Euer Schutz ist unsere Angst

02. Juli 2020

Hose runter, Hände hoch: Immer wieder werden Schwarze Menschen Opfer von racial profiling durch die österreichische Polizei. Der Wille nach Veränderung wird stärker, doch die Politik nimmt die Verantwortung nicht in die Hand.

Text: Anna Jandrisevits, Fotos: Zoe Opratko

Polizeigewalt
„ Black Lives Matter ist ein Lifestyle. “ - Chuka (Foto: Zoe Opratko)

 

Zieh die Hose runter!“, hört Mac den Polizisten mehrmals brüllen. Er steht mitten im Zug, alle Augen sind auf ihn gerichtet. Er fängt zu weinen an und schüttelt immer wieder den Kopf, es ist eine demütigende Situation. Aber der Polizist hört nicht auf zu schreien und schließlich tut Mac es. Er zieht die Hose und Boxershorts aus und lässt sich auf Drogen abtasten, während andere Reisende darauf warten, durchgehen zu können und ihn anstarren. Mac war auf dem Weg zu einem Festival, als die Polizei ihn und seinen Freund im Zug kontrolliert. Sie stellen das Zugabteil auf den Kopf, leeren sein Gepäck aus und versuchen sogar, seinen Radiorekorder zu zerlegen. Sie finden nichts, aber belassen es nicht dabei. Mitten im Zug muss sich Mac ausziehen und wird am Körper nach Drogen durchsucht. Er wird schikaniert. Erst danach lassen sie ihn gehen. Mac war damals 19 Jahre alt, mittlerweile sind 14 Jahre vergangen. Aber er erinnert sich, als wäre es gestern gewesen. Als George Floyd von einem Polizisten ermordet wurde, zeigte man hierzulande mit dem Finger auf die USA. Racial Profiling und Polizeigewalt wurden weitgehend als amerikanisches Problem abgestempelt. Dabei ist die Polizei auch in Österreich Teil eines von Rassismus geprägten Systems, in dem wir alle leben. Im Jahr 2019 gab es laut Bundeskriminalamt 317 Misshandlungsvorwürfe gegen PolizistInnen, bei denen Anzeige erstattet wurde. Die Anzahl der Vorfälle, die nicht gemeldet wurden, ist unklar. Während die Polizei propagiert, für die Sicherheit der Gesellschaft einzustehen, fühlen sich Schwarze Menschen vor niemandem so unsicher wie vor PolizistInnen. Und obwohl 50.000 Menschen auf den Straßen Wiens demonstrierten, bleibt es in der Politik weiterhin still. Das Problem lässt sich jedoch nicht mehr ignorieren, Black Lives Matter hat auch in Österreich viel zu sagen. Drei Männer erzählen ihre Geschichten und sprechen darüber, was sich endlich ändern muss.  
 
LEERE TASCHEN
 

Vor zwei Jahren wurde Chuka in der Längenfeldgasse festgehalten. Der 24-Jährige war auf dem Weg zum Bus, als ein Polizeiwagen vorbeifuhr und abrupt stehenblieb. Chuka sah kurz hin und ging weiter, als er bereits von einem Polizisten am Arm gepackt wurde. „Ich dachte mir, ich hätte nicht hinschauen sollen“, erinnert er sich. Die Polizei verlangte seinen Ausweis und durchwühlte seine Taschen. „Es hat sich angefühlt, als ob sie etwas bei mir finden wollten. Es war demütigend.“ Als Chuka fragte, wieso er kontrolliert wird, meinte der Polizist, sie hätten eine Personenbeschreibung erhalten. Sie fahnden nach einem Nigerianer. Solche von Racial Profiling geprägten Kontrollen sind Alltag für Schwarze Menschen in Österreich. „Wenn ich der Polizei nicht sofort antworte, fragen sie gleich, ob ich Deutsch spreche“, erzählt Lionel. Der 23-Jährige wird immer wieder kontrolliert, vor allem am Gürtel. Bei der U-Bahn-Station Josefstädterstraße hat ihn die Polizei mehrfach aufgehalten, er musste seinen Ausweis zeigen und die Taschen leeren. Wenn er sich beschwert, kommt es nur zu weiteren Problemen: „Ich will, dass sie mich in Ruhe lassen. Also mache ich, was sie von mir wollen.“ Auch Mac wird wöchentlich durchsucht, weshalb er an manchen Orten bewusst nicht stehen bleibt. Als müsse er als Schwarzer damit rechnen, an Plätzen wie dem Praterstern kontrolliert zu werden. „Man könnte mich mit einer versteckten Kamera am Praterstern hinstellen, ich würde garantiert innerhalb von 20 Minuten kontrolliert werden. Und die Leute sehen zu und denken, ich bin ein Drogendealer.“ Es frustriert Mac, aber er kooperiert. Ihm bleibe nichts anderes übrig. Wenn man sich wehren würde, wird es nur schlimmer. 

