Die Wochenendkrieger

08. Oktober 2014

Rund 60 Austro-Dschihadisten kämpfen auf der Seite der Terror-Islamisten in Syrien. Die Medien sind alarmiert, die Politik setzt Aktionen. Kriegstourismus made in Austria ist aber nichts Neues: Schon in den 90er-Jahren kämpften Tausende Gastarbeiter mit österreichischem Pass in den Balkankriegen. 

Von Tyma Kraitt und Anna Thalhammer

 

„Ich muss da hingehen und kämpfen – für Allah, für meine Brüder und für mein Land, an das ich glaube“, sagte damals der Austro-Bosnier Emir (18). Seine Eltern konnten ihn trotz gutem Zureden nicht davon abbringen. Wenige Tage später war er verschwunden.

Das klingt nach einer klassischen Geschichte eines radikalisierten Jugendlichen, der wie aktuell 60 Österreicher für die Terrormiliz IS in den Krieg nach Syrien ziehen will.

Emir ist aber kein Dschihadist – das Land, für das er sich opfern wollte, war nicht das vermeintliche Kalifat. Der Wiener Automechaniker (heute 41) kämpfte vor 22 Jahren im Jugoslawienkrieg auf bosnischer Seite für eine paramilitärische Einheit – in den Ferien und mindestens zwei Mal im Monat am Wochenende für knapp ein halbes Jahr. „Das war völlig normal“, erzählt er. „Tausende, die was auf sich gehalten haben, sind runter auf den Balkan. Und auch Österreicher haben die Truppen unterstützt“, erzählt er „biber“.

 

Wochenendtrip zur Ustascha

„Stimmt“, bestätigt auch ein hochrangiger Bundesheer-Soldat, der damals in verdeckter Mission unter den „Foreign Fighters“ auf kroatischer Seite am Balkan unterwegs war und lieber anonym bleiben möchte. „Es gab damals wirklich tausende Wochenendkrieger mit österreichischem Pass, die am Freitag mit den Gastarbeiterbussen runter fuhren und am Sonntagabend wieder rauf, um am Montag pünktlich in der Arbeit zu stehen“, erzählt er. „Wien war eine Drehscheibe. Es war gang und gäbe, jeder wusste es, interessiert hat das niemanden.“

Österreichische Muslime kämpften auf bosnischer Seite, die Serben hatten Beistand von den vielen schon vor dem Krieg ausgewanderten Gastarbeitern – und die Kroaten bekamen tatkräftige Unterstützung von Neo-Nazis, die sich auf die Seite der rechtsradikalen Ustascha schlugen. Vor allem Ultrarechte aus der ehemaligen DDR schätzten die Chance, einige von den ihnen so verhassten Kommunisten umbringen zu können. „Die österreichische Neo-Nazi-Szene war groß involviert, es organisierte sich aner alles über Deutschland, wo es eigene Trainingslager gab", erzählt Soldat R. 

So gut organisiert wie die Neo-Nazis waren die meisten Kriegstouristen aber nicht: „Die größeren paramilitärischen Truppen entstanden erst später im Laufe des Krieges, am Anfang gab es hauptsächlich Einzelkämpfer. Es lief sehr individuell ab, die Motive in den Kampf zu ziehen waren vielfältig: Weil sie dort Verwandte hatten; weil sie ihr Haus verteidigen wollten, das sie sich von ihrem Gastarbeiterlohn hart abgespart hatten oder weil sie endlich einmal jemand sein wollten. Denn die meisten der Foreign-Fighters mit Ex-jugoslawischem Migrationshintergrund wurden schon in Österreich geboren oder waren lange vor dem Krieg ausgewandert. Die wenigsten waren solche, die geflüchtet sind, wie man vielleicht glauben möchte“, erzählt Soldat R.

 

Bist du ein "Slabic"?

