Ukraine: „Es wird Partisanenkrieg geben“

04. März 2014

Familienvater, AutoMaidan-Aktivist, Terrorist und neuerdings Held. Oleksandr Kravtsov hat mit seinem Auto vor Janukowitschs Nobel-Villa in Kiew demonstriert und Vitali Klitschko im Gefängnis kennengelernt. Jetzt bedroht die Krim-Krise seinen Kampf um Freiheit und Wohlstand.

 

Von Maria Matthies und Alexey Furman (Fotos)

 

Noch vor wenigen Wochen stand Oleksandr Kravtsov lachend mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern auf den Trümmern des Maidan in Kiew. Er war einer der unzähligen Maidan-Aktivisten, die Viktor Janukowitsch und seine politische Elite nach blutigen Protesten vertrieben haben. Jetzt geht der Kampf um die Zukunft der Ukraine weiter - notfalls mit Waffengewalt, wie er selbst sagt.

 

„Sashko“ ist 30, hat ein Diplom in Physik und verkauft in seinem eigenen Unternehmen Heizungen. Als einer der Initiatoren von AutoMaidan fuhr er fast täglich nach der Arbeit hupend, mit Fahnen behängt durch Kiew und vor die Oligarchen-Paläste. Das war seine Art seine Unzufriedenheit mit dem Regime auszudrücken. Dafür wurde er von der Sicherheitspolizei, die Berkut, verprügel und vom Staat wegen Terrorismus angeklagt.

 

Nach Janukowitsch Flucht wurde seine Anklage fallen gelassen. Gewonnen haben Sashko und seine Mitstreiter aber nicht. Jetzt steht Russland vor der Tür und versucht das Land mit „Propaganda und Waffengewalt zu spalten“, wie er sagt und warnt Europa vor einer Flüchtlingskatastrophe.

 

biber: Eure Siegesfreude über Janukowitsch Absetzung hat nicht lange gehalten…

Oleg Kravtsov: Am meisten Sorgen macht uns gerade, dass Russland Krim okkupiert. Sie stellen uns als Nazis und Fremdenhasser dar, was wir nicht sind. Das ist reine russische Propaganda, die auch teilweise in die deutschen Medien überschwappt. Das ist ein Informationskrieg.

 

Wie schätzt du die Lage auf Krim jetzt ein?

Krim war eine ruhige Region bevor die russische Armee einmarschiert ist. Russisch sprechende Bewohner haben keine Probleme in der Ukraine. Alle meine russischen Freunde sind ukrainische Patrioten und bereit, mit Waffen die Unabhängigkeit zu verteidigen. Selbst die, die den Maidan nicht unterstützen, gehen freiwilligen zur ukrainischen Armee. Da diese aber weitaus schwächer ist als die russische, brauchen wir Diplomatie. Funktioniert das nicht, wird es einen blutigen Partisanenkrieg geben. Wenn Europa nicht Millionen ukrainische Flüchtlinge haben möchte, müssen sie uns helfen. Wir hoffen wirklich auf die europäische und amerikanische Unterstützung. Ungern erinnern wir uns an die Millionen Toten und Vergewaltigten als Russland 1939 in die Westukraine einmarschiert ist. Es gibt einen Witz auf Facebook: Bekämpfen wir Putin, kommen Putins Chef die Aliens und wir müssen auch diese bekämpfen. Wir sind einfach ein Land, das ohne Gauner-Autoritäten leben möchte, ganz normal mit Demokratie und demokratischen Wahlen.

 

Vor wenigen Wochen haben Demonstranten und Sicherheitskräfte noch gekämpft. Jetzt droht allen ein Krieg mit Russland.

 

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, mit Autos zu demonstrieren? 

Am 24. November protestierten Studenten, weil Janukowitsch das Assoziationsabkommen mit der EU nicht wie versprochen unterzeichnet hat. Daher heftete ich Flaggen auf meinen Daewoo, machte ein Facebook-Event und innerhalb kürzester Zeit fuhren hunderttausende Autos mit mir gemeinsam hupend durch Kiew. Jeden Tag machten wir die Runde, von sieben bis zehn Uhr abends, nach der Arbeit.

 

Wo seid ihr mit euren Autos hingefahren?

