„Die Herausforderungen, als ich geflüchtet bin, waren andere.“

06. Oktober 2020

Im biber-Interview erzählen Ehsan Ajdari und Luis Abanob William (beide ÖVP), warum sie auf Bezirksebene für Simmering kandidieren, wie es sich vereinbaren lässt, als Migrant für die Türkisen wahlzukämpfen und warum zugewanderte Menschen Deutsch lernen sollten, bevor sie arbeiten gehen.  

Von Naz Kücüktekin, Fotos: Eugénie Sophie

biber: Sie haben beide nicht gerade klassisch österreichische Namen. Was ist ihr Background?

William: Meine Eltern sind in den 80er-Jahren von Ägypten nach Österreich gekommen. Sie waren eher Wirtschaftsflüchtlinge, wurden aber auch religiös verfolgt, da sie Kopten sind. Ich bin in Wien im dritten Bezirk geboren und aufgewachsen. 2006 bin ich dann nach Simmering in einen Gemeindebau gezogen und lebe seitdem hier.

Ajdari: Ich bin ursprünglich aus Persien, aus der iranischen Stadt Schiras. Mit 16 Jahren bin ich mit meinem Vater und meinem Bruder nach Österreich, ins Burgenland, als Flüchtling immigriert. Meine Mutter kam dann fünf Jahre später nach. Ich wohne nun seit ebenfalls fünf Jahren in Wien, im 19. Bezirk. In Simmering arbeite ich aber und bin dadurch fast jeden Tag hier.

Ehsan Ajdari (links) und Luis Abanob William (rechts) (Foto: Eugénie Sophie)
Ehsan Ajdari (links) und Luis Abanob William (rechts) (Foto: Eugénie Sophie)

Sie sind beide keine Vollzeitpolitiker. Was machen Sie hauptberuflich?

Ajdari: Ich bin Bezirksmanager bei der Wirtschaftskammer Wien. Zusätzlich habe ich noch weitere ehrenamtliche Stellen. Ich bin seit 2012 Integrationsbotschafter beim Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF). Seit 2015 bin ich EU-Integrationsbotschafter und sitze auch im Vorstand vom Verband Österreichischer Wirtschaftsakademiker.

William: Ziemlich frisch, seit Februar, bin ich im Bundesministerium für Landwirtschaft, Tourismus und Regionen. Meine Aufgabe im Kabinett von Frau Köstinger ist es, dass ich sie bei parlamentarischen Fragen unterstütze, sowie bei Themen zu Wasser- und Forstwirtschaft. Davor habe ich im Kabinett des Finanzministeriums gearbeitet. Eigentlich habe ich aber Politikwissenschaften studiert. Ich versuche zurzeit auch den Master darin zu machen, zusätzlich zum Beruf ist das natürlich sehr herausfordernd.

Die Werte der ÖVP sind oder waren zumindest christlich-sozial geprägt. Wie lässt sich das mit ihrem Hintergrund vereinbaren?

Ajdari: Christlich-sozial heißt für mich Nächstenliebe und Demut, aber auch respektvoll miteinander umzugehen. Das ist etwas, das ich so durchaus unterschreibe. Ich bin jemand, der auch in der politischen Landschaft mit anderen respektvoll umgeht. Es sind nicht nur christlich-soziale Werte, sondern menschliche Werte und die vertrete ich.

William: Die ÖVP ist christlich, auch wenn das heutzutage nicht so im Vordergrund steht. Aber natürlich vertreten wir diese Werte. Ich bin gläubiger Christ und bin auch in meinen jungen Jahren mehr oder weniger durch die christliche Gemeinde zur Politik gekommen. Ich handle nach meinen christlichen Werten und Nächstenliebe ist etwas Wichtiges. Ich bin immer dafür Menschen zu helfen, das aber auch mit Vernunft.

Mit der ÖVP wird in letzter Zeit immer wieder Mitte-Rechts-Politik in Verbindung gebracht. Auch Spitzenkandidat Gernot Blümel hat schon öfter betont, dass er Mitte-Rechts-Politik machen will. Wo sehen Sie sich politisch?