Polizeigewalt
„Ich bleibe an Orten wie dem Praterstern nicht stehen. “ - Mac (Foto: Zoe Opratko)

 

WEISSE BLINDHEIT
 

Rassistisch motivierte Übergriffe der Polizei begleiten Schwarze Menschen in Österreich seit Generationen. In einer Studie der Fundamental Rights Agency aus dem Jahr 2018 wurden knapp 6.000 Schwarze Menschen aus 12 Ländern der Europäischen Union zu ihren Erfahrungen mit rassistisch motivierter Polizeigewalt befragt. Österreich schnitt deutlich schlechter als die meisten Länder ab: 63% der Befragten waren hierzulande im Zeitraum eines Jahres Opfer von Racial Profiling, 11% erlebten einen körperlichen Übergriff durch die Polizei. Die Zahlen sprechen für sich, trotzdem verschließt ein Großteil der Gesellschaft die Augen davor. Darüber zu reden hilft, aber nicht mit jedem, sagt Lionel: „Die Leute machen sich ihr eigenes Bild. Auch wenn du Dinge erzählst, die dir passieren, meinen viele, das kann gar nicht sein. Sie werten meine Erfahrung ab.“ Die Geschichten sind nicht Beweis genug. Wer von strukturellem Rassismus nicht betroffen ist, will oft nicht wahrhaben, dass er existiert. Für viele bleibt Österreich eine friedliche Traumwelt, in der es keinen Rassismus gibt, schon gar nicht bei der Polizei. Mac kann es nachvollziehen: „Für Weiße wirkt es so, als wären wir alle freie Menschen in einem freien Land. Sie sehen die Blicke nicht, wenn man in ein Geschäft reingeht. Sie sehen das Kopfschütteln von älteren Menschen nicht. Das Abchecken von oben bis unten.“ Als Chuka ein Kind war, hat seine Mutter ihm gesagt, dass er nicht so viel Zeit mit den Jungs im Hof verbringen soll. Er sollte in keine Probleme involviert werden, in keine Schwierigkeiten geraten. „Denn, wenn etwas passiert, bin ich der Schwarze. Ich bin der Sündenbock.“ Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Chuka nicht darüber nachgedacht, er war ein Kind. Seine Mutter warnte ihn, um ihn zu schützen. „Wenn ich heute daran zurückdenke, wird mir bewusst, dass ich schon damals gespürt habe, dass ich anders bin. Und das spüre ich immer noch. Die Leute lassen dich spüren, dass du anders bist.“ 

Polizeigewalt
„ Die Leute werten meine Erfahrung ab.“ - Lionel (Foto: Zoe Opratko)

