"Zum Bauchtanzen braucht man keinen Bauch."

26. Februar 2020

Der Orientalische Tanz ist bei Arabern genauso beliebt wie verpönt. Tanzlehrerin Shams erzählt von ihrem Weg zum Traumberuf Tänzerin und welche Hürden sie dafür überwinden musste.

Von Nada El-Azar; Fotos: Sophie Kirchner

Mysteriös, fesselnd, verführerisch und feminin. Spätestens seit dem Durchbruch von Shakira in den frühen 2000ern war der Orientalische Tanz, auch „Bauchtanz“ genannt, endgültig im globalen Mainstream angekommen. Seine Wurzeln liegen – wo auch sonst? – in Ägypten, und unumstritten wird er bis heute in den meisten arabischen Ländern als Teil des kulturellen Erbes anerkannt. So sehr aber der Orientalische Tanz von den Arabern geliebt wird – das Stigma gegen ihn wird immer größer. Denn Frauen, die auf der Bühne gekonnt das Publikum mit ihren Hüftschwüngen verzaubern, sind mit konservativen islamischen Werten nur schwer vereinbar. Wie sich dieser Widerspruch äußert, wird an der Geschichte von Shams deutlich.

Shams
Zu Shams liebsten Requisiten gehören diese wallenden goldenen Flügel, mit denen sie ihre Zuschauer leicht in den Bann zieht.

Shams heißt eigentlich Sham. Ein S hat sie ihrem richtigen Namen angehängt - und fertig war der perfekte Bühnenname. Shams – das bedeutet auf Kurdisch und Arabisch „Sonne“ – diesem Namen wird die junge Frau allemal gerecht. Ich traf sie an einem grauen, verregneten Tag in einem Wiener Café und es war, als würde die Sonne scheinen, als sie den Raum betrat. Ihre unglaubliche Bühnenpräsenz lässt im Alltag kaum nach. Mit ihren wallenden Naturlocken und ausgeprägtem Sinn für Humor ist sie schnell im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Tanzen = Prostitution?

Seit über 10 Jahren unterrichtet Shams Frauen jeden Alters in der Kunst des „Bauchtanzes“. „Die Bezeichnung ‚Bauchtanz‘ wird dem Ganzen eigentlich nicht gerecht“, sagt die gebürtige Irakerin und nippt an ihrem Chai Latte, „man tanzt ja nicht nur mit dem Bauch, sondern Hauptmerkmal des Tanzes sind die Hüften und der Beckenboden. ‚Bauchtanz‘ ist vom amerikanischen Belly Dance schlampig übersetzt worden.“

Seit frühester Kindheit war Shams fasziniert vom Orientalischen Tanz, tanzte und bewegte sich gerne zuhause zu orientalischer Musikund war getrieben von ihrem Wunsch, einmal auf der Bühne zu stehen. Aufgewachsen ist sie in Kärnten. „Ich spürte dort schon als kleines Kind eine bestimmte Beklemmung, da Klagenfurt keine Großstadt ist. Ich war ja immer ein sehr extrovertierter Typ“, erinnert sich die 35-Jährige. „Zuhause, hinter verschlossenen Türen, durfte ich natürlich alles machen, tanzen, singen und lustig sein. Aber in der Öffentlichkeit? Geschweige denn auf einer Bühne? Unmöglich!“. Tanzen ist im arabischen Kulturkreis etwas, das Frauen nicht vor Publikum tun sollten. Und gerade der Orientalische Tanz – mit den mit Münzen besetzten Kostümen, den langen fließenden Stoffen, den großzügigen Beinschlitzen und schillernden BHs – ist in dieser Hinsicht besonders verpönt. Eine Tänzerin zu sein wird in der arabischen Gesellschaft oft mit Prostitution gleichgesetzt. Doch das war nicht immer so.

 

„Hollywood“ des Nahen Ostens

Die ersten orientalischen Tänzerinnen zogen im 18. Jahrhundert in Gruppen, die Ghawazee genannt wurden, durch Ägypten und Europa. Aus dem Tanzstil der Wandergruppen entstand der heutige klassische Raqs Sharqi (dt. „Tanz des Ostens“), der vor allem in den 1940er bis 60er Jahren, im „goldenen Zeitalter“ des ägyptischen Kinos, in Filmen Eingang gefunden hat. Kairo war das Hollywood des Nahen Ostens. Um 1950 war die ägyptische Filmindustrie die drittgrößte auf der ganzen Welt nach der US-amerikanischen und indischen.

