wählt links oder engagiert sich sogar in der Politik. Er wird nicht dafür sorgen können, dass es allen anderen gut geht. Trotzdem wird er in die Schublade gesteckt.

Nein (lacht). Ich will als weiße Frau mit meinem Wissen über die Gesellschaft auch z. B. women of colour ihren Raum zugestehen. Sie dürfen skeptisch sein – das ist vollkommen in Ordnung. Als Peter oder Nicole muss man das checken und hinnehmen. Das ist ihr safe-space. Für weiße Männer ist es die ganze Welt. Es geht auch darum, sich zu bilden, politisch zu engagieren und den anderen zuzuhören. Dass man sich als Mann oder in diesem Fall als weiße Person ausgeschlossen fühlt, zeigt nur, wie gewohnt wir es sind, nicht ausgeschlossen zu werden. Es muss manchmal wehtun, aber es ist dann wichtig zu reflektieren und die Ursachen herauszufinden.

Feminismus-Talk, Armin, Nicole

Wie sieht‘s denn mit Feminismus in der österreichischen Politik aus?
Die Politik ist sehr reaktionär. Die zuständigen Akteure sind zu bequem und gehen nicht in die Tiefe. Die FPÖ kann 50 % Frauen im Nationalrat haben (Anm.d.Red.: Momentan sind es 26 %), ist aber deswegen nicht feministisch. Die ehemalige Frauenministerin (Juliane Bogner Strauß, ÖVP) hat Kinder und schafft den Spagat zwischen Arbeit und Familie. Sie kann sich aber Hilfe in Form von Kinderbetreuung leisten, das können andere nicht. Diese Hilfe ist dann wahrscheinlich eine migrantische Frau – für die der Feminismus dann nicht gilt. Sie ist dann Mittel zum Zweck. Sie macht es möglich, dass die reiche weiße Frau alles schaffen kann. Feminismus wird falsch interpretiert und für den eigenen Erfolg ausgenutzt. Zum Beispiel das Gewaltschutzpaket der ÖVP und FPÖ. Das ist darauf zugeschnitten, dass die Täter immer Asylwerbende sind, migrantisch sind und dass die Gewalt gegen Frauen nur auf der Straße passiert.
 
Welche österreichische Partei vertritt am ehesten die feministischen Werte?
FPÖ und ÖVP schon mal nicht. Neos auch nicht – die werden sich zwar feministisch äußern, aber das ist eben der liberale Feminismus, mit dem ich nichts anfangen kann. Dieser Business-Feminismus, der sagt „Ich kann alles schaffen, wenn ich mich nur anstrenge“, verneint das strukturelle Problem und gibt ausschließlich der Frau die Schuld, wenn sie es nicht schafft. Bei den SPÖ-Frauen sind Super-Feministinnen dabei, die sich vor allem gegen Gewalt an Frauen stark einsetzen. Und natürlich die Grünen mit Sigi Maurer, Ewa Ernst-Dziedzic und anderen.
 
Dieser Business-Feminismus, der sagt „Ich kann alles schaffen, wenn ich mich nur anstrenge“, verneint das strukturelle Problem und gibt ausschließlich der Frau die Schuld, wenn sie es nicht schafft. 
 
Hast du das Frauenvolksbegehren unterschrieben?

Ja, obwohl ich manche Forderungen viel radikaler formuliert hätte. Beispielsweise gehört der Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetz gestrichen. Ich verstehe die Intention, das Thema einem breiterem Publikum zugänglich zu machen. Revolution wäre geil, ist aber eine Utopie. Die Veränderungen müssen in kleineren Schritten passieren. Die Forderungen nach der Arbeitsreduktion oder dem Verbot sexistischer Werbung sind wichtig, wurden aber von Türkis und Blau ignoriert. (Anm. d. Red.: 481.959 Menschen haben das Volksbegehren unterschrieben)

Sind Prostitution oder Pornografie anti-feministisch?
Da gibt’s viele Positionen und das gibt oft einen Clash zwischen Feministinnen. Ich bin der Meinung, dass es generell im patriarchalen Kontext schon einen Grund gibt, weshalb es diese Berufe hauptsächlich für Frauen gibt. Es ist aber kontraproduktiv, diese Frauen dann zu diskriminieren oder aus dem Feminismus auszuschließen. Jede Arbeit im Kapitalismus ist ausbeuterisch.
 
Das heißt, du wirst als Journalistin auch ausgebeutet?
Ja, klar, werde ich das auch. Die Medienbranche ist noch ein Mal eine ganz eigene Sache. Grundsätzlich werden alle, die im Kapitalismus ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, ausgebeutet.
 
