"Wir sind eine gespaltene Community."

03. April 2015

Nicht integriert, radikal, gewalttätig. So liest, hört und reden die meisten über die Volksgruppe der Tschetschenen. Adam Biseav möchte das Image seiner Landsleute aufpolieren.


von Nour Khelifi

Tschetschene, Community, Wien, radikal
Foto by Susanne Einzenberger
„Wir sind in aller Munde, die Klischees fangen bei „gewalttätige Übergriffe“ und hören bei „Dschihadisten“ auf. Diese Vorurteile tragen wir immer noch mit uns rum, weil sich eben niemand öffentlich zum Gegenteil bekennt.“ Adam Bisaev hat ein Problem. Der gelernte Ingenieur für Bauwesen ist geborener Tschetschene und hat nur ein Ziel: Den Ruf der Community in Österreich zum Guten wenden. Ein schwieriges Unterfangen.

Bevor der Akademiker 2003 nach Österreich übersiedelte, war er als Stadtverwalter der Hauptstadt Grosny, danach in der Regierungsverwaltung in Tschetschenien tätig. In Österreich fasste er mit der Gründung eines Karateklubs Fuß, jedoch sei der Sport „immer nur nebenberuflich“ gewesen. „Seitdem ich hier lebe, beschäftige ich mich intensiv mit der tschetschenischen Community“, so Bisaev. Folglich gründete er den Verein „Toleranz“, der sich zum Ziel gesetzt hat, die tschetschenische Community aus einer positiven Sicht zu zeigen.
„Unzählige studieren, haben einen tollen Job, sind angepasst und integriert. Von denen hört oder liest man nie in den Medien“, bemängelt er. Deswegen müsse man sich mehr engagieren und auf positiver Weise laut werden, damit in puncto Medien das Image der Tschetschenen gebessert werden kann. Das tut er auch. Als Obmann sieht Bisaev „Toleranz“ als „eine Ausbildungs- und Beratungsstelle für Jugendliche und deren Eltern.“ Er selbst ist Vater von drei Kindern.

Sport zuerst
Die Politik Tschetscheniens versuche man in „Toleranz“ herauszuhalten, nur so könne der Verein existieren. „Wir sind eine gespaltene Community. Für oder gegen Russland, Freund oder Feind. Unter Tschetschenen herrscht konstantes Misstrauen“, so Bisaev. Der Dachverband, der sich aus einem Rat aus Tschetschenen und Inguschen, einer kleinen ethnischen Minderheit im nördlichen Kaukasus, zusammensetzt, besteht schon seit 2014. „Es war eine schwere Geburt“, sagt Bisaev und lacht, „dennoch sind positive Tendenzen bemerkbar.“ Vor kurzem fand eine Jugendkonferenz statt. Der Sport nimmt einen großen Stellenwert in der tschetschenischen Gesellschaft ein, vor allem die Sportarten Boxen, Ringen oder Fußball sind sehr beliebt.

Deswegen sollen Jugendliche mit ihren beeindruckenden Sportleistungen und nicht mit Tod, Terror und Kriminalität in Verbindung gebracht werden. „Wir müssen hier Fuß fassen, unsere Kinder erziehen, uns an die Gesellschaft anpassen und ihr auch etwas zurückgeben“, appelliert der Klubobmann an seine Community.

Tschetschene hilft Tschetschene
Der Schwerpunkt beim Verein „Toleranz“ ist das Gespräch mit den jungen Menschen. Der Clou daran: die Jugendarbeiter sind selbst Tschetschenen. „Es wird stets klassisch pädagogisch auf die Jugendlichen eingegangen und keinerlei Rücksicht auf ihre kulturellen Hintergründe genommen. Dann kommt man als Autoritätsperson nicht mehr infrage“, erklärt der Integrationscoach das Dilemma, wenn ein österreichischer Sozialarbeiter sich plötzlich mit innertschetschenischen Problemen konfrontiert sieht.

„Auf der einen Seite kennen wir die Denkweisen und Einstellungen der Jugendlichen und können damit kompetent umgehen. Auf der anderen Seite müssen wir alle fleißig und diszipliniert sein, uns gut präsentieren“, so der Klubobmann, der auch Veranstaltungen plant, um den Wienern die tschetschenische Kultur näher zu bringen.

„Bis jetzt hat jeder für sich gelebt und es wird wahrscheinlich auch etwas dauern, bis alle an einem Strang ziehen. Aber der Wunsch an Veränderung ist da“, sagt Bisaev voller Zuversicht. Sein Wunsch ist, dass die in Österreich lebenden Tschetschenen ihrem neuen Heimatort auch Dankbarkeit zeigen. „Wir leben hier in Sicherheit und Frieden, haben eine Unterkunft. Da ist es wichtig, dass wir durch unsere Leistungen Österreich etwas zurückzugeben.“

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