So war es auch bei Emir. Er wurde bereits in Österreich geboren, leistete gerade seine Wehrpflicht ab, als der Krieg 1990/’91 losging und dann 1992 in Bosnien ankam. „Ich fühlte mich der Heimat meiner Eltern immer schon sehr verbunden – fast mehr als Österreich. Ich verbrachte immer die Ferien unten und hatte dort viele Freunde“, erzählt er. Und die riefen ihn dann öfters an, erzählten vom Krieg, erzählten von den Gräueltaten der Serben, von Vergewaltigungen, erzählten von Verletzten und Toten. Sie drängten Emir dazu, zu kommen und zu helfen. Zuerst bittend, dann flehend, dann wütend. „Sie beschimpften mich als ,slabic’ (Anm. Schwächling), weil ich gemütlich in Österreich saß. Es war schlimm genug, dass ich hier immer nur der Tschusch war, der Loser. Ich wollte nicht auch noch der Feigling vor meinen Freunden sein, der einfach zuschaut, wenn Unrecht passiert“.

 

Kalaschnikov und Schnaps

An einem Septembertag stieg er dann am Ostbahnhof in einen Bus. Im Gepäck eine Kalaschnikov, die er sich besorgt hatte – und eine Flasche Schnaps zum Mut antrinken. Wenige Tage vorher hatte er abgerüstet und jetzt noch vier Wochen Zeit, bis er seinen neuen Job in der Autowerkstatt in Meidling anfangen würde: Perfekt für einen Urlaub vom Frieden. Seine Freunde hatten ihm schon die letzten Wochen erzählt, dass sie sich einer Gruppe angeschlossen hatten, die im Umland von Sarajevo kämpfte. Er solle nur kommen. „Es waren ungefähr 400 Leute, die dort mehr oder weniger gearbeitet haben. Wir waren eine Art Robin-Hood-Gruppe. Es gab einen Anführer und man konnte sich hocharbeiten. Am Anfang habe ich wichtige Leute herumgefahren, dann Serben-Häuser markiert, die wir ab und zu ausgeräumt haben. Ich habe dann aber schnell mit der Waffe arbeiten dürfen, weil ich vom Bundesheer noch trainiert war“, erzählt Emir. 

 

Das erste Mal jemand töten

Der junge Söldner war zwar geübt darin auf Objekte zu schießen, allerdings nicht auf lebende. „Das erste Mal wen umbringen ist wie das erste Mal Sex. Weißt eh, wenn du vorher so voller Adrenalin bist. Es war dann aber gar nicht so aufregend: Es hat geknallt, er ist umgefallen, das war’s. Ich hab den ganzen Tag darauf gewartet, dass irgendwas mit mir passiert. Aber nix.“ Wie viele Menschen er getötet hat, kann Emir nicht genau sagen: „Wenn sie umfallen, weiß man nicht immer, ob sie tot sind. Manchmal sind sie zu weit weg.“ Für getötete Feinde gab es in Emirs Einheit jedenfalls eine Belohnung. „Wenn du viele erwischt hast, gab’s sowas wie Orden, so eine Auszeichnung. Aber was Selbstgebasteltes (lacht). Das war manchmal schon recht schiach.“

 

In Wien fängt der Balkan an

Emir kämpfte fast ein halbes Jahr in einer der zahlreichen muslimischen Mudschahedin-Einheiten in Bosnien. Paramilitärische Gruppen gab es im Jugoslawienkrieg generell aber zahlreich: Auf Seiten der Serben gab es etwa die Tschetniks oder die Serbische Freiwilligengarde des Warlords „Arkan“, auf kroatischer Seite die Verbände Hrvatske Omrambene snage (HOS, Kroatische Verteidigungskräfte) und Hrvatsko Vijeé obrane.

Sie finanzierten sich hauptsächlich durch Spenden aus dem Ausland – und auch hier spielte Wien wieder eine Schlüsselrolle: „Man sagt ja: In Wien fängt der Balkan an. Unmengen an Kriegsgerät kam aus den ex-kommunistischen Nachbarstaaten wie Tschechien, Slowakei oder der DDR über Wien und dann über Kärnten ins Kriegsgebiet“, berichtet Soldat R. Grenzkontrollen seien kein Problem gewesen: „Wenn du nicht gerade einen Panzer aufgeladen hattest, hat sich keiner geschert. Im Laufe des Krieges und der Unabhängigkeit Sloweniens (Anm.1991) wurde es langsam schwieriger – aber auch nicht wirklich. Nehmen wir zum Beispiel Kroatien: Das wurde damals von den Amerikanern kontrolliert, die das Land unterstützten. Sagen wir so: Boote wurden nicht aufgehalten. Es war also kein Problem Waffen über den Seeweg einzuschleusen.“