GEZOGENE WAFFE

Lionel war 20 Jahre alt, als er zum ersten Mal merkte, dass die Polizei ihn anders behandelt. Er war mit einem Freund im Auto unterwegs, als der Reifen platzte und die beiden in einen Verkehrsunfall verwickelt wurden. Niemand wurde verletzt und es passierte unmittelbar vor einer Polizeistation. „Wir dachten noch, wie praktisch das eigentlich ist.“ Die Männer saßen noch im Auto, als PolizistInnen aus der Station rannten und auf das Auto zustürmten. Sie zielten mit der Waffe auf Lionels Gesicht. „Sie haben geschrien, dass ich meine Hände sichtbar machen soll. Ich saß gefühlt ewig in diesem Auto, mit der Waffe vor meinem Gesicht. Ich stand unter Schock.“ Die beiden mussten aussteigen, wurden gegen die Wand gedrückt und schließlich in Handschellen zur Polizeistation gebracht. „Ich dachte, ich bin im falschen Film. Erst in der Station ist mir bewusst geworden: Wir wurden gerade verhaftet, weil wir einen Autounfall hatten.“ Die BeamtInnen redeten nicht mit Lionel und fragten ihn erst nach einer Stunde, ob sie die Rettung rufen sollten. „Ich habe immer wieder gefragt, warum sie uns festgenommen haben, aber niemand hat mir geantwortet.“ Irgendwann ließen sie Lionel und seinen Freund gehen. Als er nach den Dienstnummern fragte, wiesen die PolizistInnen ihn ab und rissen Witze. Als Grund für die Festnahme nannte die Polizei Verdacht auf Fahrerflucht. „Es war ein Autounfall. Würden sie auf jeden Autounfall mit gezogener Waffe und Handschellen reagieren? Hätten sie so reagiert, wenn zwei Weiße im Auto gesessen wären? Ich glaube nicht.“

WENIGE BESCHWERDEN

Lionel wollte eine Beschwerde einreichen, tat es aber nicht: „Ich dachte, das bringt mich nur in weitere Probleme. Es führt wahrscheinlich zu nichts.“ So denkt die Mehrheit: Dem Verein ZARA (Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit) wurden 2019 75 rassistische Übergriffe durch die Polizei gemeldet, aber in nur fünf Fällen konnten formale Beschwerden eingebracht werden. Der erhebliche Kostenaufwand, die mangelnde Sicht auf Erfolg und die Angst überwiegen bei den meisten Betroffenen. „Viele denken: Wenn ich jetzt zur Beschwerdestelle gehe, habe ich mich beschwert und vielleicht bekommt es jemand mit. Aber morgen werde ich wahrscheinlich wieder aufgehalten“, meint Chuka. Ab 2021 soll eine unabhängige Beschwerdestelle Vorwürfe von Polizeigewalt prüfen. Das Vorhaben ist im türkis-grünen Regierungsprogramm enthalten. Unter dem Titel „Gute Rahmenbedingungen für eine moderne Polizei“ sieht die Regierung eine „konsequente und unabhängige Ermittlung bei Misshandlungsvorwürfen“ vor. Auch intern dürften manche PolizistInnen auf einen Wandel pochen. So teilte der Wiener Landespolizeivizepräsident Michael Lepuschitz seinen KollegInnen in einem Brief mit, dass die Polizeispitze Misshandlungen nicht decken wird: „In solchen Fällen enden Verständnis und Schutz durch Vorgesetzte und Behörde.“ Chuka ist unschlüssig, ob sich etwas verändern wird: „Es ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Aber wir brauchen viel mehr. Rassismus und Polizeigewalt existieren seit Ewigkeiten, das kann man nicht so einfach aus dem System löschen.“ Für Veränderung bräuchte es die Politik. Doch die lässt Schwarze Menschen in Österreich im Stich. 