Ajdari: In der Mitte. Für mich ist nicht die Frage, ob Mitte-Rechts oder Mitte-Links. Für mich ist die Frage, wie kann man mit Politik so gut wie möglich so viele Menschen wie möglich bedienen, ihre Ideen, Bedürfnisse und Anliegen tatsächlich umsetzen. Das ist meine Politik. Die ÖVP ist eine Partei, die für die Bevölkerung da ist.

William: Für mich eher eine Realitätspolitik. Wir haben in Wien mit der SPÖ und den Grünen eine Stadtregierung, die sehr links eingestellt ist. Das, was wir als Mitte-Rechts-Politik bezeichnen, ist, schlichtweg darauf aufmerksam zu machen, dass wir in unserer Bundeshauptstadt Vieles haben, was nicht gerecht abläuft. Von der Integration bis hin zur Sicherheitspolitik. Da hat Wien einen hohen Aufholbedarf.

Das Thema Flüchtlinge ist mit Moria wieder sehr stark aufgekommen. Die Bundes-ÖVP vertritt hier eine sehr klare Linie. Wie stehen Sie beide, als Menschen mit Fluchthintergrund, dazu?

Ajdari: Moria ist nicht das einzige Beispiel. Es gibt viele weitere Flüchtlingslager in Europa, aber auch in der Türkei oder in Afrika. Ich bin der Meinung, dass diesen Menschen geholfen werden sollte. Ich bin aber auch der Meinung, und das ist auch meine persönliche Sicht, dass man mit Hilfe vor Ort eine Masse von Menschen Unterstützung zukommen lassen kann. Ich denke, dass das, was momentan in Moria passiert, zeigt, dass es eine europäische Lösung braucht.

Ehsan Ajdari (Foto: Eugénie Sophie)

Das vertreten Sie auch als Person, die selber geflüchtet ist?

Ajdari: Genau. Die Herausforderungen, als ich geflüchtet bin, waren andere. Da gab es noch keine  Flüchtlingswelle nach Europa wie 2015. Es gab nicht derartige Kriege im Nahen Osten wie momentan. Damals waren die Fluchtgründe individuell, die nur einzelne Familien betroffen haben und nicht ein ganzes Land.  Ich bin sehr stolz darauf, dass Österreich bereits 2015 so viele Flüchtlinge aufgenommen hat. Und ich bin auch stolz darauf, dass so viel für die Integration dieser Menschen gemacht wird, also Sprachkurse, Wertekurse und so weiter. Als ich vor 16 Jahren hergekommen bin, hat es das noch nicht gegeben. Ich finde, es ist auch wichtig, zuerst mal die Menschen, die vor fünf Jahren nach Österreich geflüchtet sind, gut zu integrieren, bevor man wieder neue aufnimmt.

William: Ich bin da ganz hinter der Bundes-ÖVP. Das, was unser Bundeskanzler und die Bundesregierung machen, ist schon der richtige Weg und das richtige Zeichen. Wir haben in den letzten Jahren sehr viele Kinder aufgenommen. Das darf man nicht vergessen. 100 oder 200 Kinder nach Wien zu holen, um das Signal zu setzen: „Kommts nach Österreich, wir haben genug Platz!“, ist nicht der richtige Ansatz. Wir müssen als Europäische Union nicht immer den Kopf hinhalten. Natürlich haben wir die Verantwortung diesen Menschen zu helfen, aber da ist der richtige Ansatz, wie Ehsan schon gesagt hat, dass wir vor Ort helfen. Finanzielle Unterstützung ist hier der beste Weg, um einer breiten Masse zu helfen.

Unter dem Motto „Sicherer Hafen Simmering“ fordern Aktivist*innen der Liste LINKS im Vorfeld der Wien-Wahl die Aufnahme von Geflüchteten auch auf lokaler Ebene in Wien-Simmering. Wie stehen Sie dazu, Geflüchtete im Bezirk aufzunehmen?

Ajdari: Ich glaube, die Aufnahme von Flüchtlingen sollte vom Land und nicht vom Bezirk organisiert sein. Dadurch hat man ein besseres Management.

Was bedeutet es für Sie, gut integriert zu sein?

Ajdari: Für mich bedeutet es, dass man sich in Österreich heimisch fühlt, die Sprache kann, eine Leistung bringt und sich für das Land, das einen aufgenommen hat, einsetzt.

