Polit-Talk: „Wir haben nicht die Wahl.“
Stell dir vor, es sind Wahlen und ganz Oberösterreich darf nicht hin. Cem, Maria, Iva und Jan gehören zu den 1,4 Millionen Menschen, denen der Eintritt in die Wahlkabine am 9. Oktober verwehrt bleibt. Zu unserem biber-Polit-Talk sind sie herzlich eingeladen.
Von Emilija Ilić und Dennis Miskić, Fotos: Franziska Liehl
Das Gefühl zu haben, dass meine Stimme egal ist, tut mir weh. Es ist so, als wäre es Österreich vollkommen wurscht, ob ich hier bin oder nicht“, erklärt uns die 24-jährige Iva. Die Wienerin arbeitet in der Gastro und ist alleinerziehende Mutter. Die Einkommenshürde (siehe Infobox), die zu bewältigen ist, um für die österreichische Staatsbürgerschaft anzusuchen, ist für sie zu hoch: „Finanziell ist es einfach nicht möglich, dass ich mir das Geld für die Staatsbürgerschaft anspare“, so Iva, während sie an dem Schlauch in der Shisha-Bar „Faily‘s“ im 2. Bezirk zieht. Als kroatische und deutsche Doppel-Staatsbürgerin ist sie von der kommenden Bundespräsidentenwahl als auch von Nationalratswahlen in Österreich ausgeschlossen. Ja, sie darf bei EU und Gemeinderatswahlen ihre Stimme abgeben. Iva ist das als politisch engagierte Person lange nicht genug: „Mit längeren Wartezeiten oder den zahlreichen Dokumenten, die wir mehrfach nachreichen müssen, macht es Österreich einem schwer.”
Die Lebenssituationen von Iva und der drei anderen Talk-Teilnehmer:innen könnten unterschiedlicher nicht sein. Eines haben sie aber gemeinsam: Keiner von ihnen hat die österreichische Staatsbürgerschaft. Keiner darf den Bundespräsidenten am 9. Oktober wählen. In einem Land, in dem sie leben, arbeiten und Steuern zahlen, ist ihre Stimme nichts wert. Laut Migrationsexperten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gilt das heimische Staatsbürgerschaftsgesetz als eines der restriktivsten weltweit. Die Zahl der Österreicher:innen, die vom Wahlrecht ausgeschlossen werden, wächst. Heuer betrifft es schon 1,4 Millionen Menschen. Vor 20 Jahren waren es weniger als die Hälfte, rund 580.000. Wird in Zukunft nur eine kleine Elite wählen dürfen? Oder müssen sich die Nicht-Wähler:innen mehr bemühen, um in diesem Land mitzubestimmen?
Das höchste Gut
Mit dem Kurs, den die türkis-grüne Regierung fährt, ist vorerst keine Besserung in Sicht. „Die österreichische Staatsbürgerschaft ist ein hohes Gut und darf nicht leichtfertig vergeben werden“, heißt es seitens der ÖVP. Die Partei beharrt weiterhin auf ihrem Standpunkt, obwohl sie reichlich Kritik dafür erntet.
Jan betrachtet das Thema aus einem anderen Blickwinkel. Er ist vor 26 Jahren in Polen geboren und bald darauf nach Österreich gezogen. „Ich habe eigentlich keine Nachteile davon, außer dass ich nicht wählen darf. Der Aufwand war es mir bisher aber nicht wert, die Staatsbürgerschaft zu beantragen.“ Für ihn ist es sinnvoller, in Polen zu wählen. Dort ist das politische Klima angespannter als hierzulande. „Es zählt jede Stimme, um die Entwicklung des Landes voranzutreiben“, meint er. Auch wenn er den Bundespräsidenten nicht wählen darf, beschäftigt er sich trotzdem mit der österreichischen Politik.
„Ich habe das Gefühl, dass mein Weg zur Staatsbürgerschaft noch so weit weg ist. Je mehr ich mich mit ihr auseinandersetze, desto unerreichbarer scheint sie.“ Der 18-jährigen Maria fällt es schwer, am Wahlsonntag zu Hause zu bleiben. Wie soll sie während ihres Studiums so viel arbeiten, dass sie die Einkommensgrenze erreicht? In ihrer Situation ist es derzeit unmöglich, die Staatsbürgerschaft zu beantragen. Dass die Informationen so schwer zugänglich sind, frustriert sie am meisten. Ihren rumänischen Pass möchte sie schon lange ablegen. „Rumänien ist für mich ein Land, das ich ein paar Mal besucht habe, in dem ich vereinzelte Personen habe, die mir nahestehen. Aber ich verstehe nicht, warum ich dann dort die Politik mitentscheiden soll. Es betrifft mich nicht.“
Wählen ohne Staatsbürgerschaft?
Cem ist vor ungefähr vier Jahren nach Österreich ausgewandert. Seine deutsche Staatsbürgerschaft hindert ihn daran, sich an allen relevanten politischen Entscheidungen in Österreich zu beteiligen. Der 30-Jährige hat sich hier selbständig gemacht und ein Unternehmen aufgebaut. Er wird von der Politik ausgeschlossen, die direkte Auswirkungen auf sein Unternehmen hat. Trotzdem fühlt er sich von anderen Interessensvertretungen gehört. „Ich fühle mich von der Arbeiterkammer oder der WKO ganz gut vertreten. Meine Nationalität ist egal, sie vertreten auch die Rechte von Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft.“ Bei Gemeinderatswahlen und EU-Wahlen dürfen unsere vier Gäste mitmachen, bundesweit jedoch nicht.
Alle vier sind sich einig: So wie das Wahlrecht jetzt ist, kann es nicht bleiben. Die ideale Lösung: das Wahlrecht an den Wohnort koppeln und die Einkommensgrenze abschaffen. Jan betont, wie wichtig es sei, eine einheitliche Lösung auf EU-Ebene zu finden. Iva und Cem würden ihre Staatsbürgerschaften gerne behalten UND in Österreich wählen dürfen. „Politik hat immer einen direkten Effekt auf uns. Das Gefühl zu haben, nicht ausgeliefert zu sein, sondern mitentscheiden zu dürfen, wäre schön“, seufzt Iva. Ein Blick in die Gesprächsrunde zeigt bedrückte Gesichter. ●
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