Baba Roga wird dich fressen

17. November 2011

Wenn kinderlose Menschen, so wie ich, ab und zu auf der Straße beobachten, wie andere Leute ihre Kinder erziehen, folgt ein Kopfschütteln und man fragt sich: „Was zum Teufel soll das?“ Und dann fragt man sich außerdem, wie diese Kinder später einmal ticken werden, angesichts solcher Erziehungsmethoden.  Werden sie verloren sein, depressiv, unsicher, aggressiv, verlogen? Wenn sich Eltern über ihre schlimmen Kinder aufregen, ist ihnen oft nicht bewusst, wie viel von diesem schlechten Benehmen sie selbst gesät haben.

Baba Roga wird dich fressen
Letztens ging meine Mutter nach einem Arztbesuch die Straße entlang. Ihr Gesicht war nach einer Behandlung verbunden. Neben ihr gehen zwei Serbisch sprechende Mütter mit ihren Kinderwägen und versuchen, ihre Kinder ruhigzustellen. Der Versuch startet mit dem Satz: „Gledaj ovu tetu, ona jede djecu, ako ne budes dobar!“ (dt.: Schau dir die Tante an, sie frisst Kinder, wenn du nicht brav bist).
Dabei versuchten sie, meine Mutter zu überholen, damit das Kind ihr verbundenes Gesicht sehen kann. Auch dabei nichtsahnend,  bei der großen Anzahl an Ex-Jugoslawen in Wien, dass die Frau ihre Sprache verstehen könnte. Meine Mutter drehte sich um und fragte, ob das wohl ihre Methode sei, Kinder zu erziehen, ihnen zu erzählen, dass  sie von Menschen gefressen werden. Beschämt erhöhten die Frauen ihr Schritttempo und rauschten davon.
Fehlte nur noch, dass die Bezeichnung „baba roga“  – das sind alte schirche Hexen vom Balkan, die bösen Kindern das Fürchten lehren soll. Arme Kinder!

Für jede Frisur, ein Geschenk
Bei meinem letzten Frisörbesuch saß neben mir ein cica vierjähriges Mädchen. Der Frisör schnippelte an ihren zarten Haaren herum, der Papa redete ihr gut zu, wie brav sie ist und aus dem Hinterhalt kam die Mutter mit verpackten Geschenken. Zuerst dachte ich, dass es wohl ein Geburtstags-Cut sein müsste und die Geschenke dann beim Frisör überreicht werden. Was eigentlich auch schräg wäre, statt gemütlich zu Hause in geselliger Runde mit einer Torte voller Kerzen zu sitzen. Nein! Die Kleine wurde mit Geschenken belohnt, weil sie beim Frisör so brav war. Die Notwendigkeit des Haareschneidens wird ihr also durch Belohnung vermittelt. Ich saß da, dachte an meine häufigen Frisurwechsel und stellte mir vor, wie viele Geschenke ich wohl dafür bekommen hätte. NULL!
Und was folgt als Nächstes? Geschenk für gute Noten, fürs Zähneziehen und vielleicht irgendwann der Satz im Teenageralter: „Was kriege ich dafür, wenn ich das mache?“
Ein Fahrrad für meinen Volksschulabschluss? Ein Auto für die Matura? Und null Ansporn dafür, etwas zu tun, weil ich es für mich erreichen will, ohne eine Gegenleistung und materielle Anerkennung meiner Eltern zu bekommen.
Lernen wird das Kind vielleicht gut in der Schule. Vielleicht allerdings für das nächste Geschenk.

Aber was habe ich schon mitzureden. Ich habe keine Kinder. Und wenn ich sie mal habe, könnten sie die verwöhntesten Gören der Welt sein und kriegen Geschenke für die neue Frisur. Und andere, ohne Kinder, sollen sich dann ruhig aufregen.

 

von Ivana Martinović

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