In Musicals und Komödien war der Tanz eine beliebte Unterhaltungsform für Männer und Frauen gleichermaßen. Es war normal, dass in den Filmen Frauen und Männer rauchend in einem Salon den Darbietungen der Tänzerin zusahen, die von Musikern begleitet wird. Mit Striptease kann man das nicht vergleichen. Durch namhafte Größen wie Samia Gamal oder Naima Akef wurden die Techniken und der Tanz im Film verbessert und aufgewertet. In den letzten Jahrzehnten ist die arabische Gesellschaft jedoch konservativer geworden: Die Politik, die um den Orientalischen Tanz seit Mitte des 20. Jahrhunderts betrieben wird, hat die Bewunderung für diese Kunstform in eine Art Hassliebe verwandelt. Einerseits darf auf keiner arabischen Hochzeit eine „Bauchtänzerin“ fehlen – aber wenn die eigene Tochter, Schwester oder Ehefrau den Tanz ausüben will, hört der Spaß auf.

 

„Ich wusste von diesen ganzen negativen Auswirkungen nichts.“

 

Shams
Shams verfolgte ihre Leidenschaft trotz der Widerstände aus ihrer Familie. Sie möchte anderen Frauen mit gutem Beispiel vorangehen.

Drohungen statt Förderung

Diese Erfahrung musste Shams machen, als ihre Familie auf Videos und Fotos im Internet stieß, in denen sie tanzte. „Ich habe das immer mit einem reinen Herzen gemacht. Der Tanz ist etwas so Schönes für mich und ich wusste von diesen ganzen negativen Auswirkungen nichts.“ Aus ihrer Familie kamen schnell Kommentare, Tanzen sei etwas für „leichte Frauen“ und Prostituierte. Der künstlerische Aspekt des Tanzes spielte an diesem Punkt keine Rolle, denn traditionell steht die Wahrung des Ansehens der Familie immer an erster Stelle. „Man kann sich nicht vorstellen, was ich für Anrufe, mitunter auch absurde Morddrohungen, bekommen habe. Ich war schockiert darüber, wie schlecht behaftet der Tanz war und wie wenig er als eigenständige Kunstform angesehen wird!“. Häufig wurden Familienmitglieder über Zweit- und Drittmänner kontaktiert, die Shams in ihrem Leben nie gesehen hatte. Oder selbst entfernte Verwandte übten mit allen Mitteln Druck auf ihren Vater aus, damit er gegen ihr Auftreten im Internet vorgeht. „In Europa fördern Eltern ihre Kinder und ermutigen sie, ihre Talente zu entfalten. Ich hatte nicht einmal den Gedanken zu sagen, was mir gefällt. Ich habe das leider verstecken müssen.“

Mit 19 Jahren fing sie an, regelmäßig Tanzkurse in verschiedenen Richtungen und Stilen zu besuchen. Ihren Eltern erzählte sie, sie ginge ins Fitnessstudio. Aber schlussendlich verfolgte sie ihre größte Leidenschaft – den Orientalischen Tanz – weiter. Mit 22 Jahren zog Shams von zuhause aus und trat auf orientalischen Tanznächten auf. Daraufhin folgten zahlreiche Shows auf öffentlichen sowie privaten Veranstaltungen, wie etwa Hochzeiten, Bällen, Tanzevents oder Geburtstagen. Nach ihren ersten Solo-Auftritten bekam Shams immer wieder Anfragen, ob sie nicht unterrichten möchte. Um ihr Tanzrepertoire zu erweitern nahm sie an zahlreichen Workshops im In- und Ausland teil und startete ihre Tanzausbildung 2017 im Wiener Tanzstudio Mänada.

 

„Der Weg ist kein leichter, aber es lohnt sich zu kämpfen!“

 

Shams möchte eine Inspiration für alle Frauen sein, insbesondere für jene, die auf ähnlichen Widerstand in ihren Familien stoßen wie einst sie selbst. „Ich möchte ein Vorbild für alle Frauen sein, die nicht tanzen dürfen oder können und nicht einmal die Möglichkeit bekommen, sich tänzerisch auszudrücken“, sagt sie entschlossen. Mit ihrer Familie kam sie beim Thema Tanzen in all den Jahren auf keinen grünen Zweig mehr, was sie für sich in Kauf genommen hat. „Es ist ein Thema, über das ich mit meiner Familie nicht mehr diskutieren kann.“

Für ihre Leidenschaft am Tanzen begrenzt Shams den Kontakt zu ihrer Familie auf das Wesentlichste. „Der Weg, für den ich mich entschieden habe, ist kein leichter gewesen, aber ich wollte immer nach meinen Vorstellungen und Ideen leben und nicht nach irgendwelchen Erwartungen, an die ich selber nicht glaube. Denn am Ende des Tages muss man mit sich selbst zufrieden und glücklich sein, sich selbst treu sein und authentisch bleiben!“, so Shams im Gespräch.

