Euer Schutz ist unsere Angst
Hose runter, Hände hoch: Immer wieder werden Schwarze Menschen Opfer von racial profiling durch die österreichische Polizei. Der Wille nach Veränderung wird stärker, doch die Politik nimmt die Verantwortung nicht in die Hand.
Text: Anna Jandrisevits, Fotos: Zoe Opratko
Vor zwei Jahren wurde Chuka in der Längenfeldgasse festgehalten. Der 24-Jährige war auf dem Weg zum Bus, als ein Polizeiwagen vorbeifuhr und abrupt stehenblieb. Chuka sah kurz hin und ging weiter, als er bereits von einem Polizisten am Arm gepackt wurde. „Ich dachte mir, ich hätte nicht hinschauen sollen“, erinnert er sich. Die Polizei verlangte seinen Ausweis und durchwühlte seine Taschen. „Es hat sich angefühlt, als ob sie etwas bei mir finden wollten. Es war demütigend.“ Als Chuka fragte, wieso er kontrolliert wird, meinte der Polizist, sie hätten eine Personenbeschreibung erhalten. Sie fahnden nach einem Nigerianer. Solche von Racial Profiling geprägten Kontrollen sind Alltag für Schwarze Menschen in Österreich. „Wenn ich der Polizei nicht sofort antworte, fragen sie gleich, ob ich Deutsch spreche“, erzählt Lionel. Der 23-Jährige wird immer wieder kontrolliert, vor allem am Gürtel. Bei der U-Bahn-Station Josefstädterstraße hat ihn die Polizei mehrfach aufgehalten, er musste seinen Ausweis zeigen und die Taschen leeren. Wenn er sich beschwert, kommt es nur zu weiteren Problemen: „Ich will, dass sie mich in Ruhe lassen. Also mache ich, was sie von mir wollen.“ Auch Mac wird wöchentlich durchsucht, weshalb er an manchen Orten bewusst nicht stehen bleibt. Als müsse er als Schwarzer damit rechnen, an Plätzen wie dem Praterstern kontrolliert zu werden. „Man könnte mich mit einer versteckten Kamera am Praterstern hinstellen, ich würde garantiert innerhalb von 20 Minuten kontrolliert werden. Und die Leute sehen zu und denken, ich bin ein Drogendealer.“ Es frustriert Mac, aber er kooperiert. Ihm bleibe nichts anderes übrig. Wenn man sich wehren würde, wird es nur schlimmer.
Rassistisch motivierte Übergriffe der Polizei begleiten Schwarze Menschen in Österreich seit Generationen. In einer Studie der Fundamental Rights Agency aus dem Jahr 2018 wurden knapp 6.000 Schwarze Menschen aus 12 Ländern der Europäischen Union zu ihren Erfahrungen mit rassistisch motivierter Polizeigewalt befragt. Österreich schnitt deutlich schlechter als die meisten Länder ab: 63% der Befragten waren hierzulande im Zeitraum eines Jahres Opfer von Racial Profiling, 11% erlebten einen körperlichen Übergriff durch die Polizei. Die Zahlen sprechen für sich, trotzdem verschließt ein Großteil der Gesellschaft die Augen davor. Darüber zu reden hilft, aber nicht mit jedem, sagt Lionel: „Die Leute machen sich ihr eigenes Bild. Auch wenn du Dinge erzählst, die dir passieren, meinen viele, das kann gar nicht sein. Sie werten meine Erfahrung ab.“ Die Geschichten sind nicht Beweis genug. Wer von strukturellem Rassismus nicht betroffen ist, will oft nicht wahrhaben, dass er existiert. Für viele bleibt Österreich eine friedliche Traumwelt, in der es keinen Rassismus gibt, schon gar nicht bei der Polizei. Mac kann es nachvollziehen: „Für Weiße wirkt es so, als wären wir alle freie Menschen in einem freien Land. Sie sehen die Blicke nicht, wenn man in ein Geschäft reingeht. Sie sehen das Kopfschütteln von älteren Menschen nicht. Das Abchecken von oben bis unten.“ Als Chuka ein Kind war, hat seine Mutter ihm gesagt, dass er nicht so viel Zeit mit den Jungs im Hof verbringen soll. Er sollte in keine Probleme involviert werden, in keine Schwierigkeiten geraten. „Denn, wenn etwas passiert, bin ich der Schwarze. Ich bin der Sündenbock.“ Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Chuka nicht darüber nachgedacht, er war ein Kind. Seine Mutter warnte ihn, um ihn zu schützen. „Wenn ich heute daran zurückdenke, wird mir bewusst, dass ich schon damals gespürt habe, dass ich anders bin. Und das spüre ich immer noch. Die Leute lassen dich spüren, dass du anders bist.“
