Die Leiden des jungen Todor: Sonntagmorgen

29. Oktober 2010

Winston Churchill hat angeblich mal gesagt, dass Europa da endet, wo die Menschen anfangen Kuttelflecksuppe zu essen. Ein anderer, namenloser Klassiker meinte, dass der alte Kontinent an der Wiener Landstraße aufhört.

 Von Todor Ovtcharov.

Seit einem Jahr gehen ich und mein Freund Anton jeden Sonntagmorgen in den türkischen Imbiss nebenan im 20ten. „Zwei mal Iskembe?“, fragt der schnurrbärtige Verkäufer. Zwei Mal Kuttelflecksuppe. Mit sehr viel Knoblauch. Ein schöner Weg seinen Tag zu beginnen. 52-mal im Jahr. Die Kuttelflecksuppe, oder auf Türkisch die Iskembe corbasi, ist eine der Lieblingsspeisen der Bevölkerung von Anatolien bis zu den Karapten. Die Hauptzutat ist ein Tiermagen, meistens vom Rind, aber in christlichen Balkanländer auch vom Schwein. Der Magen wird mehrere Stunden gekocht, bis er weich wird. Manche entfernen die Kruste des Magens – die Innereien werden „gereinigt“. Allerdings gibt es die Geschichte vom osmanischen Sultan, der sich incognito unters Volk gemischt hatte. Er besuchte ein Gatshaus. Das Iskembe, das er dort aß, schmeckte besser als alles, was er zuvor gegessen hatte. Er beauftragte seinen Hauptkoch mit der Mission das Geheimnis dieses außerordentlichen Geschmacks zu enthüllen. Der Koch wusste, dass sein Iskembe dem Sultan nie so gut schmecken würde. Mit Angst um seinen Kopf begab er sich in das Gasthaus, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen und bald kannte er es: In diesem Lokal, wird der Rindermagen nicht gereinigt. Das, was das Tier vor dem Tod geggessen hatte, wurde mitgekocht.

 

Kutteln sind Kult
Nachdem der Magen gut gekocht wird, schneidet man ihn in kleinen Stücken. Es gibt verschieden Variationen der Suppenbindung. Manche verwenden Joghurt, andere Milch. In einige Regionen brennt die Flüssigkeit mit Mehl, rotem Pfeffer und Butter ein, anderswo werden die Hufe des Tieres dazugegeben. Am Ende wird alles mit Essig oder Zitrone und Unmengen von scharfen Pepperonis und Knoblauch verfeinert. Legenden nach soll die Suppe als Aphrodisiakum dienen. Bei mir hat es bisher nicht so gut fuktioniert. Ich kenne leider keine Frauen, die von dem unbeschreiblichen Duft der Mischung von Innereien und Knoblauch geil werden.
Die bulgarischen Rapper „Upsurt“ landeten vor ein paar Jahren einen
Riesenhit mit dem Song „Sonntagmorgen“ oder „Bier und Iskembe“. „Statt Neskaffee, frühstücke ich Bier und Iskembe“, wird da gesungen. Manche Kulturen frühstücken Brotaufstrich, andere Innereien. Manche verwenden Bier um betrunken zu werden, andere um wieder zu ernüchtern.

 

Sonntagsausflug nach Kleinasien
In unserem Iskembe-Lokal ist die Zeit stehengeblieben. Man soll es nicht besuchen, wenn man es eilig hat. An die Wand hängen Bilder von der Diyarbakir-Festung, die von der osmanischen Regierung als Gefängins für die politischen Häftlinge im 19. Jahrhundert verwendet wurde. Einige der größten slawischen Volkshelden durften sie besuchen. Wir versuchen uns auf deren Platz vorzustellen. Wozu die Eile, wenn du dein restliches Leben tief in Kleinasien verbringen musst?

 

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