Die Leiden des jungen Todor: Der Schnapsexperte

14. November 2011

Der Schotte hat seinen Whiskey, der Franzose seinen Wein, der Russe seinen Wodka und der Österreicher seinen Almdudler. Wir, die Balkanesen, haben unseren Rakija. Ich weiß nicht, in welchem Balkanland dieser hochprozentige Schnaps zuerst gebrannt wurde.  Auf jeden Fall kam der Rakija im 16. Jahrhundert durch die als nicht so große Alkoholliebhaber bekannten Osmanen auf den Balkan. Das Wort „Rakija“ stammt aus dem Arabischen „Arak“, woraus sich auch der Name vom türkischen Nationalgetränk „Raki“ leitet.  Im Gegensatz zu den Türken und den Griechen aber, verwenden die südslawischen Völker nicht so gerne Anis, um ihren Schnaps zu verfeinern.

Rakija aus allem Egal ob aus Zwetschken, Trauben, Marillen, Birnen oder Äpfeln – Rakija kann man aus allen möglichen Früchten brennen. Mitte der 90er-Jahre wurden in Bulgarien Orangen als Entwicklungshilfe verteilt und einige Bezirke wurden berühmt mit ihrem außerordentlich guten Orangenrakija. „Man kann Rakija aus einem Sessel machen“, meint mein Onkel, „man braucht nur genug Zucker“.  In fast jeder Familie auf dem Balkan gibt es einen Opa oder einen Onkel, der ein großer Spezialist in Sachen Schnapsbrennerei ist. Mein Onkel Ilko produziert jedes Jahr Hunderte von Litern aus dem Zeug. Gebrannt wird der Rakija im Keller seines Freundes Pantscho in einem ehemaligen Boiler, der als Destillationsanlage dient. Solche „Brennereien“ soll es mehr als 9000 in Bulgarien geben.  Vor dem EU-Beitritt meines Heimatlandes war die größte Angst der Bevölkerung, dass man neben der Kuttelflecksuppe das Brennen von hausgemachtem Alkohol verbieten werde, was Gott sei Dank nicht passierte. Sonst hätte man mit einem Aufstand rechnen müssen.  

Hochprozentig Eine Flasche Industrierakija aus dem Supermarkt hat normalerweise um die 40% Alkoholgehalt. Ein echter Schnapsbrenner wie mein Onkel Ilko meint, dass guter Rakija nicht weniger als 50% beinhalten soll. Jedes Mal, wenn mein Onkel Gäste aus dem Ausland bekommt, werden sie einem kleinen Test unterzogen. Sie müssen einen „kleinen“ Rakija von 5 cl trinken, ohne das Gesicht zu verzehren. Falls der Gast den Test übersteht, ist er immer wieder willkommen. Falls er aber beim Trinken auch nur eine Miene verzieht, wird er als eine nicht vertrauenswürdige Person eingestuft und darf nie wieder mit meinen Verwandten auf einem Tisch sitzen.

Schnaps-Gourmet Meine Freundin Tanja aus Österreich, die mich diesen Sommer in Bulgarien besucht hat, hat den Test gut bestanden. Sie bekam sogar als kleines Geschenk eine kleine Flasche vom besonderen Marillenschnaps meines Onkels. Neulich besuchte ich Tanja in Wien, die eine kleine Geburtstagsparty veranstaltete. Nach dem köstlichen Abendessen stellte Tanja die Flasche meines Onkels auf den Tisch. Sie hatte sie tatsächlich mehr als einen Monat bei sich zu Hause gehabt – in meiner Wohnung verschwindet Alkohol auf wundersame Weise innerhalb weniger Stunden. Das Fläschchen machte eine Runde zwischen Tanjas Gästen. Jeder roch daran und einige wenige trauten sich sogar einen Schluck zu nehmen. Irgendwann erreichte der Marillenrakija auch mich. Ich goss mir einen „kleinen“, also 5 cl. in meinem Glas ein. Ich trank meinen Rakija genüsslich in kleinen Schlucken und alle starrten mich an. Plötzlich kam Bewegung in den Raum. Die Mitbewohner von Tanja standen auf und verschwanden in ihre Zimmer. Jeder kam zurück mit einer Flasche in der Hand. „Und was hältst du von diesem Rakija?“, fragten sie mich. „Ich hab sie mir aus Serbien/Rumänien/Kroatien /Mazedonien gekauft“. Ich gab zu jeder Sorte meine Expertenmeinung, die immer weniger überzeugend wirkte, da ich nach dem vierten „kleinen“ kaum mehr gerade sitzen konnte. 

 

Normalerweise, wenn die Balkanesen aus verschiedenen Ländern zusammenkommen, beginnen sie zu streiten, wer den besten Ćevapi oder wer den besten Börek machen kann. Und natürlich wer den besten Schnaps brennen kann. Natürlich können wir Bulgaren den besten Schnaps brennen. „Der Schnaps meines Onkels ist der beste, den ich kenne“, sagte ich mit der größten Überzeugungskraft, zu der ich fähig war. Und heimlich dachte ich: Es wäre viel besser für mich gewesen, wenn wir, die Balkanesen, mit dem Ayran als unser Regionalgetränk prahlen würden. Besonders am nächsten Morgen.

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