Sie genießen ihre Freiheit

04. November 2013

Welcher Job glücklich macht, ist Typsache. Für die eine ist es die beste Krankenversicherung, für den anderen die Vereinbarkeit zum Papa-Sein und manche wollen einfach bloß keinen Bürojob. Vier junge Wiener erzählen über ihre Arbeit als Sachbearbeiterin, Journalistin, Schlosser und Freelancer.

Von Delna Antia und Susanne Enzenberger (Fotos)

 

„Ich bin nicht da, um zu arbeiten!“

Sandra Gottschall, 24, Sachbearbeiterin bei der BVA

 

Mit 21 zog Sandra von zu Hause aus. Sie bezog eine eigene Wohnung, wollte ihr eigenes Geld verdienen. Ihr BWL-Studium brach sie nach einem Semester ab, zu trocken, zu „buchhalterisch“. Heute arbeitet sie in der Buchhaltung der Versicherungsanstalt öffentlicher Bediensteter (BVA) und fühlt sich pudelwohl. „Ich könnte mir nicht vorstellen, ewig zu studieren und nichts zu haben.“

Sandra mag ihre Arbeit, sie hat ihren eigenen Sachbereich und Verantwortung. Sie beginnt um 7.30 Uhr, geht meist um 16 Uhr und trifft dann noch Freunde, oder spaziert durch ihren Lieblingsbezirk, den Ersten. Der Job ist nicht ihr Leben. Sie sei nicht auf der Welt, um zu arbeiten, sagt sie verschmitzt und nippt an ihrer Melange. Sandra reicht eine Visitenkarte: „My pretty curvy secrets“ steht darauf. Das ist ihr Hobby – ein Tagebuch-Blog, den sie schreibt. Auch Style ist ihr wichtig, sich schöne Dinge leisten zu können wie Ringe und Accessoires. „Wenn du für den Staat arbeitest, hast du alle zwei Jahre eine Gehaltserhöhung. Daher würde ich auch nicht in die Privatwirtschaft wechseln.“ Schon ihre Mutter arbeitete bei der BVA, ihr Vater war selbstständig. Das hat sie geprägt. „Selbstständigkeit wäre mir zu unsicher und ist vor allem in Österreich schwer.“ Daher waren die Kriterien bei der Jobsuche auch klar priorisiert: Sandra wollte einen sicheren Job, mit guter Krankenversicherung und der Gewissheit, auch nach der Karenz noch eine Arbeitsstelle zu haben. Denn trotz Heirats- und Kinderwünsche könnte sie sich nicht vorstellen, überhaupt nicht zu arbeiten. „Nur Blog schreiben verblödet ja auch“, lacht sie wieder verschmitzt.

 


„'Passt schon' gibt’s bei mir nicht!“

 

Maggie Childs, 27, stellvertretende Chefredakteurin und Managing Editor der „Vienna Review“

 

„Ich wollte Ballerina werden, doch dafür wurde ich zu groß. Also fragte ich mich: Worin bin ich noch gut? Geschichten erzählen, das konnte ich schon immer!“ Die Amerikanerin, die mit 11 Jahren von New York nach Wien umsiedelte, arbeitet seit zwei Jahren als Journalistin bei der „Vienna Review“, einer englischsprachigen Monatszeitung in Wien.

Ihr Publizistik-Studium hielt Maggie trotzdem nur genau eine Woche durch. „Super langweilig.“ Sie wechselte zur Philosophie und machte ihren Magister. Nebenbei begann Maggie ihre Journalistin-Karriere. Schon mit 19 schrieb sie für die amerikanische „Associated Press“ und landete gleich mit ihrem ersten Pressekonferenztermin eine Knüllerstory: Natascha Kampusch. Später sammelte sie Fernseherfahrungen – mit Kopftuch. Für den iranischen Sender „Press TV“ sprach sie die Nachrichten wohl verhüllt, doch im Zuge der Proteste 2009 wurde ihr der Job zu „heiß“.

Maggie ist ehrgeizig. Das spürt man, wenn man mit ihr im Archivraum sitzt, sie an ihrer Zigarette zieht und dabei einer Redakteurin am Handy den Storyaufbau erklärt. „Wir Amerikaner haben eine andere Arbeitseinstellung als Österreicher. Die 'Passt schon'-Mentalität gibt es bei mir nicht.“ Kein Wunder, dass sie in ihrem Job schnell aufstieg. 2001 fing sie als Redakteurin für das Stadtleben an, heute ist sie stellvertretende Chefredakteurin. Maggie arbeitet 50-60 Stunden die Woche. Sie liebt investigative Geschichten und mag das Gefühl, eine Nacht für eine Story aufzubleiben, damit die am Ende perfekt ist. „Wenn es mir im Job gut geht, geht es mir auch im Leben besser.“ Die Zukunftsziele sind klar: zurück zum Fernsehen, vielleicht auch New York-Korrespondentin. Was ist mit Geld? „Ich möchte reich genug sein, sodass Geld kein Thema ist. Und in New York kann man nur gut leben, wenn man reich ist.“