Polizeigewalt
Foto: Zoe Opratko

POLITISCHE VERÄNDERUNG
 
Ein Großteil der Black Community kann sich weder mit einer Partei noch mit ihren Forderungen identifizieren. Keiner der Männer fühlt sich von der österreichischen Politik repräsentiert. „Ich gehe wählen, aber nicht um eine bestimmte Partei zu unterstützen, sondern um andere zu verhindern“, meint Lionel. Es liegt vor allem an Black Lives Matter, dass sich nun viele mit dem strukturellen, systematischen Rassismus in unserer Gesellschaft und der Polizei auseinandersetzen. Der Aufruf zum Widerstand kommt von keiner Partei, sondern der Bewegung: Man protestiert, informiert, spendet und unterschreibt, wo immer es geht. „Black Lives Matter ist nicht einfach eine Redewendung, es ist ein Lifestyle“, so Chuka. Doch es fehle an der politischen Unterstützung: „Es gibt genug Menschen, denen das Problem bewusst ist und die bereit sind, etwas zu ändern. Aber wir brauchen eine Partei, die diese Verantwortung in die Hand nimmt.“ Die stv. Bezirksvorstherin des Ersten Bezirks, Mireille Ngosso, schlägt den selben Ton an: „Anti-Rassismus-Strategien müssen endlich politisch aufgegriffen werden.“ Es braucht eine Partei, die nicht nur Veränderung umsetzen kann, sondern auch will. Eine, die die Geschichten jener repräsentiert, die nicht gehört werden und für die Rechte von Schwarzen Menschen in Österreich eintritt. Nur so ließe sich Rassismus bekämpfen. Und Chuka glaubt daran, dass es möglich ist: „Wir haben nicht nur die Hoffnung, dass sich etwas ändern kann. Wir haben den Willen.“
 
WAS SAGT DAS MINISTERIUM?
Antworten von Christoph Pölzl, Ressortsprecher des Innenministeriums (BMI) 
 
BIBER: Wie viele Schwarze Menschen wurden 2019 von der Polizei festgenommen?
CHRISTOPH PÖLZL: Vom Bundesministerium Inneres werden keine Aufzeichnungen zu Festnahmen von Menschen einzelner Ethnien geführt. Eine derartige Unterscheidung ist gesetzlich nicht vorgesehen und würde überdies eine Diskriminierung darstellen. Die Achtung der Menschenwürde (§5) legt fest, dass Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei der Erfüllung ihrer Aufgaben alles zu unterlassen haben, das geeignet ist, den Eindruck von Voreingenommenheit zu erwecken oder als Diskriminierung auf Grund des Geschlechtes, der Rasse oder Hautfarbe, der nationalen oder ethnischen Herkunft, des religiösen Bekenntnisses, der politischen Auffassung oder der sexuellen Orientierung empfunden zu werden. Entsprechend gibt es auch disziplinarrechtliche Konsequenzen nach dem Beamten-Dienstrechtsgesetz, sollte ein Fehlverhalten einer Beamtin bzw. eines Beamten nachgewiesen werden.
Werden Vorfälle speziell ausgewertet, wenn diese mutmaßlich rassistisch sind?
Vorfälle werden nur anhand von Sachverhalten ausgewertet. Wenn Tatzusammenhänge ein rassistisches Tatbild erkennen lassen, dann werden die zuständigen Organisationseinheiten mit den Erhebungen und Ermittlungen beauftragt und die Ergebnisse der Staatsanwaltschaft berichtet. Das Sicherheitspolizeigesetz (§89) sieht ein besonderes Rechtsschutzverfahren zur Überprüfung der Einhaltung von Richtlinien vor der Dienstaufsichtsbehörde und in weiterer Folge vor dem Landesverwaltungsgericht vor.
Inwiefern arbeiten das BMI und die Polizei mit NGOs zusammen, um rassistischen Vorfällen vorzubeugen?
Im Programm des BMI „Polizei.Macht. Menschen.Rechte“ wurde der Dialog mit Vertretern der Zivilgesellschaft im Hinblick auf menschenrechtlich relevante Themen mit Berührungspunkten zu Polizei, initiiert und institutionalisiert. Zusätzlich gibt es hier das Bemühen um eine weitere Intensivierung des Dialogs insbesondere mit der Black Community. Auf zentraler (BMI) und dezentraler (Landespolizeidirektionen) Ebene wurden Dialoggremien eingerichtet, in denen zu menschenrechtlich relevanten Themen mit Berührungspunkten zur Polizei Empfehlungspapiere in einem partizipativen Prozess erarbeitet werden. Auf der Startseite des Intranets, das für alle Angehörigen des Ressorts zugänglich ist, findet sich das Handbuch der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte mit dem Titel „Ethnic Profiling erkennen und vermeiden“. Auch in der berufsbegleitenden Fortbildung der Polizei gewährleistet die Einbindung von externen Menschenrechtsexperten und NGOs einen hohen Standard der Bildungsmaßnahmen. 
 

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