Anfangs durch das Regierungsviertel. Dann haben wir die korrupten Politiker und Polizisten vor ihren Privatresidenzen besucht und dort vor den Zäunen demonstriert. Wo die wohnen ist allgemein bekannt.

 

Was habt ihr vor diesen riesigen Palästen gemacht?

Wir haben demonstriert und Schilder mit Schweineblut hochgehalten, als Symbol für das bereits vergossene Blut der Demonstranten. Manche haben auch die Zäune angemalt. Ich nicht. In der Ukraine sind sie ziemlich streng mit Vandalismus und Sachbeschädigung. Wir haben auch bei den Nachbarn geläutet und diese aufgeklärt, was ihre Nachbarn verbrochen haben. Manche waren überrascht, interessiert und manche wussten bereits davon.

 

Wie reagierte die Regierung, die Polizei auf eure Demonstrationen?

Die Regierung und Janukowitsch schwiegen. Die Straßenpolizei konnte uns wenig anhaben. In Diskussionen hatten wir Aktivisten das Gesetz bei der Hand und konnten uns durchsetzen. Es ist nicht verboten mit Flaggen durch Kiew zu fahren. Daher haben sie versucht uns andere Delikte anzuhängen, wie Geschwindigkeitsübertretungen. Das passierte aber nicht direkt auf der Straße. Die Aktivisten bekamen Tage später einen Brief nach Hause, der sie wegen eines erfundenen Deliktes vor Gericht lud. In den letzten Wochen fürchteten wir Aktivisten vor allem die Berkut – die „Anti-Terror-Spezialeinheit“ der Regierung. Die sind halb militärisch, halb polizeilich, tragen Waffen, Schlagstöcke, Gas und Schutzkleidung wie Motorradfahrer. Sie gehen teilweise gewaltsam gegen Demonstranten vor, prügeln und verhaften sie und demolieren ihre Autos, um uns zu behindern und einzuschüchtern. In der letzten Demo-Woche wurden 60 Autos von Unbekannten verbrannt, wir vermuten, es war die Berkut.

 

Es war auch die Berkut, die dich verhaftet hat.

Ja, sie haben uns eine Falle gestellt. Wir benutzen AutoMaidan nicht nur zum Demonstrieren, sondern auch als Transport, um Verletzte ins Krankenhaus oder nach Hause zu bringen. Wir hörten, dass Autos von Aktivisten zerstört wurden und verlassen auf der Straße stehen und sind hingefahren, um nachzusehen was passiert ist. Das war eine Falle. Als wir langsam eine enge Straße entlang fuhren, schnitt die Berkut uns den Weg ab. Polizisten sprangen aus dem Bus und zerschlugen meine Frontscheibe. Sie zerrten mich und meine drei Mitfahrer aus dem Wagen und schlugen auf uns ein. Dann brachten sie uns in einen Park in Kiew, den sie als Basislager benutzten. Es war wie im Krieg, jede Partei hatte ihr Basislager: die Demonstranten den Maidan, die Berkut den Park. Ich musste meine Jacke, meinen Schal und Mütze ausziehen und bei -12°C eine Stunde lang auf dem Boden knien. Es war wirklich kalt.

Danach brachten sie mich ins Gefängnis, wo ein Untersuchungsrichter mich zu zwei Monaten Haft verurteilte, also bis zu meiner Hauptverhandlung. Die Anklage: Ich habe die Berkut geschlagen. An dem Tag kamen auch andere Aktivisten ins Gefängnis. Manchen von ihnen wurde so schwer zugesetzt, dass sie ins Krankenhaus mussten. Ein 75-Jähriger bekam die gleiche Anklage wie ich: Er soll die Berkut geschlagen haben. Auch weibliche Aktivistinnen wurden aufgehalten und verprügelt, danach aber sofort freigelassen und nicht verhaftet.

 

Wie war es im Gefängnis?

Erst schlugen sie mich, dann fragten sie mich: „Wie viel zahlen dir die Amerikaner, damit du gegen die Regierung kämpfst?“ Die Bosse reden den Polizisten jeden Tag neu ein, die Demonstranten würden von den Amerikanern bezahlt werden. Anfangs haben uns die Polizisten Angst gemacht, weil wir mit echten kriminellen im Gefängnis sitzen. Aber tatsächlich haben uns die anderen Häftlinge unterstützt und uns Essen, Tee und Kleidung gegeben. Für sie waren wir die Helden, weil wir ihre Gegner, die Berkut, geschlagen haben sollen. Die meisten Häftlinge in der Ukraine sitzen aus wirtschaftlichen Gründen, konnten Schulden nicht bezahlen oder haben Steuern hinterzogen.