GEZOGENE WAFFE
Lionel war 20 Jahre alt, als er zum ersten Mal merkte, dass die Polizei ihn anders behandelt. Er war mit einem Freund im Auto unterwegs, als der Reifen platzte und die beiden in einen Verkehrsunfall verwickelt wurden. Niemand wurde verletzt und es passierte unmittelbar vor einer Polizeistation. „Wir dachten noch, wie praktisch das eigentlich ist.“ Die Männer saßen noch im Auto, als PolizistInnen aus der Station rannten und auf das Auto zustürmten. Sie zielten mit der Waffe auf Lionels Gesicht. „Sie haben geschrien, dass ich meine Hände sichtbar machen soll. Ich saß gefühlt ewig in diesem Auto, mit der Waffe vor meinem Gesicht. Ich stand unter Schock.“ Die beiden mussten aussteigen, wurden gegen die Wand gedrückt und schließlich in Handschellen zur Polizeistation gebracht. „Ich dachte, ich bin im falschen Film. Erst in der Station ist mir bewusst geworden: Wir wurden gerade verhaftet, weil wir einen Autounfall hatten.“ Die BeamtInnen redeten nicht mit Lionel und fragten ihn erst nach einer Stunde, ob sie die Rettung rufen sollten. „Ich habe immer wieder gefragt, warum sie uns festgenommen haben, aber niemand hat mir geantwortet.“ Irgendwann ließen sie Lionel und seinen Freund gehen. Als er nach den Dienstnummern fragte, wiesen die PolizistInnen ihn ab und rissen Witze. Als Grund für die Festnahme nannte die Polizei Verdacht auf Fahrerflucht. „Es war ein Autounfall. Würden sie auf jeden Autounfall mit gezogener Waffe und Handschellen reagieren? Hätten sie so reagiert, wenn zwei Weiße im Auto gesessen wären? Ich glaube nicht.“
WENIGE BESCHWERDEN
Lionel wollte eine Beschwerde einreichen, tat es aber nicht: „Ich dachte, das bringt mich nur in weitere Probleme. Es führt wahrscheinlich zu nichts.“ So denkt die Mehrheit: Dem Verein ZARA (Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit) wurden 2019 75 rassistische Übergriffe durch die Polizei gemeldet, aber in nur fünf Fällen konnten formale Beschwerden eingebracht werden. Der erhebliche Kostenaufwand, die mangelnde Sicht auf Erfolg und die Angst überwiegen bei den meisten Betroffenen. „Viele denken: Wenn ich jetzt zur Beschwerdestelle gehe, habe ich mich beschwert und vielleicht bekommt es jemand mit. Aber morgen werde ich wahrscheinlich wieder aufgehalten“, meint Chuka. Ab 2021 soll eine unabhängige Beschwerdestelle Vorwürfe von Polizeigewalt prüfen. Das Vorhaben ist im türkis-grünen Regierungsprogramm enthalten. Unter dem Titel „Gute Rahmenbedingungen für eine moderne Polizei“ sieht die Regierung eine „konsequente und unabhängige Ermittlung bei Misshandlungsvorwürfen“ vor. Auch intern dürften manche PolizistInnen auf einen Wandel pochen. So teilte der Wiener Landespolizeivizepräsident Michael Lepuschitz seinen KollegInnen in einem Brief mit, dass die Polizeispitze Misshandlungen nicht decken wird: „In solchen Fällen enden Verständnis und Schutz durch Vorgesetzte und Behörde.“ Chuka ist unschlüssig, ob sich etwas verändern wird: „Es ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Aber wir brauchen viel mehr. Rassismus und Polizeigewalt existieren seit Ewigkeiten, das kann man nicht so einfach aus dem System löschen.“ Für Veränderung bräuchte es die Politik. Doch die lässt Schwarze Menschen in Österreich im Stich.
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