Orientalischer Tanz im Wandel

Dass wohl nicht viele Frauen aus konservativen arabischen oder muslimischen Familien denselben Weg wie Shams gehen, fällt sowohl in der heimischen als auch in der internationalen Tanzszene auf. „Ich bin bei Tanzveranstaltungen häufig die einzige, die so ‚orientalisch‘ aussieht“, lacht sie. „Ich finde das schade – allein mit dieser tollen Musik, das liegt uns doch im Blut!“. Unlängst nahm sie bei einem Tanzwettbewerb in Kairo teil, das immer noch als Mekka des Belly Dance gilt. Dabei ist ihr aufgefallen, dass ausländische Tänzerinnen die Tanzszene schon seit geraumer Zeit dominieren. Die Überzahl stammt vor allem aus Osteuropa: aus Russland, der Ukraine oder aus dem asiatischen Raum.

Shams
Der Orientalische Tanz ist bis heute ein Teil des kulturellen Erbes der arabischen Länder. Doch die Tradition leidet unter dem konservativen Wandel.

In der New York Times stellte ein Journalist die treffende Frage: Wenn Kairo doch das globale Zentrum des Belly Dance ist, warum kommen die heißesten neuen Stars von überall her, außer aus Ägypten? Die Tanzeinlagen der modernen Belly Dance-Stars haben längst nichts mehr mit den spielerischen Hüftschwüngen der großen Ikonen zu tun. Immer offenherziger und provokanter werden die Kostüme, und die Shows sexueller und aggressiver. Der klassische Orientalische Tanz ist durch die Unterwanderung aus dem Ausland lange nicht mehr das, was er einmal war. Das erkennen und bedauern viele Araberinnen und Araber, sowie Enthusiasten des traditionellen Raqs Sharqi heute. Trotzdem bleiben Nachwuchstänzerinnen aus den arabischen Ländern bis auf Weiteres aus. „Viele Tänzerinnen treten für Spottpreise auf Veranstaltungen auf“, bedauert Shams. „Manche verlangen nur 50 Euro für einen Auftritt, was alleine meine Taxifahrten abdecken würde! Aufgrund dessen haben es viele andere Tänzerinnen schwer, einen angemessenen Preis zu verlangen, da man nicht mehr auf die Qualität des Tanzes Wert legt, sondern nur auf den Preis.“ Der Druck, auch selbst zu immer offenherzigeren Kostümen zu greifen, steigt ebenfalls mit der Konkurrenz.

Shams
"Zum Bauchtanzen braucht man einen Bauch!“ – das ist eine Devise, gegen die sich Shams wehrt.

 

„Viele Tänzerinnen treten für Spottpreise auf.“

 

In der Welt des Belly Dance herrschen andere Maßstäbe, was das Äußere angeht. Denkt man an professionelle Tänzerinnen, ist die Erwartung, dass sie besonders durchtrainiert und athletisch sein müssen, nicht weit. Nicht so beim Orientalischen Tanz. „Es gibt den Spruch ‚Zum Bauchtanzen brauchst du einen Bauch‘, der sich hartnäckig hält. Je mehr beim Tanzen wackelt, desto besser“, erklärt Shams. Sie hörte, auch letztens in Kairo, den einen oder anderen Kommentar, sie sei zu schlank für Belly Dance. „Sicherlich trifft das ja auch den Geschmack in den orientalischen Ländern, als Frau ein wenig mehr auf den Hüften zu haben. Aber jede und jeder kann, unabhängig von Körperform und Alter, mit dem Tanzen beginnen, da gibt es keine Grenzen!“. Die junge Frau sieht den Tanzunterricht als Allheilmittel für selbst die trübsten Tage. „Tanz und Musik sind Sprachen, die von allen Menschen verstanden werden – egal welche ethnische Herkunft man hat. Sie verbinden die unterschiedlichsten Kulturen, schaffen Freundschaften und sind die schönste Art, sich zu verständigen.“ Unter Shams‘ Webseite shamsbellydance.at findet man übrigens weitere Informationen und Kontaktdaten.

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Großen Dank an das libanesische Restaurant Al Fayrooz (Universitätsring 8, 1010 Wien), das wir als Fotolocation nutzen durften!

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