 

Bei deiner Verhandlung hat dich Oppositionsführer und Box-Legende Vitali Klitschko besucht.

Das stimmt. Er machte den Witz, er könne das Gefängnis aufbrechen und mich raus bringen. Er ist wirklich sehr stark. Ich unterstütze Klitschko, er ist ein aufrichtiger Politiker mit einem aufrichtigen Herzen. Aber generell sehe ich kein starkes Team hinter ihm. Aber das ist das Problem bei allen Oppositionsparteien. Klitschko meinte auch, wir sollen den Maidan-Gedanken und die Proteste in den Gefängnissen verbreiten. Und tatsächlich: noch während meiner Haft diskutierten Häftlinge, ob sie lieber in einem europäischen oder russischen Gefängnis leben wollen würden. Unter Europa wären die Bedingungen, das Essen, die Hygiene besser und es gäbe Internet, dafür aber auch Disziplin. Man könne da nicht wie in den russischen Anstalten ewig schlafen und den ganzen Tag fernsehen.

 

Die Freude über den Sieg über Janukowitsch politische Elite währte nur kurz.

 

Wie hast du es aus dem Gefängnis geschafft?

Aufgrund der Amnestiegesetze durfte ich nach zwei Wochen nach Hause und stand unter Hausarrest. Das hieß, ich musste jeden Tag von acht Uhr abends bis sechs Uhr in der Früh zu Hause sein, ansonsten konnte ich untertags tun was ich wollte. Mein Fall hatte sich dann aber verschärft. Ich war kein Aufständischer mehr, sondern ein Terrorist. Mich erwartete eine Haftstrafe von 6 bis 15 Jahren. Untertags half ich weiterhin beim AutoMaidan, aber mehr in Koordination und Organisation. Ich wollte nicht aufhören zu kämpfen. Es ging schon lange nicht mehr nur um Europa, Russland oder auch nur um die Ukraine. Es ging um die Menschenwürde. Es gibt viele Probleme in unserem Land, aber ich möchte mit AutoMaidan helfen, das Land auf Neuwahlen vorzubereiten.

 

Wie ist deine Lage jetzt, da Janukowitsch nun weg ist?

Das Gericht hat meinen Fall geschlossen und mich komplett freigesprochen. Sie löschten auch alle Einträge im Vorstrafenregister. Ich bin nun frei und unbescholten. Aber die Gerichtsverhandlung war ein bisschen merkwürdig. Die Richterin fing an, verließ den Saal und war dann verschwunden für drei Stunden. Dann kam sie zurück, verkündete kurz das Urteil und lief weg. Wir haben uns sehr gewundert. Die Justiz ist verfault, wir wollen eine Säuberung von allen Funktionären. Polizisten gibt es noch auf der Straße, aber sie sind verängstigt. Die Leute der Bürgerwehren sind stärker. Der AutoMaidan kontrolliert die Straßen von Kiew.

 

Wie wird es weitergehen?

Bleiben wir stehen, kommt die Korruption zurück. Wir sind glücklich und stolz, dass wir den Präsidenten davon gejagt haben, aber die Revolution ist noch nicht fertig. Der Maidan kämpft weiter und er trauert um die Verstorbenen.

 

 

Info: Was ist AutoMaidan?

AutoMaidan ist Teil der Protestbewegung EuroMaidan in der Ukraine. Dabei blockierten beispielsweise Autofahrer die Straßen rund um den Unabhängigkeitsplatz in Kiew, den Maidan, um die Protestierenden zu schützen. Auch sind Teilnehmer von AutoMaidan mit ihren Fahrzeugen mit Ukraine-Flaggen durch die Städte gefahren und haben vor den Residenzen von Politkern und Oligarchen demonstriert. Seit Ende November protestierten hunderttausende Ukrainer gegen die Regierung unter Präsident Viktor Janukowitsch. Im Februar gipfelten die Proteste in einem Blutbad zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Hunderte Menschen sind ums Leben gekommen, tausende wurden verletzt.

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