Die Leiden des jungen Todor: Wohnst du noch oder lebst du schon?

29. September 2010

„Dein Sohn wohnt in einem Schrank“, schrieb mein Vater in einer SMS an meine Mutter. Er besuchte mich in Wien und durfte meine Wohnung besichtigen.

Von Todor Ovtcharov

Es ist nicht leicht in Wien eine Wohnung zu kriegen. Als ich hierher kam, versuchte ich einen Monat lang vergeblich ein WG-Zimmer zu bekommen. Ich machte zahlreiche Interviews durch, in denen ich Studenten erklärte, wie nett ich bin, dass ich koche, putze, nicht rauche und Witze erzähle. Irgendwann erfuhren sie aber, dass ich aus Bulgarien kam und dann waren die ganzen Anstrengungen vergebens. Und irgendwann später war ich am Rande der Verzweiflung. Ich lebte damals im Keller von Bekannten meiner Familie. Das Rohr des Toilettenabflusses verlief 20 Zentimeter über meinem Kopf und jeden Morgen hörte ich ganz genau, was die Familie am Abend zuvor gegessen hatte. Die zwei pubertierenden Töchter drängte es in die Disko und ständig stritten sie mit der Mutter. Ich war eindeutig fehl am Platz.

 

Mein Schrank in der Pizzabude

Zum Glück traf ich Stoyan. Er arbeitete als Lieferant in einer Pizzeria im 7. Bezirk. Die Eigentümer der Pizzeria – drei Brüder aus Bangladesch namens Schamim, Schabir und Schumann – vermieteten den Nebenraum der Pizzeria. Stoyan und ich zogen ein. Ich war so glücklich, dass ich endlich etwas Eigenes hatte. Es interessierte mich nicht, dass ich in einem Schrank, einer an der Decke befestigten Konstruktion, schlafen musste. Die Souterrainlage meiner Wohnung machte es dem Tageslicht besonders schwer, meinen Schrank zu erreichen, darum öffnete ich meine Augen meist auch erst mittags. Wir hatten keine Heizung und kein warmes Wasser.

Schamim, Schabir und Schumann wohnten mitsamt ihren Familie nebenan – zu zwanzigst auf siebzig Quadratmetern. Sie besaßen insgesamt drei Pizzarias in Wien und hätten sich eigentlich etwas viel Besseres leisten können. Aber sie waren Platzmangel gewöhnt und sparten wohl auf etwas Geheimnisvolles. Heute lebt die ganze Familie in London. Ob sie es da geräumiger haben, weiß ich nicht.

 

Leerer Raum, voller Kopf

Ich brachte aus Sofia fast keine persönlichen Gegenstände mit. Nur mein „1001 Nacht“-Buch und ein Foto von der Katze Liubka. Meine Freundin Laura machte genau das Gegenteil. Sie kam aus einem Dorf in der Nähe von Mannheim und ließ sich ihr ganzes Zimmer nach Wien transportieren, als sie hier zu studieren begann. Sämtliche Fotos, Pflanzen, Kerzen und Lampen verliehen dem Raum eine besondere Romantik. Ehrlich gesagt hatte ich so etwas nicht einmal in Sofia gehabt. Nur drei Poster der Bands „Totale Penner“, „Hühnerkopf“ und „Sonderschule“, deren Musik ich mal früher gemocht habe zierten meine Wände. Dennoch hatte ich es leichter als Laura, meine Heimat mitzunehmen. Ich brauchte keine Gegenstände. Alles war in meinem Kopf.

 

Die nackte Heimat

Ein Freund von mir meint, dass die Heimat jener Ort ist, wo du nach einem Bad ohne Hemmungen nackt durch deine Wohnung laufen kannst. Man weiß nicht, was Heimat ist, solange man sie nicht verlässt. Obwohl ich das Ganze natürlich mit Humor betrachte, bleibt immer auch ein kleines bisschen Traurigkeit.

Ein Jahr lang lebte ich in meinem Schrank. Es war dunkel, wir hatten keine Heizung und kein warmes Wasser. Um mich zu duschen, wärmte ich Wasser in Kochtöpfen. Aber ich war glücklich, weil ich zu Hause war.

Kommentare

 

...von todor: "man weiß nicht was heimat ist, solange man sie nicht verlässt". gefällt mir. Jeder, der wirklich sein Land verlassen hat, kann es nachvollziehen. Kommt mir bekannt vor... ; )

Anmelden & Mitreden

1 + 10 =
Bitte löse die Rechnung