„Es hat keinen Sinn, sich dauernd zu beklagen“

20. Oktober 2016

Staatssekretärin Muna Duzdar

Nach anfänglichen Mord- und Vergewaltigungsdrohungen haben sich selbst radikale Hassposter an Österreichs erstes Regierungsmitglied mit muslimischem Background gewöhnt. Staatssekretärin Muna Duzdar (SPÖ) über die verlorene Exotik des Morgenlandes, arabischen Humor und warum es nicht reicht nur zu sagen: „Menschen müssen sich integrieren.“



Von Zakarya Ibrahem, Sara Shehata, Simon Kravagna und Alexandra Stanic (Fotos)

 

biber: Frau Staatssekretärin, Sie sind jetzt seit fast einem halben Jahr im Amt. Wie haben die berühmt-berüchtigten Hassposter auf Sie reagiert? 
Duzdar: Die Tatsache, dass ich nicht nur einen Migrationshintergrund, sondern auch einen muslimischen Background habe, hatte zwei Folgen: Einerseits bekam ich sehr viel Zuspruch von vielen verschiedenen Seiten, andererseits auch sehr viele negative E-Mails und Hass-Postings. Viele davon waren gegen meinen religiösen Hintergrund gerichtet. Sehr beliebt waren Wortkombinationen mit dem Wort Musel-Irgendwas. Darüber hinaus gab es selbst Vergewaltigungsdrohungen und indirekte Morddrohungen. Mittlerweile ist aber der Hass sehr abgeflaut und das ist auch gut so.


Im arabischen Raum ist es ungewöhnlich, dass Frauen in der Politik tätig sind. Was hat Sie bewegt, in die Politik zu gehen?
Arabisch oder nicht Arabisch: In meiner Familie waren und sind die Frauen sehr stark. Generell war die Politik sehr lange sehr männlich geprägt und es ist auch in Österreich immer noch nicht einfach, sich als Politikerin zu behaupten. Genau dafür setzen sich Frauenorganisationen weltweit ein, sowohl in Europa als auch in den arabischen Ländern, wobei es dort natürlich schwieriger ist.


Was unterscheidet die arabische Muna Duzdar von der österreichischen Muna Duzdar? Wie sehr verändert die Sprache Ihren Charakter? Sind Sie emotionaler? 
Also viel Temperamt habe ich in beiden Sprachen (lacht). Arabisch ist eine Sprache, die aus sehr vielen Höflichkeitsfloskeln besteht und sehr blumig ist. Daher ist der Humor auch anders, weil es arabische Wörter gibt, die man nicht in einer anderen Sprache übersetzen kann. Im Deutschen bin ich direkter. Für mich ist die arabische Sprache einfach ein weiterer Zugang, Menschen und meine Umgebung zu verstehen. Das ist für mich das Schöne.


In letzter Zeit wird alles Arabische oft als Bedrohung empfunden. Wie arabisch dürfen Sie überhaupt sein, um nicht ihrer Karriere zu schaden?
Es stimmt leider, dass alles in einen Topf geworfen wird: Islam, Terror, Fundamentalismus, religiöser Fanatismus und die arabische Welt. Das macht vielen Menschen Angst. Das war nicht immer so. Als mein Vater in den 70er Jahren nach Österreich gekommen ist, war es etwas sehr Exotisches aus dem Nahen Osten zu kommen. Das Morgenland und die Vorstellung vom Orient waren etwas Abenteuerliches. Damals waren die arabischen Länder allerdings auch in einem ganz anderen sozialen und politischen Zustand.


Haben Sie selbst Diskriminierung erlebt?
In den späten 80er Jahren habe ich bemerkt, dass ich nicht zu der Mehrheitsgesellschaft gehöre. Kinder sind da total sensibel und bekommen sehr viel mit. Also habe ich schon relativ früh festgestellt, dass ich ein ausländisches Kind bin. Aber Kinder wollen dazugehören. Ein Kind möchte so sein wie alle anderen Kinder auch. Woran ich mich noch gut erinnern kann, ist, dass es außergewöhnlich war, dass wir so viele Geschwister waren.

Staatssekretärin Muna Duzdar


Viele syrische Frauen, die nach Österreich gekommen sind, haben es schwer, hier ein modernes Rollenverständnis anzunehmen. Was kann man da tun?
In der Integrationspolitik ist es wichtig, einen sehr starken Fokus auf Frauen zu legen. Denn dadurch lernen Frauen schneller die Sprache und können auch leichter einen Job finden. Wenn man das geschafft hat, ist vieles schon getan, weil sich das Verhalten und die Integration der Frau auf die Kinder und die Kindererziehung sehr stark auswirken. Eine selbstbewusste, aufgeklärte Mutter erzieht auch willensstarke, integrierte Kinder.


Das mag stimmen, wird aber alleine auch noch nicht reichen, oder?
Ich möchte betonen, dass Integration aus zwei Seiten besteht und um diese zu ermöglichen müssen beide Seiten etwas bieten. Es reicht nicht nur zu sagen „Menschen müssen sich integrieren“. Denn wie sollen sie das schaffen, wenn keine Möglichkeiten bzw. Mittel geschaffen werden? Der Staat sollte mehr als nur Deutschkurse gewährleisten. Besonders für Frauen sind Frauenberatungsstellen und Familienberatungsstellen notwendig. Ebenso braucht es Kursangebote, bei denen über Familienplanung, Kindererziehung und Sexualerziehung gesprochen wird.


Viele Österreicher haben dafür wenig Verständnis. Sie wollen nicht, dass der Staat all diese Kurse und Beratungsstellen für Flüchtlinge zahlt und Probleme lösen muss, die in Afghanistan oder Syrien verursacht wurden. Auch die Mindestsicherung für Asylberechtigte ist auf Grund der hohen Kosten umstritten. Warum sollen der Staat und Österreich dies alles zahlen?
Weil diese Menschen jetzt hier leben und wir alles tun müssen, damit von Anfang an die richtigen Integrationsmaßnahmen gesetzt werden. Denn die gesamte Gesellschaft und das ganze Land haben Interesse an gelungener Integration der Flüchtlinge und genau deswegen ist es richtig, jetzt zu investieren. So wie es richtig ist, in Bildung zu investieren, ist es auch richtig, in Integration zu investieren. Es hat keinen Sinn sich dauernd zu beklagen. Wozu gibt es die Politik? Politik ist dafür da, die Gesellschaft mitzugestalten. Wir müssen daran arbeiten, dass die Integration am Arbeitsmarkt gelingt. Wenn wir jetzt in Integration investieren und uns das gelingt, erspart das viele Folgekosten, weil die Menschen auf eigenen Beinen stehen und zum System beitragen.

 

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