 

„Zurzeit habe ich den Papa-Trip!“

 

Erhan Kaya, 24, Metallbearbeitungstechniker

 

Seinen großen „Fußballer-Traum“ musste Erhan nach einer Verletzung am Sprunggelenk aufgeben. Jetzt will der Metallbearbeitungstechniker studieren. Für seine Schlosserlehre hatte Erhan sich per Zufall entschieden. Er brach mit 18 die HAK ab, wollte auf eigenen Beinen stehen, Geld verdienen. Die Mutter eines Freundes erzählte ihm von der freien Lehrstelle, Erhan sagte zu und schloss 2011 erfolgreich ab. Könnte er die Zeit zurückdrehen, wäre er lieber in Richtung Finanzwesen gegangen. Doch das will er studieren, Finanzen oder erneuerbare Energie, sobald er die Matura hat. „Ich bin auf Profit aus, stehe auf die Umwelt und ich hasse Schmutz!“, grinst er. So oder so, es soll etwas Zukunftsträchtiges werden. Noch vor einem Jahr spielte Erhan mit dem Gedanken an eine eigene Schlosserei, aber davon hat er sich inzwischen verabschiedet. „Die kleinen Firmen zerfallen, weil die neuen Regelungen für die Familienbetriebe  zu teuer werden. Deswegen muss man seine Zukunftsideen aktualisieren“, sagt er. Eine leitende Tätigkeit bei Siemens oder Bombardier könnte er sich heute vorstellen. Überhaupt, der junge Türke hat seine Zukunft bereits in jede Richtung durchdacht. „Alles Geld macht nicht glücklich – zurzeit habe ich den Papa-Trip!“, lacht er. „In zwei Jahren möchte ich meine Matura komplett absolviert haben, danach werde ich die Frau für’s Leben finden, heiraten und gemeinsam werden wir arbeiten.“ Erhan ist ein moderner Mann, was die Familienplanung betrifft: „Wichtig ist, die Kinder groß zu ziehen. Wenn sie das Geld verdient, würde ich zu Hause bleiben.“ Auch Hausbauen in Mödling steht auf der Liste – „mit eigenen Händen“.

 

 

„Ich genieße meine Freiheit“

 

Artur Zolkiewitz, 27, Karatetrainer, Model und freier Redakteur

 

Die längste Zeit, die Artur dieses Jahr in Wien gewesen ist, waren seine zwei Monate in der biber-Journalisten-Akademie. Zwei Monate am Stück, das ist für den 27jährigen Polen schon lang. Artur lebt gern frei und vielfältig. In Wien studiert er Publizistik und Kommunikationswissenschaften, daneben arbeitet er als Karatetrainer, er schreibt für biber und Polonika, ein polnisches Magazin. Auf der ganzen Welt modelt er. So war Artur dieses Jahr längere Zeit in Istanbul, in Tel Aviv, er pendelt ständig zwischen Wien und London. Dort baut er seine Model-Karriere weiter auf, er will investieren, Castings und Fotos machen, die Modeljobs sind in England deutlich besser bezahlt. Zudem leben seine Schwester und seine Freundin dort. „Auch wenn ich in London manchmal nichts verdiene, zurzeit kann ich mir nicht vorstellen, jeden Tag ins selbe Office zu gehen und die selbe Routine zu haben.“ Er mag die Vielfalt der Dinge, die er tut, und will nicht verzichten. „Wenn ich meinen Magister habe, möchte ich erst mal ein Jahr reisen, nach Mexiko, Süd- und Nordamerika. Ich will mehr modeln und mehr schreiben.“ Artur mag das Freelancen, die unterschiedlichen Menschen, die er dabei trifft, seine verschiedenen Welten: der Sport, die Uni, das Modeln und Schreiben. Aber Freiheit um jeden Preis will er nicht. „Ich bin kein Hippie!“ lacht er. „Ich plane alles, das muss ich! Oft suche ich die Uni-Seminare danach aus, ob es sie als Blockveranstaltung gibt.“ Immerhin ermöglicht das Reisen auch seine Beziehung. Seine Freundin arbeitet selbst als Model und so reisen die beiden gemeinsam, arbeiten und sind zusammen. Es wundert nicht, dass Artur sich für später besser die Selbstständigkeit als ein Leben als Angestellter vorstellen kann. „Ich genieße meine Freiheit, ich bestimme meinen Tag und kann kreativ für mich selbst sein. Ob hier in Österreich oder woanders. Viele sind nicht mutig genug, das zu machen.“ Und er ergänzt: „Ich habe einen Weg, den ich gehe. Aber ich kann immer abbiegen.“

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