 

Tradition des Wegsehens

Weil die Staatspolizei nicht besonders mit Nachdruck – aber doch – anfing unangenehme Fragen zu stellen und die Grenzkontrollen strenger wurden, nahm die Zahl der „Foreign Fighters“ aus Österreich mit Fortschreiten des Krieges ab – die Rückkehrer wurden dagegen mehr. Gekümmert hat man sich um die tausenden brutalen und teils traumatisierten Kriegserfahrenen nicht. Ebenso wurde gegen die mafiösen Strukturen, die durch den Waffenhandel entstanden waren, nicht vehement vorgegangen. Im Gegenteil: „Die Rückkehrer aus Jugoslawien haben sich vielfach diesen kriminellen Banden angeschlossen“, so R. Ein großes Problem, das nicht aufgearbeitet wurde. Die Rolle der österreichischen Volontäre im Jugoslawienkrieg bleibt im Dunklen: Genaue Daten und Informationen haben weder Verfassungsschutz noch Polizei, die damals anders strukturiert waren. Ebenso wenig ließ sich ein Experte oder Historiker auftreiben, der sich dazu äußern möchte – wissenschaftlich wurde kaum etwas aufgearbeitet. Österreich hat also eine lange Tradition im Wegsehen, wenn es um Kriegsgeschädigte und Traumatisierte geht.

 

Kalifat 2.0  

Oft sind es jetzt ausgerechnet die Kinder dieser Kriegsgenerationen, die vielfach mit der IS sympathisieren – stammen ihre Eltern doch aus zerrütteten Regionen wie Ex-Jugoslawien und Tschetschenien. Derzeit kämpfen rund 60 Austro-Dschihadisten für den Islamischen Staat (IS). Die genaue Zahl ist unbekannt. Die Anzahl der Sympathisanten unter Jugendlichen ist ein Vielfaches. Der österreichische Verfassungsschutz geht von ca. 40 Rückkehrern aus. Es bleibt verwunderlich: Warum waren Tausende in den 90ern kein Problem und wegen einigen Dutzend werden Gesetze geändert? Das Innenministerium beantwortet diese Frage folgendermaßen: „Damals waren die Rückkehrer viel mehr als heute, aber man hat jetzt ein anderes Problem: Das Phänomen der Foreign Fighters bezog sich früher ausschließlich auf das Kriegsgebiet. Von den Kämpfern aus Ex-Jugoslawien musste man in Österreich nicht befürchten, dass sie Terrorakte ausüben – das war nicht Teil der Idee. Heute ist das anders: IS kämpft nicht nur regional in einem Gebiet, sondern möchte die ganze Welt zum Kalifat machen.“ Eine bedeutende Rolle wird auch den Sozialen Medien zugeschrieben: „Sie lösen territoriale Grenzen auf. Die Propaganda in der virtuellen Parallelwelt ist hochwirksam. IS verbreitet so weltweit Grausamkeiten und fordert Menschen auf, dies nachzumachen. Darum ist es jetzt wichtig, strenge Maßnahmen gegen IS zu ergreifen. Von Prävention bis zu harten Strafen“, ist das Innenministerium überzeugt. Soldat R. fügt hinzu: „Die IS-Sympathisanten aus Österreich entstammen einer entwurzelten, frustrierten Generation. Das ist in erster Linie ein gesellschaftliches Problem, das nicht militärisch oder nur durch Strafen bekämpft werden kann.“ 

 

Am Ende verlieren alle

Wie erfolgreich diese Maßnahmen gegen die Austro-Dschihadisten sind wird man erst sehen. Im Jugoslawien-Konflikt führte erst der Frieden zum Ende des Kriegstourismus. Emir ist heute ein erwachsener Mann, Familienvater und noch immer Automechaniker. Zweiundzwanzig Jahre liegt sein Einsatz im Bosnienkrieg mittlerweile zurück. Doch losgelassen hat es ihn nie: „Solange Action war, denkst du nicht viel darüber nach, was du da eigentlich tust. Irgendwann siehst du aber, dass alles hin ist und wie viele Gräber es gibt. Da kannst du kämpfen so gut du willst. Du siehst: irgendwie hast du trotzdem verloren. Krieg tötet das Gewissen, die Seele und das Gefühl.“

 

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