Nach dem zweistündigen Gespräch mit mir. Was würdest du sagen: Bin ich ein Feminist?
Das kann ich nicht entscheiden. Aber dir sind feministische Themen offensichtlich wichtig und du hörst zu und fragst nach. Also erfüllst du die Voraussetzungen, einer zu werden. (lacht)
 
 
Kann man Feminist sein und…
…einer Frau die Tür aufhalten?
Ja, sicher. Man merkt an der Reaktion der Frau, ob es ihr gefällt oder nicht. Wenn das ein schmieriger, reicher Typ macht, hat das eine andere Message als wenn mein Freund mir die Tür aufhält.
…Buben in blau und Mädchen in rosa einkleiden?
Ja, wenn man nicht davon überzeugt ist, dass es sich so „gehört“. Ich find‘s irrsinnig süß bei Kindern, aber nicht weil es zum Mädchen-Sein gehört.
…kann eine Feministin Hausfrau sein?
Ja sicher, wenn sie das selbst so wollte. Im Großen und Ganzen muss man darauf achten, dass daraus keine Abhängigkeit entsteht. Die Frau hat dann kein Einkommen, keine Pension, das sollte sie immer dabei bedenken.
…auf Twerken stehen?
Ja, nachdem es eine Kunstform, ein Tanzstil, ist.
…seiner Frau öffentlich auf den Po greifen?
Wenn die Frau darauf steht, ist es natürlich kein Problem. Wenn aber gerade eine Gruppe von Typen am Pärchen vorbeigeht und er ihr demonstrativ an den Arsch greift, dann kann das problematisch sein.
…Frauen öffentlich anmachen?
Schwierig, es kommt drauf an wie. Es liegt an der Frau, ob sie das stört. Auf der Straße gibt’s ja das „cat-calling“ (siehe Glossar). Dieses „Hey Schnucki“ Rufen oder Nachpfeifen ist entmenschlichend und entwürdigend. So würde ich dir nicht raten, eine Frau anzumachen. (lacht)
…frauenverachtenden Deutsch-Rap hören?
(lacht) Ja, natürlich es ist halt so bissi guilty-pleasuremäßig. Es wird jetzt wahrscheinlich auch niemand, der sich Feminist oder Feministin nennt, sagen: „Diese frauenverachtende Passage ist voll geil“. Bei mir persönlich ist es jetzt so, dass ich da jetzt viel nicht mehr hör und ich froh bin, dass es auch eine feministische Sparte an Rapperinnen gibt.
…Kann man die Lieder der Hip-Hop-Gruppe „187-Straßenbande“ hören?
Ich finde, man kann nicht den Künstler von der Privatperson trennen. Deswegen höre ich auch keine Lieder von Michael Jackson oder R. Kelly.
 
 
SO SPRICHST DU WIE EIN FEMINIST
slut shaming: bezeichnet den Angriff auf und die Abwertung von Frauen und Mädchen wegen ihres vermeintlich sexualisierten Auftretens, ihrer sexuellen Aktivität oder auch nur wegen bestimmter Kleidungsweisen. (Quelle: FUMA; Fachstelle Gender & Diversität NRW; 26.08.2019)
cat-calling: Als „cat-calling“ werden sexuell anzügliche, unangemessene, unanständige und unhöfliche Kommentare von Männern gegenüber Frauen in der Öffentlichkeit bezeichnet. (Quelle: bedeutungonline.de; 27.08.2019)
nicht-binäre Menschen: Nicht-binär, manchmal auch non-binär oder wie im Englischen nonbinary, ist ein Überbegriff für alle Menschen, die weder männlich noch weiblich sind, die sich also z.B. zwischen diesen beiden Geschlechtern verorten, oder ganz außerhalb davon, oder auch gar kein Geschlecht haben (agender). (Quelle: queer-lexikon.net)
 
Nicoles Literaturempfehlungen über Feminismus:
→ Margarete Stokowski „Untenrum frei“
→ Simone de Beauvoir „Das andere Geschlecht“
→ Audre Lorde "Sister Outsider"
 

Das könnte dich auch interessieren

Foto: Zoe Opratko
  von Özben Önal   Wer regelmäßig die...
Foto: Zoe Opratko
Als Tochter einer muslimischen Familie...
Özben
  Von Özben Önal   In eine neue Stadt...

Anmelden & Mitreden

1 + 1 =
Bitte löse die Rechnung