William: Also bei Integration kann man nur sehr schwer von gut und schlecht reden. Wenn man heute mit der Zeit vergleicht, als unsere Eltern nach Österreich gekommen sind, war damals Voraussetzung, dass sie arbeiten und ihre Steuern zahlen. Da war die Sprache nebensächlich. Dementsprechend haben unsere Eltern, oder zumindest meine, nach 30 Jahren in dem Land auch noch Probleme mit der Sprache. Deutsch zu sprechen ist ein Privileg. Deshalb machen wir den Fehler nicht mehr, Leute, die nach Österreich kommen, zuerst mal arbeiten zu lassen. Weil, woher sollen die Leute dann auch die Zeit haben, noch eine Sprache zu lernen?

Ajdari: Genau. Deutsch als Schlüssel zur Integration.

Sind Sie dann auch für einen Nachweis der Deutschkenntnisse für eine Gemeindewohnung, wie es Gernot Blümel verlangt?

William: Natürlich. Sprachbarrieren können zu vielen Problemen führen. Ich bekomme das oft bei mir zuhause mit. In Österreich wird schon jeder ein Dach über dem Kopf bekommen, aber für eine Gemeindewohnung müssen die Grundvoraussetzungen schon passen. Und das sind unter anderem die Deutschkenntnisse

Sie kandieren beide auf Bezirksebene für die ÖVP Simmering. Herr William auf Platz 5 und Herr Ajdari auf Platz 9.  Warum?

William: Das kam nicht unbedingt von mir aus, aber meine Leistung für die Bezirkspartei in den letzten Jahren war auffallend. Es sind dann Leute an mich herangetreten und haben gefragt, ob ich nicht kandidieren will und ich war nicht abgeneigt. Es war aber immer klar, dass ich nur antrete, wenn ich das Gefühl habe, etwas bewirken zu können und die entsprechende Unterstützung habe. Ich weiß auch, dass wir im Bezirk viele Baustellen haben. Es gibt ein massives Mobilitätsproblem, von der Verkehrsanbindung bis hin zur Wohnungssuche. In Simmering wird viel gebaut, aber man befasst sich nicht mit den Herausforderungen, die damit einhergehen. Ich setze mich für eine U3-Verlängerung bis nach Kaiserebersdorf ein. Das hat man den Menschen schon vor dreißig Jahren versprochen. Bis heute wurde aber nichts umgesetzt.

Ajdari: Ich habe tagtäglich mit der Simmeringer Wirtschaft zu tun. Da hat Simmering sehr viel zu bieten. Wir haben die längste Einkaufsstraße Wiens. Auf der anderen Seite gibt es die vielen Gärtnereien und Industrie. Für diese Bereiche habe ich mich in den letzten Jahren stark eingesetzt und wurde dann, wie beim Kollegen, auch gefragt, ob ich nicht kandidieren will. Mit großer Freude und Ehre habe ich zugesagt. Ich möchte mich im Bezirk aber auch über das Thema Wirtschaft hinaus befassen. In Simmering entstehen immer mehr Wohnungen, aber es gibt nicht genügend Infrastruktur für Fachärzte oder Hausärzte. Dasselbe gilt für Kindergärten und Schulen. Wenn Leute nach Simmering ziehen, sollten sie diese Infrastruktur vor Ort haben. Das möchte ich angehen.

Luis Abanob William (Foto: Eugénie Sophie)

Die ÖVP hat bei den Wahlen 2015 auf Gemeindeebene rund neun Prozent erreicht, in der Bezirksvertretung um die fünf Prozent. Wie sehen Sie Ihre Chancen am 11. Oktober?

William: Wir wollen keine Prognosen abgeben, weil wir es auch nicht abschätzen können. Aber wir gehen nicht davon aus, dass wir ein Wachstum von fünf auf zehn Prozent haben werden. Wichtig ist uns, dass wir den Trend von Zuwachs, der sich aus Statistiken zeigt, halten können.

Als Abschluss: Haben Sie für unsere Leser noch Simmering-Tipps?

William: Die Grünflächen in Simmering genießen.

Ajdari: Am Zentralfriedhof spazieren gehen. Klingt zwar komisch, aber es funktioniert.

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